„Mors certa, hora incerta“, pflegten die alten Römer auf gut Latein zu sagen. Und meinten damit: Der Tod ist uns sicher, nur die Stunde ist ungewiss. Nun, diese Weisheit mag stimmen, wenn der Todgeweihte nicht der Brandner Kaspar und der Sensenmann nicht der Boandlkramer ist. Denn als der beim Brandner anklopft, um ihn von dieser Welt abzuberufen, hat er seine Rechnung ohne den bauernschlauen Schlosser gemacht.
Der überredet den unheimlichen Gast zu einem Kartenspiel und stellt, damit es nicht gar so trocken zugeht, ein Fläschchen Kirschgeist auf den Tisch. Es kommt, wie es kommen muss: Der Boandlkramer schüttet sich ein Gläschen nach dem anderen ins Gerippe, verliert vom Alkohol benebelt die Kartpartie und muss dem Brandner schließlich 18 zusätzliche Lebensjahre zugestehen. Ein Deal, der das Gefüge der Ewigkeit mächtig ins Wanken bringt.
Nach dem „Großen Welttheater“, der „Pension Schöller“ und „Nathan der Weise“ hat Regisseurin Silvia Kirchhof nun den Stoff der Kurzgeschichte von Franz von Kobell aus dem Jahr 1871 für ihr Ensemble adaptiert und neu inszeniert. Denn der „Brandner Kaspar“ ist ein Dauerbrenner auf den Bühnen der Nation. Allein im Münchner Residenztheater wurde die 1975 entstandene Fassung von Kurt Wilhelm schon über 1000 Mal aufgeführt. „Natürlich möchte man sich da etwas absetzen“, sagt die Theatermacherin. Und so hat sie das Stück auf ihr Ensemble passend umgestrickt und es dabei auch kräftig entbajuwarisiert.
Achim Roth etwa muss seinen angeborenen Dialekt nicht verstecken und darf sich durch seine Rolle als Erzengel Michael berlinern. „Zum Piepen“, verspricht Kirchhof. Den Boandlkramer, also den Tod, hat Kirchhof außerdem zu dem gemacht, was er ja eigentlich kraft Amtes ist – einen „Global Player“: Überall daheim, international tätig, mehrsprachig. Eine Rolle, für die sie sich aus den Reihen ihrer Schauspieler Philip Errington-Zietlow als „Top-Besetzung“ ausgeguckt hat.
Der hat auch schon Erfahrung als Sensenmann, verkörperte er doch bereits im „Welttheater“ den Tod. War dieser dort allerdings ein schweigsamer, kompromissloser Geselle, darf Errington-Zietlow diesmal sein ganzes komödiantisches Talent in die Waagschale werfen, das er zuletzt schon als Derwisch in „Nathan der Weise“ unter Beweis gestellt hat.
Und dann ist da noch Pfarrer Stefan Mai in der zweiten Hauptrolle, der des Brandner Kaspar. Letztlich ist der katholische Seelsorger auch „schuld“ daran, dass heuer ausgerechnet dieses Stück und kein anderes auf dem Spielplan des Kleinen Stadttheaters steht. Denn schon als er vor vier Jahren den Bauern im „Großen Welttheater“ gab, ließ er seine Regisseurin wissen: „Bei einem Stück würde ich noch mitspielen. Beim Brandner Kaspar.“ Nun also ist es so weit.
Die Proben haben begonnen. Vom evangelischen Gemeindehaus ist das Ensemble mittlerweile in die Spitalkirche umgezogen, seit dort die Bühne im Altarraum aufgebaut ist. „Die Bequemlichkeit wurde der Zweckmäßigkeit geopfert“, sagt Silvia Kirchhof, zieht die Decke, die über ihren Beinen liegt, noch ein Stückchen höher und nippt an einem heißen Tee. Es ist eiskalt im Kirchenraum. Aber eben auch sinnvoll, dort zu proben, wo das Stück schließlich aufgeführt werden soll.
Die Schauspieler haben sich allesamt dick eingemummelt. Josepha Schemm, die Brandners Enkelin Marei spielt, macht in einer kleinen Probenpause Aufwärmübungen auf der Bühne. Und was sind das für seltsame, rot blinkende schwarze Kästchen, die Errington-Zietlow am Knöchel trägt? Tatsächlich, der Tod trägt Schuhheizung. Die hat er sich von seiner Frau ausgeliehen, gesteht er. Man(n) will sich ja schließlich nicht den Tod holen. Auch oder gerade als Boandlkramer.
Denn außer der Kälte macht dem bemitleidenswerten Knochenmann gerade auf der Bühne auch noch der Erzengel Michael zu schaffen. Ist der doch eben dahintergekommen, dass der Brandner Kaspar schon seit zwei Jahren bei ihm im Paradies sein sollte. Und wo ist er stattdessen? Munter und vergnügt im Steigerwald. Dafür ist seine Enkelin Marei als Neuzugang im Himmel eingetroffen. Mit 24 Jahren. Laut Buch des Lebens 18 Jahre zu früh. 18 Jahre? Genau, da war doch was.
Gemeinsam mit Petrus stellt der Erzengel den Boandlkramer zur Rede. Der windet sich und flüchtet sich in Ausreden. Er habe ja gerade so viel zu tun – „plenty of work“, lässt er die Himmelsgewaltigen wissen. Schließlich kann er ja kaum zugeben, dass er sich im Zustand kirschwasserbedingter Umnachtung hat übertölpeln lassen. Wo käme man denn hin, wenn nicht mal der Tod mehr todsicher ist.
Silvia Kirchhof ist mit dem Probenverlauf bislang zufrieden. Bewusst hat sie für diese Inszenierung auf einen Profischauspieler verzichtet. „Unsere Leute sind mittlerweile so gut, da musste ich keinen Profi holen“, lobt die Regisseurin ihr Ensemble. Stattdessen hat sie diesmal besonderes Augenmerk auf die Ausstattung gelegt. Für die Gestaltung der Kulissen hat sie den Künstler Gerhard Stahl an Bord geholt. Die Kostüme schneiderten Anita Wozniak für die Damen und Irina Bachmann für die Herren.
Die Dirndl und Jacken sind ebenso extravagant wie gewöhnungsbedürftig. Silvia Kirchhof hat sich für die Klamotten der Akteure im Diesseits Lampenbezugsstoffe der 70er Jahre ausgesucht, im Himmel trägt man den blau-goldenen Look von Omas Bettmatratzen. Nicht für jeden im Ensemble ist das auffällige Blumenmuster seines Outfits Liebe auf den ersten Blick. Aber man akzeptiert es als „künstlerische Freiheit“ der Regisseurin. Und die will sich schließlich mit ihrer Inszenierung von anderen abheben. Was in Sachen Garderobe sicher schon gelungen sein dürfte.
Im roten Jacket mit grellgelbem Rosendekor steht an diesem Abend neben dem Stadtpfarrer noch ein weiteres bekanntes Gesicht auf der Bühne: Bürgermeister Thorsten Wozniak. Den kennt man zwar als durchaus erfolgreichen Musiker, aber als Schauspieler? Ein absolutes Greenhorn? Keineswegs, verrät das Stadtoberhaupt. Denn seine Mutter Brigitte war selbst leidenschaftliche Schauspielerin. Und so stand auch ihr Sohnemann Thorsten schon als vierjähriger Knirps in seiner ursprünglichen Heimat Bayreuth auf der Bühne. In der Zauberflöte. In Peterchens Mondfahrt. „Allerdings mehr als Requisit“, schmunzelt Wozniak.
Ganz fremd aber ist ihm die Theaterluft nicht. Bei den Proben zum Brandner Kaspar steht er an diesem Abend zum zweiten Mal als Simmerl auf der Bühne. Der Jäger, der aus Eifersucht den frühen Tod der Marei verschuldet, ist sicher nicht der Sympathieträger schlechthin im Stück. „Man muss erst mal jemanden finden, der sich traut, den Bösen zu verkörpern“, meint Kirchhof. Sie hat gleich zwei gefunden, die sich die Rolle schließlich teilen werden. Achim Winkelmann, und eben Wozniak.
Der ist nun dran in einer Szene, als der Simmerl und Florian, Mareis Freund, nach deren Beerdigung im Haus des Brandner Kaspar aufeinandertreffen und die Fetzen fliegen. Nachdem er seinen Part gespielt hat, geht Wozniak hart mit sich ins Gericht: „Grauenhaft. Man merkt schon eklatante Unterschiede. Der Mario spielt mich glatt an die Wand.“ Der Mario, das ist Mario Döpfner. Und der hat schließlich auch schon Erfahrung als König im „Großen Welttheater“. Überhaupt ist Wozniak begeistert vom Niveau des Ensembles: „Das ist ein sehr professionelles Niveau für eine nicht professionelle Truppe. Ich fühle mich geehrt, mitspielen zu dürfen.“ Der Ehrgeiz hat ihn gepackt. Und noch ist ja Zeit bis zur ersten der elf Aufführungen am Donnerstag, 3. April, um 20 Uhr. Dass dann alle ihr Bestes geben, ist sicher. Todsicherer als der Boandlkramer nach dem siebten, achten Kirschgeist.
Insgesamt gibt es zwischen Donnerstag, 3. April, und dem Samstag, 12. April, elf Aufführungen. Diese beginnen jeweils um 20 Uhr, an den Sams- und Sonntagen gibt es zusätzlich um 15 Uhr Nachmittagsvorstellungen. Karten können im Vorverkauf bei Margot Kirchhof, Tel. (0 93 82) 85 02, und bei der Volkshochschule Gerolzhofen, Tel. (0 93 82) 9 96 03, erworben werden.