Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten
Stadt Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten

"Die haben kein Herz und Krieg nicht erlebt"

Stadt Schweinfurt

"Die haben kein Herz und Krieg nicht erlebt"

    • |
    • |

    "Wir sind doch keine Verbrecher, dass man uns so behandelt", schluchzt die Mutter am Wohnzimmertisch, derweil der Kleine draußen im Hausgang der bescheidenen Altbauwohnung spielt. "Er versteht das alles nicht", sagt Gylere.

    "Nie haben wir etwas Schlimmes gemacht", sagt die Mutter weiter. "Wir sind nicht einmal ohne Erlaubnis über die Landkreisgrenze gegangen. Mein Mann arbeitet hier seit über fünf Jahren, obwohl er sehr wenig verdient. Wir leben nicht von Sozialhilfe", erzählt die 32-Jährige und ringt wieder mit der Fassung. Sie kann die Tränen nicht zurückhalten. "Seit 1999 sind wir hier, vor dem Krieg geflohen. Ich dachte, wir hätten eine Chance auf ein sicheres Leben, aber die haben den Krieg nicht erlebt, nicht die Toten gesehen, sind nicht vergewaltigt worden. Die haben kein Herz."

    Mit "die" meint Gylere Thaqi das Ausländeramt, aber auch die Amtsärztin im Gesundheitsamt. Das Ausländeramt wie die Gerichte erkennen die Asylanträge des Ehepaares aus dem Kosovo nicht an. Alle Verfahren und Folgeverfahren sind ausgeschöpft, also wird jetzt abgeschoben. Die Amtsärztin des Gesundheitsamtes Schweinfurt, meint Gylere, arbeite für das Ausländeramt. "Die hat alle Gutachten meiner Ärztin, aber sie glaubt mir nicht, dass ich krank bin." Schon einmal sei ihre Reisefähigkeit zwecks Abschiebung geprüft worden, "als ich im achten Monat schwanger war, ganz dicke Beine und hohen Blutdruck hatte", erzählt Gylere mit zitternder Stimme, "aber sie sagte trotzdem, die Frau kann verreisen".

    Gyleres Erkrankung scheint dabei keine Rolle zu spielen. Seit 2001 ist sie in Behandlung bei der Psychiaterin Dr. Sibylle Riegel-Meyer. Sie braucht wegen offenkundig traumatischer Erlebnisse im Kosovo gegen massive Depressionen eine hohe Medikamentengabe. Nach einer Abschiebung hätte sie wohl keine Chance mehr auf eine entsprechende Behandlung: "Wir kommen aus einem kleinen Dorf", sagt Gylere. "Dort würde sie nötige medikamentöse Behandlung wohl nicht mehr bekommen", ist sich auch ihre Ärztin sicher. Doch ihre Gutachten, sagt Sybille Riegel-Meyer, würden von der Ärztin des Gesundheitsamtes Schweinfurt regelmäßig als Gefälligkeitsgutachten bewertet und einfach abgelehnt.

    Das erwartet sie auch heute morgen, 9 Uhr, wenn die Mutter mit ihrem kleinen Sohn zur Prüfung ihrer Reisefähigkeit (aus gesundheitlicher Sicht) vorgeladen ist. Sie wird kommen, sonst wird sie von der Polizei abgeholt, so wie gestern früh ihr Mann. Gylere erwartet, dass ihre psychische Erkrankung für die Frage einer Abschiebung erneut keine Rolle spielen wird, dass vielleicht die Polizei schon auf sie wartet. Jüngst wurde ein Afrikaner, der lange geduldet war und ebenfalls in Arbeit stand, vom Gesundheitsamt weg in Abschiebehaft genommen.

    Das werde sicher nicht geschehen, sagte Marco Steigerwald vom Ausländeramt der Stadt, "weil ein Kind dabei ist". Man könne Kinder doch nicht ins Gefängnis bringen. In die JVA Aschaffenburg, den nordbayerischen "Abschiebeknast", wurde der Vater gebracht. Dass der in aller Herrgottsfrühe ohne Ankündigung aus dem Bett heraus verhaftet wurde, sei ein übliches Vorgehen, wenn abgelehnte Asylbewerber nicht gesagt hätten, dass sie freiwillig das Land verlassen werden. Ein humanitäres Ermessen habe das Ausländeramt nicht. Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage. Wenn ein Gericht entsprechend beschließt, müsse der Beschluss eben umgesetzt werden.

    Für die Schweinfurter amnesty-Gruppe bedauerte Ulrich Philipp, dass in jüngster Zeit verstärkt so genannte Altfälle, die von einer derzeit konkret diskutierten, vielleicht bald eingeführten Bleiberecht-Regelung profitieren würden, zunehmend in die Zwangsabschiebung kämen. ai-Asylbetreuer hätten außerdem die Erfahrung gemacht, dass bei der amtsärztlichen Begutachtung etwa schwere psychische Traumata leider gar keine Rolle spielten, sondern nur, "ob durch den Transport Gefahr für Leib und Leben besteht". Alles andere sei völlig unwichtig.

    Also wird, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, demnächst eine intakte kleine Familie, die vor dem Krieg geflohen ist, bestens Deutsch spricht, "jeden Kurs mitgemacht hat" (Gylere), ihren Lebensunterhalt selbst bestreitet und niemandem zur Last fällt, die sich geradezu beispielhaft integriert hat und deren Sohn nur Deutschland kennt, kurz vor ihrer Bleibe-Chance abgeschoben.

    Der kleine Fatjon war schon ab Oktober im Kindergarten angemeldet. Er wird zur Verjüngung der schwer überalterten Stadt Schweinfurts nicht beitragen dürfen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden