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Die Sprache der Sterbenden

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Die Sprache der Sterbenden

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    Manchmal wird es mühselig, zu verstehen, was der Sterbende noch sagen will. Wer nicht zuhören kann, wer nach schnellen Lösungen sucht, zerstört die letzte Kommunikation. Es kann dann sein, dass sich der Sterbende zurück zieht.

    Genau so wichtig ist die Achtsamkeit, denn der Sterbende nimmt jene, die ihn in den letzten Stunden begleiten, in eine andere Sprachebene hinein. Aussagen dürfen nicht so sehr "wörtlich" genommen werden, es gilt den dahinter liegenden Sinn zu entdecken. Schließlich schickt sich der Schwerkranke an, sich auf eine andere Welt vorzubereiten. Wenn beispielsweise gesagt wird, "meine Uhr ist stehen geblieben", dann kann das ein Signal an die Angehörigen sein, sich auf den baldigen Tod einzulassen.

    Auch andere Symbole gehören in die Sprache des Sterbenden, sie sind uns vielleicht aus Träumen und Märchen bekannt. Aus meiner Begleitung Sterbender sind mir viele dieser Bilder geläufig, die auf den nahen Tod hinweisen oder eine indirekte Zustimmung zum unausweichlichen Ende sind. Wer darauf achtet, kann diese Bilder aufgreifen und sich besser verständigen, auch was den letzten Willen des Sterbenden anlangt.

    Oft sind diese Bilder "ich muss noch auf den Bahnhof, um mir einen Fahrplan zu holen" oder die Frage: "Habt ihr meinen Koffer schon gepackt?" mit innerer Unruhe verbunden und den (oft vergeblichen) Versuchen, das Bett zu verlassen. Manche sprechen von einer Schiffsreise und verbinden gedanklich damit das Boot, das am Horizont für immer verschwindet, oder sie erzählen von einer Bergtour, die sie nie mehr machen werden.

    Da ist von Geld die Rede, das die ausgehende Energie meint, von Türen, die noch verschlossen oder von Schlüsseln, die verloren gegangen sind; sie bezeichnen die Schwierigkeiten des Abschiednehmens und des Loslassen. Manchmal wird nach Unterlagen verlangt, die noch zu ordnen seien, oder von ausgeliehenen Büchern, die nicht zurück gegeben wurden.

    Einen besonderen Symbolwert hat das Wort "Heimkommen" oder "Heimat", ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich der Sterbende in unserer Welt schon nicht mehr zu Hause fühlt. Er sieht schon in eine neue Welt, in der er hofft, alte Verwandte und Freunde wieder zu sehen. Deswegen wird in dieser Phase oft von Menschen als noch Lebenden gesprochen, oder sie werden am Bett "gesehen", obwohl sie schon vor Jahrzehnten gestorben sind.

    Für die Angehörigen wird es zunehmend schwieriger, zwischen der symbolischen und der wirklichen Sprache zu unterscheiden. Sie können sich sprunghaft vermischen, zum Beispiel der Hinweis auf eine noch unerledigte Sache mit der Feststellung, dass "niemand da" sei. Das eine muss von den Angehörigen noch in Ordnung gebracht werden, dass andere ist die Erkenntnis, dass jeder Mensch seinen letzten Weg ganz allein gehen muss. Es gilt also genau hinzuhören, geduldig nachzufragen und vor allem immer daran zu denken, was wirklich gesagt werden soll.

    Wer eine bildliche Aussage nicht einfach wegwischt, zum Bespiel, "deine Frau ist doch schon seit 15 Jahren tot", sondern nachfragt, "was hat sie dir denn sagen wollen?" wird sehr viel über den seelischen Zustand erfahren und über die Form des Abschiednehmens, die er sich gewählt hat. Trotzdem sollten die Hörenden nicht alles ergründen wollen, was der Sterbende sagt. Vieles kann einfach angenommen werden.

    Zum Problem mag für die Angehörigen werden, dass sich bestimmte Charaktereigenschaften in der Sterbephase massiv verstärken. Es können noch einmal unerledigte Feindschaften aufbrechen, da kann sich tiefe Verbitterung darüber zeigen, dass man ein Leben lang nur Opfer war und nie richtig gelebt hat. So etwas entlarvt sich dann auch in Todesanzeigen: "Das ganze Leben war Mühe und Arbeit für die Familie". Oft hilft dann die Versicherung der begleitenden Angehörigen: "Wir bringen das für dich in Ordnung!" Oder: "Wir haben dir sehr viel zu verdanken!"

    Für gläubige Menschen ist es selbstverständlich, dass ein Seelsorger zur Begleitung des Sterbenden hinzu gebeten wird. In den Gebeten und Riten der Kirchen ist eine tröstliche und heilsame Kraft verborgen; Geistliche berichten, dass eine große, fast überirdische Ruhe über den Todkranken kam.

    Sterbeforscher sagen uns, dass Menschen noch an der Schwelle des Todes, selbst noch im Koma, hören und fühlen können. Deswegen bleiben diese beiden Kommunikationsformen bis in den letzten Augenblick wichtig und wertvoll. Wir sollten die Hand des Sterbenden halten, beruhigend mit ihm reden, ein Gebet vorsprechen, ein dankbares Wort sagen und es oft wiederholen. Schließlich lässt sich in dieser Phase auch noch manches bereinigen, was vorher versäumt wurde oder nicht möglich war. Jedenfalls sollte beim Tod eines Menschen die große Versöhnung stehen und ein großer Friede, weil alles gelöst ist.

    Warum darf eigentlich am Sterbebett nicht eine heitere Stimmung herrschen? Die Lieblingsmusik des Sterbenden könnte eingespielt werden, eine Duftlampe ihren freundlichen Duft verbreiten, der Kranke an den Plänen und Entscheidungen der Angehörigen beteiligt werden.

    Wer sich aus welchen Gründen auch immer dem Sterbeprozess eines Angehörigen entzieht, bringt sich selbst um lebenswichtige Erfahrung und vor allem um jenen inneren Frieden, der auf dem Gesicht fast aller Verstorbenen so tröstlich aufscheint.

    In Teil 12 unserer Serie berichten wir über die Rechte des Sterben- den.

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