Gegen 13.15 Uhr ist es so weit. Die Türen der Eibseebahn-Gondel öffnen sich, und über eine Rampe bugsieren der Zeilitzheimer Winzer Martin Mößlein und seine Kollegen Peter Götz und Udo Engelhardt das Holzfass aus fränkischer Eiche auf einem Rollwagen aus der Kabine. Sein Inhalt: 200 Liter Müller-Thurgau, ein Cuvée aus vollreifen Trauben des vergangenen Jahrgangs aus den Weinbergen von fünf Winzerbetrieben aus Zeilitzheim, Röttingen, Zell am Ebersberg und Escherndorf.
Nun also schnuppert der noch junge Wein ein erstes Mal Zugspitzluft. Das soll er fortan 100 Tage lang tun, bevor er zurückkehrt nach Zeilitzheim, wo ein identisches Fass im Keller lagert. Beider Inhalt soll schließlich im Juli gegeneinander verkostet werden, um festzustellen: Reift ein Wein in fast 3000 Metern Höhe auf dem Dach Deutschlands wirklich anders als auf rund 250 Metern in Franken? Oder ist es doch nur ein gelungener PR-Gag für die seit genau 100 Jahren in Franken angebaute Rebsorte Müller-Thurgau, die Martin Mößlein da beim Skifahren eingefallen war?
Gipfelaroma?
Fragen über Fragen. Auf dem Parkplatz der Eibseebahn, Höhenniveau knapp 1000 Meter, hieven die Winzer das Fass unter großer medialer Aufmerksamkeit aus dem Kleintransporter. Einige Versuchsgläser werden abgezapft. Martin Mößlein nippt an seinem Wein. „Die Holzaromatik ist da, auch die angenehme Frucht des Müller-Thurgau vorhanden“, analysiert er. Dass der Wein in Gipfelnähe anders schmeckt, ist er sich sicher. Auch, dass es Unterschiede bei der Reifung geben wird. Mößlein erwartet, dass der niedrigere Luftdruck auf dem Dach Deutschlands die Reife verzögert, dass die Selbstklärung des Weines langsamer abläuft.
In der Bergstation angelangt ist dem Weinfässchen und seinen Begleitern Aufmerksamkeit jedenfalls sicher. Skifahrer, Snowboarder und Ausflügler verfolgen mit großen Augen neugierig diese seltsame Prozession, die sich durch die Gänge und über Aufzüge den Weg hinauf zur Panorama-Plattform bahnt. Dort, in Sichtweite des goldenen Gipfelkreuzes, ist die Medienpräsentation des Projekts angesetzt.
Als sich die Glastür zur Terrasse öffnet, schlägt der Gruppe aus Franken ein frisches Lüftchen entgegen. Minus 10 Grad, dazu Wind mit rund 50 Kilometer pro Stunde. Fototermin, Interviews. erneute Weinprobe. Mößlein fühlt sich bestätigt: Beim Riechen ins Glas sind die Holzaromen nun schwächer, auf der Zunge hingegen deutlicher wahrzunehmen, so sein Eindruck. Und vor allem: In der scharfen Zugspitzluft gefriert der Wein nach einiger Zeit im Glas.
Ein Teil verdunstet
Deshalb schaffen die Winzer das Fass, als alle Fotos geschossen und Interviews gegeben sind, auch rasch zu seinem Lagerplatz für die nächsten 100 Tage: In den Weinkeller des Gletscherrestaurants „SonnAlpin“ auf 2600 Meter Höhe. Dort wird sich ein Mitarbeiter der Zugspitzbahn um den besonderen Müller-Thurgau kümmern und das Fass einmal in der Woche auffüllen. Denn durch das Holz verdunstet der Inhalt kontinuierlich. Etwa fünf Liter werden das im Lauf der 100 Tage sein, schätzt Mößlein. Bei Sonnenschein, so hat der bayerische Hüter des fränkischen Weines versprochen, wird der Wein aus dem Keller herausgeholt, um richtig Höhenluft zu tanken.
Wenn Ende Juni der Wein die Rückreise nach Franken antritt, wird sich zeigen, was die Aktion gebracht hat. „Es wird ein Unterschied da sein müssen“, ist sich Stefan Kraus, Fachberater Kellerwirtschaft beim Bezirk Unterfranken und Berater der Winzergruppe „der franke“, sicher: „Vielleicht ist er aber zu gering, um ihn sensorisch festzustellen.“ Also doch nur Humbug und nicht das Ei des Kolumbus? „Nein“, sagt Kraus und verweist darauf, dass man mit dem Projekt absolutes Neuland betrete: „Wenn es keine Veränderung gibt, wäre dies schließlich auch eine neue Erkenntnis.“