Es ist so etwas wie das Bild der Energiewende. Blickt man vom Dach der Gärbehälter der Biogasanlage Ettleben zwischen den beiden mächtigen, kegelförmigen Nachfermentern hindurch, dann fokussiert man im Hintergrund automatisch die Kühltürme des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. Die 900-Kilowatt-Anlage in der Wernecker Flur läuft seit April dieses Jahres unter Volllast. Sie liefert die nächsten 20 Jahre „Strom vom Acker“. Der 1300-Megawatt-Koloss jenseits des Mains wird am 31. Dezember 2015 stillgelegt.
Viele kleine Dinge ergeben etwas Großes. Viele Biogas-Anlagen ergeben allerdings noch lange kein Kernkraftwerk. Die rund 200 kleinen und mittelgroßen Anlagen in Bayern liefern knapp 600 Megawatt Strom – halb so viel, wie Grafenrheinfeld. Biogas statt Kernkraft – das funktioniert nicht. Aber „im Verbund mit anderen Erneuerbaren können diese Kraftwerke den fluktuierenden bedarf ausgleichen helfen“. Das sagt Rainer Erdel, FDP-Bundestagsabgeordneter aus dem mittelfränkischen Ansbach. Er hat sich die Anlage in Ettleben am Dienstag angesehen und war begeistert von dem intelligenten Kraft-Wärme-Konzept, das hier umgesetzt wurde.
Kernkraftwerke bringen es auf einen elektrischen Wirkungsgrad von rund 35 Prozent. Biogasanlagen liegen bei 40 Prozent. Bei Kernkraftwerken verdampft die parallel erzeugte Wärme über die mächtigen Kühltürme. Bei der Biogasanlage Ettleben wird sie genutzt zur Beheizung des rund zwei Kilometer entfernten Bezirkskrankenhauses, des Wernecker Hallenbades und der Schule. „Unsere Gesamteffizienz liegt irgendwo zwischen 80 und 85 Prozent“, postuliert Ulrich Beck stolz. Er ist Mitgesellschafter und einer von zwei Geschäftsführern der Bioenergie Ettleben GmbH & Co. KG.
Biogasanlagen lösen – ganz nebenbei – noch ein weiteres zentrales Problem der Energiewende: die Stromspeicherung. Die beiden Nachfermenter in Ettleben dienen (auch) als Gasrückhaltebehälter mit einer Kapazität von rund 8000 Kilowattstunden. Bei einer Gesamtleistung von 900 kW entspricht das fast neun Stunden Volllastbetrieb. Am Tag Photovoltaik und Windenergie, nachts Strom aus Biogas – diese einfache Rechnung könnte in kleinen, regionalen Stromkreisläufen aufgehen. Ein weiterer „Stromspeicher“ befindet sich – unter großen Plastikplanen sauber abgedeckt – östlich der eigentlichen Anlage. Jeweils 80 auf 25 Meter messen die drei großen Fahrsilos, in denen überwiegend trocken gehäckselter Mais lagert. Etwa 12 000 Tonnen Silage werden jährlich für den Betrieb der Anlage benötigt, dazu rund 10 000 Kubikmeter Gülle. Den Großteil der Biomasse liefern die Gesellschafter – unter ihnen zehn von 13 Ettlebener Bauern – selbst. Aber es wird auch zugekauft.
„Vermaisung“ – das ist ein im Zusammenhang mit Biogasanlagen häufig zitiertes „Schreckenswort“. Es mag Gültigkeit besitzen dort, wo – wie in Mecklenburg-Vorpommern – riesige Anlagen entstanden sind und in deren Umfeld fast ausschließlich der hoch gewachsene „Energiemais“ angebaut wird. Für Ettleben gilt dies nicht. „Wir sind hier heute auf dem Stand der siebziger Jahre“, rechnet Rainer Reuß vor; er ist einer der Gesellschafter. Man könne auch – so Rainer Erdel – auf Zuckerrübenblatt umsteigen; andernorts habe man mit diesem Energieträger gute Erfahrungen gemacht. „Schwierig in dieser Region“, gibt Bernhard Bedenk von der Unterfränkischen Überlandzentrale in Lülsfeld zu bedenken. Die Bauern besäßen nicht die entsprechenden Maschinen zur Separation der Blätter beim Ernteprozess.
Neben der „Vermaisung“ sind die vielen Fahrten der Landwirte während der Erntezeit ein Thema, das öffentlich diskutiert wird. In manchen Regionen wurden Fahrverbote zu bestimmten Zeiten ausgesprochen, insbesondere die Touren an Sonn- und Feiertagen ärgern die Bevölkerung. In Ettleben gebe es – so Bauer Hubert Klenkert – „keine Probleme“. Man mache den Fahrern klare Vorgaben, insbesondere auch zur Einhaltung von Tempolimits („maximal 30 Stundenkilometer“) in Ortschaften und das werde durch die Bewohner auch goutiert.
Die Biogasanlage in Ettleben ist ein „Best-Practice-Beispiel“ für die Energiewende im Kleinen. Die findet nämlich „hier draußen, auf dem, Land statt“, sagt Ulrich Beck, „wir sind ein Teil von ihr.“ Der Standort – glaubt der Geschäftsführer – „hat Potenzial weit über 20 Jahr hinaus“. Dann wird man in Deutschland wohl schon lange nicht mehr über Kernkraft sprechen. Und Grafenrheinfeld ist längst rückgebaut...