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Gerolzhofen: Eine Krippe im grauen Meer der Anonymität

Gerolzhofen

Eine Krippe im grauen Meer der Anonymität

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    Im Steigerwalddom ist heuer eine "Corona-Krippe" aufgebaut. Bewusst wird ein Zusammenhang mit der schmerzhaften Muttergottes auf dem dahinter liegenden Seitenaltar hergestellt.
    Im Steigerwalddom ist heuer eine "Corona-Krippe" aufgebaut. Bewusst wird ein Zusammenhang mit der schmerzhaften Muttergottes auf dem dahinter liegenden Seitenaltar hergestellt. Foto: Klaus Vogt

    Die diesjährige Gestaltung der Krippe im Steigerwalddom wird für manche Menschen durchaus eine Herausforderung darstellen. Kein Moos, kein Wurzelwerk, keine Tannenbäumchen. Keine heile Welt. Wie ein zäher, dichter Nebel legt sich statt dessen ein graues Tuch über die trostlose, kantig-harte Landschaft, in der nur noch die Reste eines toten Apfelbaums liegen. Die Krippe als Spiegelbild des zurückliegenden Jahres, in dem die Corona-Pandemie mit ihrem schweren Schleier fast alles Zwischenmenschliche erstickt hat.

    Nichts wird in einer Zeit der Kontaktbeschränkungen, des "social distancing", so sehr vermisst wie Gemeinschaft, Begegnung, Geborgenheit. Die Corona-Krippe bringt dies zum Ausdruck. Die verschiedenen Personengruppen halten Abstand untereinander, stehen im grauen Meer der Anonymität für sich allein. Jede auf einer Insel. Isoliert. Die Hirten, die Könige, die heilige Familie. Keine Brücken, kein Weg zueinander. Sie können nicht zueinander kommen. 

    Die verschiedenen Personengruppen halten Abstand untereinander, stehen im grauen Meer der Anonymität für sich allein. Jede auf einer Insel. Isoliert.
    Die verschiedenen Personengruppen halten Abstand untereinander, stehen im grauen Meer der Anonymität für sich allein. Jede auf einer Insel. Isoliert. Foto: Klaus Vogt

    Auch der Hintergrund der Krippe ist komplett in Grau gehalten. Durch einen bewusst gesetzten Sehschlitz erblickt man – auf Knopfdruck extra ausgeleuchtet – die schmerzhafte Muttergottes auf dem dahinter stehenden Seitenaltar. Die ungewöhnliche Verbindung von der Weihnachtskrippe als Darstellung der Geburt Jesu mit der Madonna samt ihrem toten Sohn auf dem Schoß soll zeigen, dass das diesjährige Weihnachtsfest überschattet ist durch die gerade für ältere Mitmenschen tödliche Corona-Bedrohung. 

    Doch es gibt auch Optimismus. Zwischen den grauen Brettern der Rückwand leuchtet der große Stern über der Szene und darunter steht die heilige Familie. Von dort ergießt sich, eindrucksvoll gestaltet, ein goldener Strom der Hoffnung in die graue Wüste hinein. Ein Strom, der letztlich die erzwungene Einsamkeit, die Abschottung und die soziale Isolation überwinden wird.

    Entworfen und umgesetzt hat die Idee der leidenschaftliche Gerolzhöfer Krippenbauer Bruno Steger, der seit einigen Jahren die große Krippe des Steigerwalddoms betreut und gestaltet. Als Steger vor einigen Wochen seine ersten Skizzen und Entwürfe Pfarrer Stefan Mai zeigte, sei dieser sofort begeistert gewesen und habe grünes Licht gegeben für eine "Corona-Krippe", erzählt Steger. Statt flacher kitschiger Gefühlsduselei soll die Krippendarstellung in diesem Jahr aufrütteln und durch ihre provokante Idee für Gedankenanstöße und Nachdenklichkeit sorgen.

    Nur die Heilige Familie steht auf einem goldenen Tuch, das sich in die graue Wüste ergießt.
    Nur die Heilige Familie steht auf einem goldenen Tuch, das sich in die graue Wüste ergießt. Foto: Klaus Vogt

    Bruno Steger ist sich natürlich bewusst, dass seine diesjährige Krippe für Diskussionen sorgen wird. Seit Jahrhunderten werde durch die wechselnde Gestaltung der Weihnachtskrippen stets auch die jeweilige Zeit abgebildet, sagt er. "Eine Krippe soll immer ein Zeichen der Zeit und der jeweiligen Region sein." In der Barockzeit beispielsweise seien die Krippendarstellungen vom Prunk regelrecht überhäuft gewesen. "Und in Kriegszeiten hat man ganz einfache und schlichte Krippen aufgebaut." 

    So ist es für den Krippen-Fan Steger naheliegend gewesen, diesmal die Corona-Pandemie als die größte Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte in der Krippe abzubilden. Sogar auf den klassischen Stall von Bethlehem hat er verzichtet. "Wir haben ja ein Beherbergungsverbot." Die Heilige Familie steht in der Mitte der Darstellung, nur geschützt durch den großen Stern und umschmeichelt von dem goldenen Strom, der im Stern entspringt.

    Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.

    Hermann Hesse

    Die diesjährige Corona-Krippe sei keine idyllische Krippe, nichts für das Herz, weiß auch Pfarrer Stefan Mai. Und er bestätigt, dass auch im Pfarrgemeinderat durchaus konträr über die diesjährige Gestaltung der Hauptkrippe diskutiert wurde. Viele Menschen sehnen sich ja – insbesondere nach all der Drangsal wegen Corona – wenigstens an Weihnachten nach einer Krippen-Idylle, nach der heilen Welt. Eine Idylle, die in typisch fränkischer oder alpenländischer Landschaft sogar die unbestrittene Härte der Lebenssituation von Josef und Maria, die für die Geburt ihres Erstgeborenen keine Herberge fanden, ein Stück abmildert. Weihnachtliche Sehnsucht zentriert sich in einer Krippe, die ein Wohlgefühl auslöst. Eine Krippe, die für die Momente des Betrachtens kurz das Schwere und Bedrückende des Alltags ausblendet.

    "Vielleicht lehrt uns die Corona-Zeit eines: Neu zu schätzen, welch ein Segen soziale Kontakte sind."

    Pfarrer Stefan Mai

    Idylle findet man bei der diesjährigen Großkrippe allerdings vergebens. "Die Corona-Krippe bringt das Jahr 2020 mit seinen Härten ins Bild, mit den Kontaktbeschränkungen, dass Menschen einander nicht besuchen können  und die sozialen Kontakte verarmen. Die grauen Stoffbahnen unterstreichen dieses triste Lebensgefühl", sagt der Pfarrer.

    Aber von der Krippe aus fließt ein goldenes Tuch herab. Das Licht, das vom Krippenkind in diese triste Insellandschaft fällt, drückt eines aus: "Da wurde einer geboren, dessen großes Charisma war, Menschen zusammen zu bringen. Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten, die sich eigentlich nicht grün waren. Er konnte es mit Zöllnern, anrüchigen Personen, Blinden, Krüppeln, Lahmen, reichen Mäzenen und Außenseitern der Gesellschaft. Da wurde einer geboren, der hat Gemeinschaft hergestellt unter den Menschen und zwischen Himmel und Erde", sagt der Pfarrer. Und in Abwandlung von Hermann Hesses Nebel-Gedicht könne man nun sagen: "Welch ein Glück, gemeinsam im Leben zu wandern! Leben gelingt im Gemeinsamsein. Welch ein Glück! Unter den Menschen kennen die einen die andern, und keiner ist allein."

    Eine Weihnachtskrippe auf grauem Stoff: Es bieten sich zahlreiche spannende Details.
    Eine Weihnachtskrippe auf grauem Stoff: Es bieten sich zahlreiche spannende Details. Foto: Klaus Vogt

    "Vielleicht lehrt uns die Corona-Zeit eines", sagt Pfarrer Mai: "Neu zu schätzen, welch ein Segen soziale Kontakte sind, und vielleicht ermuntert sie dazu, der immer größer gewordenen Gleichgültigkeit gegenüber Menschen einen Riegel vorzuschieben."

    Für diejenigen, die vielleicht etwas irritiert vor der Corona-Krippe stehen, möchte Pfarrer Mai eine Hilfestellung anbieten. Er hat einen Text verfasst, der die Intention der diesjährigen Krippen-Gestaltung erläutert. Der Text ist vorne an der Krippe angebracht.

    Kein Moos, kein Gras, kein Brunnen: Auch die Welt der Hirten erscheint trostlos.
    Kein Moos, kein Gras, kein Brunnen: Auch die Welt der Hirten erscheint trostlos. Foto: Klaus Vogt

    Übrigens: Auch Menschen, die die Idylle suchen, werden in diesem Jahr nicht enttäuscht. Denn erstmals gibt es heuer zwei Krippendarstellungen im Steigerwalddom. Am Himmelfahrtsaltar, gleich neben der Corona-Krippe, steht noch eine weitere kleine Krippe mit einem klassischen Stall, in dem die verschiedenen Figuren in den Wochen des Advents bei den Kinderkirchen Woche für Woche bereits hineingestellt wurden. An Heiligabend wird dort dann auch noch das Jesukind in der Futterkrippe seinen Platz finden.

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