Nach „Grupo Corpo“ und „Balé da Cidade de Sao Paulo“ nun die dritte brasilianische Tanzgruppe im Schweinfurter Theater: Die 14 Tänzerinnen und Tänzer der „Cisne Negro Dance Company Sao Paulo“ verhexten am Samstag das Publikum im ausverkauften Theater, Beifallsstürme schon nach der ersten Choreografie. Auf der Suche nach adäquaten Beschreibungen für diese faszinierende Performance drängen sich schnell die Gemeinsamkeiten dieser drei brasilianischen Formationen auf: Leidenschaft und Hingabe, Präzision und Leichtigkeit, Power, rhythmische Energie und ästhetische Ausstrahlung.
„Fruto da Terra“ von Itzik Galili mit der Musik der argentinischen Sängerin Mercedes Sosa schildert das Leben der Landarbeiter. Hier beim Kartoffel-Legen und Ernten müssen sich die Männer zwangsläufig bücken oder knien, doch solche bodennahen Tanzbewegungen wie Sitzen, Knien, Kriechen und Liegen werden uns in allen der vier Choreografien begegnen.
Diese Erdung mit dem Boden ist ein ebenso afrikanisches Tanzerbe wie die Isolationstechnik – die Aufspaltung des tanzenden Körpers in seine Körperteile: Kopf und Hals, Schultergürtel, Brust, Bauch, Becken, Gesäß, Arme und Beine. Jedes Teil kann sein eigenes Spannungsfeld bilden, das Gesetz und Geheimnis auch des afrobrasilianischen Bewegungsverhaltens. Mit großer Ausdruckskraft, Schönheit und Würde gestalten die Tänzer Szenen ihres Alltags: Arbeiten unter dem Aufseher, Pflege eines Kranken und ein ausgelassenes Fest.
Tanz ist urwüchsige Lebenslust
Die farbig-flimmernde Komposition „Maracutu do Chico Rei“ von Francisco Mignone inspirierte den Choreografen Rui Moreira zu „Calunga“. Tanz als urwüchsige Lebenslust, hier wird sie auf bezwingende Art zelebriert: Die Tänzerinnen und Tänzer erzählen die Geschichte des afrobrasilianischen Musikstils Maracutu, der eng mit dem Karneval verbunden ist. Nur in dieser Zeit war es den Sklaven erlaubt, ihre Traditionen öffentlich zu leben – mit abgelegten Kleidern der Portugiesen feierten sie ihren Umzug.
Groteske Tänze wechseln mit prächtigen Tableaux: Eine blaue Sternen-Stoffbahn wird zum Meer, zur Schleppe der Königin, zur Form eines Umzugwagens. Hymnische Gesänge, skurrile Verrenkungen der Spaßmacher werden plötzlich von einem europäischen Menuett kontrastiert. Das Tempo der stampfenden springenden Füße wird immer schneller, der Rhythmus intensiver. Die Hofdame trägt die Calunga, eine schwarze Puppe, wie eine Reliquie vor sich her, und die Krönungszeremonie des Königs beschließt dies furiose Spektakel.
Motorische ostinate Schläge stehen zu Beginn von „Alem da Pele“ (Jenseits der Haut) des Choreografen Patrick Delcroix. Er sagt dazu: „Jenseits der äußeren Erscheinung können wir ein ganz anderer sein – oder wir selbst sein. Jeder ist seine eigene Imagination.“ Willkommen zu eigenen Interpretationen!
Eine verzweifelte Liebe
In geheimnisvollen Lichtinseln agieren wechselnde Gruppen, zunächst eine Begegnung einer Frau mit einem Mann. Doch dies ist kein harmonischer Pas de deux. Vielmehr ein ständiges Umkreisen, sich Nähern, aneinander Klammern, Wegstoßen – eine wilde verzweifelte Liebe. Im abschließenden „Trama“ (Geflecht) gelingt es Choreograf Rui Moreira meisterlich, uns das besondere Lebensgefühl Brasiliens zu vermitteln, vor allem die auch Widrigkeiten überwindende Lebensfreude. Spiele, Volksfeste, mystische Riten, Beschwörungstänze kommen ins Bild, das durch die fantastischen Kostüme, die spektakulären Sprünge und die ständig neuen Konstellationen der Tänzer zu einem rauschhaften Tanzerlebnis wird.
Dieser optische Rausch überträgt sich ebenso auf das Publikum wie der akustische aus scharf akzentuierten Klangmustern und peitschenden Rhythmen. Vor allem der durchlaufende Herzschlag-Beat des Funk schafft im Parkett erregende Spannung und gebanntes Verfolgen des Geschehens: Mal gibt es die Präzision und Synchronie einer Männergruppe zu bewundern, dann eine lustige Szene, die an die alte Zirkus-Nummer „Mensch oder Puppe“ erinnert.
Kurz ein Innehalten der Wehmut mit Saudade-Klängen, dann ein flirrendes, auf Show getrimmtes Finale. Das Publikum ist außer Rand und Band: Stehende Ovationen, Begeisterungspfiffe, Beifallsstürme.