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GOCHSHEIM: Eine Jüdin überlebte im Dorf die Nazizeit

GOCHSHEIM

Eine Jüdin überlebte im Dorf die Nazizeit

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    Als Startpunkt zur Führung „Die Wohnstätten der jüdischen Bevölkerung in Gochsheim“ hat Leo Jäger das Kriegerdenkmal gewählt. Er erinnert dort an die Zehntausende jüdischen Männer, die in den Kriegen 1870/71 und 1914 bis 1918 für Deutschland kämpften. Aber auch im Zweiten Weltkrieg standen Männer jüdischer Herkunft „bei Hitler unter Waffen. Sie dachten, damit ihren Familien zu helfen und im Volk anerkannt zu werden“. Dass es anders kam, muss er nicht sagen.

    Jäger zeigt, bevor es zum „Judenbau“ in der Dorfmitte weitergeht, die auf der Gedenktafel verewigten Namen der Gochsheimer Juden Max Heldmann und Justus Selig, die aus dem Ersten Weltkrieg nicht heimkehrten. Die Familie Erthal hatte das Judenhaus wegen der beengten Verhältnisse im Judenhof errichten lassen, es 1784 an die Gemeinde verkauft. Es war später Armenhaus, ist nach Umbauten heute Feuerwehrhaus.

    „Mitten unter uns – Landjuden in Unterfranken“ heißt eine Ausstellung, die noch bis zum 25. Mai im Landkreis zu sehen ist. Bis Ostersonntag machte sie – nach Euerbach/Obbach – in der evangelischen Kirche St. Michael Gochsheim Station. Bis 6. Mai ist Schwanfeld, zuletzt Gerolzhofen an der Reihe. In allen Orten finden begleitende Veranstaltungen statt.

    In St. Michael, Gochsheim, war das ein Themenabend, dem die Führung folgte. Die Namen der von den Nazis ermordeten 20 Juden aus Gochsheim hatte Jäger beim Themenabend verlesen. Bei der über zweistündigen Tour durch Gochsheim zeigt er den rund 20 Teilnehmern ihre und die Wohnstätten anderer Juden, die überlebt haben, und schildert dabei die bewegenden Schicksale.

    An zwei Stationen passiert Unerwartetes. In der Hindenburgstraße, die Leo Jäger lieber wieder Bergstraße genannt wissen will, berichtet er über die Pogromnacht 1938, als SA-Leute das Anwesen der Familie Max Rosenbusch hier „am Berg“ heimsuchten. Türen und Fenster wurden eingeschlagen, die Einrichtung zertrümmert. Noch am nächsten Tag hätten die Eheleute Rosenbusch frierend in der zerstörten Wohnstube gesessen.

    Der 1932 geborene Ottomar Götz hörte sehr genau zu. Der langjährige FH-Professor, der längst in Schweinfurt lebt, hat die Pogromnacht 1938 nämlich an der Hand seiner Mutter im Heimatdorf Gochsheim miterlebt. Die Szenerie hat sich bei ihm eingebrannt, das „vergisst man nicht“, sagt er. Er kann sich noch genau der Worte seiner mutigen Mutter erinnern, die Margarethe Pauline hieß, aber jeder Rosa nannte: „Schau Dir mal diese bösen Männer an“, sagte sie zum Sechsjährigen und nannte die Rosenbuschs im gleichen Atemzug „ganz anständige Leute“.

    Leo Jäger ergänzt, dass auch die Wohnung der Geschwister Emma und Betti Strauß in der Mönchsgasse verwüstet, Bettfedern und Stoffe auf die Straße geworfen wurden. Das Namensschild von Emma Strauß trug Jäger 2011 beim Gedächtnismarsch in Würzburg. Sie hatte noch drei Schwestern, Bina, Betti und Pauline, die spätere Frau ebendieses Max Rosenbusch.

    Auch die zweite „Besonderheit“ hat mit der Familie Rosenbusch zu tun. Aus der Ehe von Max und Pauline Rosenbusch gingen sieben Kinder hervor, eine der drei Töchter hieß Frieda. Sie lernte den Beruf der Modistin (Hutmacherin) bei Resi Sell in Schweinfurt. Die heimliche Liebe zu Wilhelm Panzer, einem Elektriker aus dem Dorf, konnte nicht geheim bleiben, weil Frieda schwanger wurde. Ihr Vater Max habe sie deshalb sogar verwunschen, berichtet Jäger.

    Aber: Das Kind kam 1921 auf die Welt, Frieda und Wilhelm heirateten, 1922 wurde der zweite Sohn Willi geboren, der eineinhalb Jahre später auf tragische Weise ums Leben kam. Es folgten noch zwei weitere Kinder. Das Wichtigste aber: Obwohl viele wussten, dass Frieda Panzer Jüdin war, überlebte sie die Nazizeit im Ort. Für viele der Gochsheimer Zuhörer war diese Information neu. Wo Frieda versteckt wurde, konnte Jäger nicht sagen.

    In der Schweinfurter Straße 37 und 39 erzählt Jäger die Geschichte der Familie Heldmann. Ihr Haus mit dem Anbau, in dem der Metzgerladen war, haben Heldmanns 1937 verkauft. Auf der Giebelseite ist noch die Aufschrift „Viehhandlung und Metzgerei Heldmann“ zu erkennen. Die Eheleute Wilhelm und Babette wurden in Theresienstadt ermordet, ihre Söhne Albin und Selli überlebten, die Eltern gaben ihr letztes Geld, dass die Kinder nach Amerika auswandern konnten.

    Judenhof: Er ist mittlerweile in die Denkmalliste aufgenommen, damit der noch vorhandene alte Bestand erhalten bleibt. Die heutigen Hausnummern 16 und 18 waren – man kann es gar nicht glauben – bis 1937 die Synagoge. Der Umbau zum Wohnhaus erfolgte 1938. In der von Leo Jäger herausgegebenen Schrift „Die Juden in Gochsheim“ findet sich eine Zeichnung, die das wahrscheinliche Aussehen der Synagoge zeigt.

    Dass es eine erste Synagoge gab, scheint gesichert. Jäger glaubt, dass der Standort in der heutigen Kirchgasse war. Beim Anblick des zum Gasthaus Zur Rose gehörenden Anbaus lässt sich diese Annahme eher vermuten. Laut Denkmalliste entstand der Bau um 1800, möglicherweise war aber auch ein Vorgängerbau die erste Synagoge.

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