Zwei Jahre lang ist es im Schweinfurter Stattbahnhof fast gespenstisch still gewesen. Die Corona-Pandemie machte bis vor kurzem Konzertveranstaltung, wie sie im "Statti" immer üblich waren – laut, wild, schweißtreibend, mit vielen Menschen vor der Bühne – unmöglich. Seit etwas mehr als einen Monat jagt im Kulturhaus aber wieder ein Konzert das nächste.
"Es fühlt sich fast wieder wie normal an", sagt Flo Streibich vom Stattbahnhof. Auch wenn der Balance-Akt momentan schwierig sei, zwischen "Konzerte machen wollen" und mit der knappen Personaldecke zu haushalten. Wie vielerorts in der Kulturszene ist auch im Stattbahnhof zu beobachten, dass viele Menschen, die vorher ihren Nebenerwerb dort nachgingen, während der Pandemie in andere Branchen gewechselt sind. Auch die Planungssicherheit bei Konzerten steht immer noch auf wackeligen Beinen. Absagen und Verlegungen gehören immer noch zum Tagesgeschäft für die Clubs.
Dafür sind die Gäste wieder heiß auf Musik und Feiern, gerade seit alle maßgeblichen Corona-Beschränkungen weggefallen sind. "Die Leute haben darauf hingefiebert", betont Streibich. Gewiss auch auf die Rückkehr der internationalen Bands aus den Bereichen Punk und Hardcore, dem großen Erkennungsmerkmal des Stattbahnhof seit vielen, vielen Jahren.
Das "who is who" der Szene war schon zu Gast in Schweinfurt, gerade Bands aus den USA wie Agnostic Front, Sick of it all, Boysetsfire oder Gorilla Biscuits standen vielfach auf der Bühne im "Statti". Für das langersehnte Comeback der US-Bands sorgte kürzlich die vor über 30 Jahren in New York gegründete Punk-Band The Casualties, mit einer gutbesuchten, stimmungsvollen und energiegeladenen Show.
Während es für viele der Zuschauenden vermutlich die erste echte Punk-Show seit mehr als zwei Jahren war, hatten die Casualties bereits über 40 Shows seit Februar auf den Buckel. Ihre Tour begann in den USA und setzte sich dann in Europa fort. "Es ist größer als wir es verstehen können", versucht David Rodriguez, Frontsänger der Band beim Gespräch im Backstagebereich des Stattbahnhof, das Gefühl zu erklären, endlich wieder richtig touren und auf der Bühne stehen zu können.
Etwas Besonderes, wieder in Schweinfurt sein zu dürfen
"Es ist etwas Besonderes für uns hier sein zu dürfen, als eine der ersten amerikanischen Bands überhaupt wieder." Das Risiko war nicht gering, auf den Kosten sitzen zu bleiben, falls die Pandemie auf welche Weise auch immer, wieder mal in die Quere kommt. Rodriguez' Band war das egal. Alle in der Band sind dreifach geimpft und testen sich regelmäßig vor den Konzerten.
Das hohe Pokern hat sich ausgezahlt. Bands und Publikum sind sich, so gegenteilig es in Zeiten von Corona klingen mag, noch näher gekommen. "Die Menschen haben verstanden, durch was die Bands durchgehen mussten, um jetzt wieder hier sein zu können." Rodriguez erinnert sich noch an den Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020, als eine große US-Tour seiner Kombo abgesagt werden musste. "Es war wie in diesen Space-Movies, wenn der Typ in die Kneipe geht und 15 Jahre später aufwacht. Die ganze Welt stand plötzlich still."

Im Hier und Jetzt beschwört Rodriguez aber schon wieder enthusiastisch den alten, irgendwann in den Jahren fast verloren gegangen Punk-Geist, herauf. "Kommt zu den Konzerten, habt Spaß, seid cool zueinander", fordert er. Auch die Wertschätzung für Live-Musik könnte durch das kollektive Negativerlebnis wieder gestiegen sein, vermutet er: "Wir sollten die Abende genießen, einfach weil es möglich ist, dass wir zusammen diese Zeit verbringen dürfen."
Wichtig für den Austausch zwischen Amerikanern und Deutschen
Schließlich fehlte nicht viel und es hätten massig Konzertorte, in Deutschland, Europa und den USA, für immer schließen müssen. "Das hätte auch die Musik zerstört", betont er. "Und diese Orte, mit denen wir alle soviel verbinden, sind so wichtig." Auch für den Austausch, in diesem Fall, zwischen Amerikanern und Deutschen.
Rodriguez, der gebürtige Texaner, kann sich daran erinnern, dass bei seiner ersten Tour in Deutschland gerade Georg W. Bush Präsident der USA wurde. Er musste damals vielen wütenden Fans erklären, dass er nicht verantwortlich für die Regierung seines Landes ist. "Es ist so wichtig mit Leuten darüber zu sprechen", sagt er und kommt ohne zu zögern auf Donald Trump. "Ich kenne niemanden, der für ihn war."
Rodriguez spricht im Backstage des Stattbahnhof offen über die vielen Probleme seines Landes, über Rassismus, Drogenmissbrauch, Spaltung, Cancel Culture. "Wir müssen alle wieder mehr miteinander reden", stellt er am Ende des Gespräches fest. Im Stattbahnhof und überall.