Deutschland ist ihre zweite Heimat, ihre Kinder sind hier geboren, sie leben und arbeiten hier. Dennoch: Die alte Heimat lässt sie nicht los. Auch wenn der Aufbruch in die neue Welt Deutschland oft schon 20 Jahre und mehr zurück liegt, erinnern sich alle noch gut an den Schmerz, die Familie zurückzulassen.
Jetzt haben die Lateinamerikaner in der Kugellagerstadt eine neue Familie gegründet. Aus dem Bestreben heraus, Menschen mit lateinamerikanischer und nordamerikanischer Herkunft in Schweinfurt und Umgebung besser zu integrieren, gründeten Mary Ritzmann und Mónica Wierling – beide sind Mitglieder im Integrationsbeirat der Stadt – die Panamericanos.
Die Panamericana, ein Schnellstraßennetz, das Alaska mit Feuerland verbindet und so den gesamten amerikanischen Kontinent von Norden nach Süden durchzieht, stand nicht nur beim Namen Pate. „Alle Kulturen zusammenzubringen“, steht als Idee hinter der im Mai 2013 gegründeten Gruppe. „Wir versuchen mehr die Lateinamerikaner zu vertreten“ erklärt Wierling. Von diesen gibt es in Schweinfurt viel mehr als US-Amerikaner. Obwohl die Gruppe noch „in Windeln liegt“, so Yolanda Galdamez, sei man über den Erfolg selbst überrascht. Aus der ersten Idee mit sehr viel Mundpropaganda ist inzwischen eine Integrationsgruppe mit über 100 Freunden geworden. Zu den monatlichen Stammtischen kommen etwa 30 Leute, die Weihnachtsfeier hatte 80 Gäste. Vieles ist noch geplant: Vorträge, Sportveranstaltungen, Sprachtandems, ein Literaturkreis und mehr. „Wir wollen uns integrieren, aber auch für unsere eigene Kultur werben“, erklärt Wierling. Ihr oberstes Prinzip für die Panamericanos heißt: „Jeder hilft jedem“.
Obwohl die Mitglieder aus den unterschiedlichsten Ländern kommen – aus Chile, Peru, Mexiko, Paraguay, Kolumbien, Kuba, Argentinien – verbindet sie nicht nur der Wunsch, „Lateinamerika zu vertreten“. Es verbindet sie dieselbe Sprache, ein ähnlicher Kulturkreis und „wir haben eine andere Mentalität“, sagt Sandra Ort und lacht. „Wir sehen die Welt positiv und haben immer ein Lachen im Gesicht“, ergänzt ihre Mitstreiterin Wierling. „Aber Pünktlichkeit und Ordnung haben wir schon von den Deutschen übernommen“, meint Galdamez.
Ana Valiro ist seit einem halben Jahr in Deutschland. Die gebürtige Peruanerin hat zwölf Jahre mit ihrer Familie in Spanien gelebt, jetzt sind sie arbeitsbedingt in Schweinfurt gelandet. Über eine Freundin erfuhr sie von den Panamericanos, und ist begeistert: „Ich bin sehr glücklich, dass ich hier Freunde kennengelernt habe.“ Jeder, der herkommt und Kontakt sucht, sei willkommen, betont Wierling. Man habe viele hochqualifizierte Personen, aber eben auch Asylanten und Flüchtlinge. Geholfen wird allen. Es sind vor allem die Frauen, die organisieren und erzählen, während die Männer derweil beim Stammtisch ihr Bier genießen. „Aber das ist doch in jedem Land so“, meint Galdamez lachend, „wir Frauen haben einfach mehr Organisationstalent.“ Und so organisieren sie auch, beispielsweise die Taufe eines kleinen Mexikaners oder eine Fahrzeugsegnung. „Solche Symbolhandlungen sind für Latinos oft sehr wichtig“, meint Wierling.
Maria L. Kaiser stammt aus Peru, sie lebt seit 20 Jahren in Deutschland und empfindet es noch immer schwer, alles hinter sich gelassen zu haben. „Man gehört nirgendwo mehr ganz dazu und ist ein bisschen zerrissen.“ Eine Zerrissenheit, die auch die nächste Generation noch spürt.
Dominik (18) ist in Deutschland geboren. Als „halber Latino“ (Mutter aus Südamerika und Vater Deutscher) fühlt er sich aber auch beiden Kulturen zugehörig. Die 16-jährige Massiel, geboren in Peru, aufgewachsen in Spanien und jetzt in Deutschland, meint: „Heimat ist nicht da, wo du bist, sondern mit wem du bist.“ Sie fühlt sich auch hier in Deutschland wohl, weil sie Freunde gefunden hat, bei den Panamericanos und in der Schule. Franzisco (15) aus Paraguay lebt seit zehn Jahren hier und meint: „Wenn ich ehrlich bin, ich bin weder ein Deutscher noch ein Paraguayer.“ Aber für seine Zukunft weiß er: „Ich möchte hier leben, in Deutschland ist meine ganze Zukunft.“ Das Gefühl, nirgends mehr richtig dazuzugehören, kannte auch Monika Remelé. Von ihrem elften bis zum 18. Lebensjahr lebte sie mit ihrer Familie in Chile. Mit elf Jahren Deutschland zu verlassen, hat ihr „fast ebenso das Herz gebrochen“ wie mit 18 Jahren Chile wieder zu verlassen. Zurück in Schweinfurt hat sie vor allem gelernt, die Freiheit wertzuschätzen: „Ich habe gemerkt, was hier alles geht.“
Die meisten Deutschen, die sich den Panamericanos anschließen, haben auf irgendeine Weise einen Bezug zu Lateinamerika, auch Julia Stubenrauch. Sie hat ein Jahr in Argentinien für eine politische Stiftung gearbeitet und beim Salsa-Tanzen durch Sandra Ort von dem Projekt erfahren. Offen ist die Gruppe für alle, die Lust haben mitzumachen. „Geschlossene Gesellschaft, das ist für uns ein Fremdwort“, betont Ort, „so etwas kennen Lateinamerikaner nicht.“
Auch in facebook ist die Gruppe vertreten – unter Panamericanos Schweinfurt.