So von ganz vorne betrachtet, sieht er schon gealtert aus, der gute Erwin Pelzig. Die Haare ein wenig angegraut, der Cordhut noch ein bisschen mehr zerdellt als sonst, das Männerhandtäschchen abgewetzt. Und drei Persönlichkeiten im ständigen Widerstreit mit sich herumzutragen ist sicher ermüdend. Doch seinen Biss, den hat der Pelzig nicht verloren, ganz im Gegenteil.
Das an Höhepunkten ohnehin reiche Programm neigt sich dem Ende zu, da kommt ein letzter Auftritt von Hartmut, Dr. Göbel und Pelzig im Zwiegespräch. Und plötzlich explodiert der Göbel, gestikuliert wild mit den Händen, jammert und wimmert, stampft mit den Füßen auf, fasst sich an den Kopf, zeigt wilde Grimassen und monologisiert minutenlang in irrem Tempo über die Frage, warum er sich ständig entscheiden müsse – als Bürger, als Wähler, als Konsument, als Mensch. Ein Ausbruch der schauspielerischen Extraklasse, die Quintessenz eines zweistündigen Kabaretts auf Top-Niveau. „Ich bin so schrecklich müde“, seufzt Dr. Göbel und sinkt wieder auf seinen Stuhl.
Beseelt und zufrieden
Nein, müde waren die Zuschauer ganz sicher nicht am Ende des von der Disharmonie im Rahmen der 20. Kabarettwochen im ausverkauften Theater veranstalteten Auftritts des Würzburgers Frank Markus Barwasser alias Erwin Pelzig mit dem neuen Programm „Weg von hier“. Vielmehr beseelt und gut gelaunt nach diesem mit Wort- und Pointenfeuerwerk beleuchteten Parforceritt durch alle großen Themen dieser Tage – von Donald Trump über Rechtspopulisten bis zu Flüchtlingen. Pelzig ist ein Meisters seines Faches, spielt seit Jahren in den Top ten der deutschen Kabarettisten.
Einfach mal nett sein
Ein Meister mit Tiefgang und Subtilität. Und einer Botschaft, die ihre Wirkung erst entfaltet, wenn man nachdenkt. Frei nach Kant: „Man sollte versuchen, kein Arschloch zu sein.“ Ja, das würde schon mal helfen, wenn wir das alle wenigstens ein bisschen beherzigen würden in diesen im Wortsinne verrückten Zeiten. Erwin Pelzig ist ein Spiegel-Zeiger. Einer, dem man ganz genau zuhören sollte, denn seine Sorge um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist nicht nur auf hohlen Gag-Phrasen aufgebaut. Sie ist echt, sie ist tief gehend, sie ist hochpolitisch, sie ist manchmal defätistisch.
Pelzig kann etwas, was nicht viele können: Eine Pointe harmlos erzählen, den Zuschauer lachen lassen. Doch dann denkt man über das eben Gehörte nach und weiß ganz genau: Der meint mich. Und er weiß es.
Die Idee, sich angesichts der derzeitigen Irrungen und Wirrungen der Trump-Brexit-ISIS-Welt auf alle Fälle eine CD der Titanic-Kapelle zuzulegen, um beim Untergang nicht Helene Fischer hören zu müssen, ist durchaus überlegenswert. Genauso wie die Suche nach Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragen, die Pelzig stellt: Warum wurde Donald Trump Präsident? Wieso gibt es die AfD? Warum haben die Menschen eigentlich so viel Angst vor der Zukunft? Was treibt Despoten wie Recep Erdogan an? Welche Rolle spielt das Internet? Wie können wir älteren digitalen Einwanderer mit analogem Migrationshintergrund überhaupt noch zurecht kommen? Warum beeinflusst uns die in Sozialen Medien zu beobachtende Mischung aus Denkfaulheit, Rechtschreibschwäche und Internetanschluss so sehr?
Heuchelei entlarven
Erwin Pelzig ist besonders gut, wenn er politische Heuchelei beim Namen nennt. Dann entfaltet er doppelte Wirkung, seine Perspektivwechsel prangern an und entlarven. Und zeigen glasklar: Wir müssen aufhören zu jammern. Und beginnen keine Arschlöcher mehr zu sein. Ob die AfD eine Schande für Deutschland sei, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble befunden hatte, fragt sich Pelzig. Nein, „das ist Demokratie und ist es nicht interessant, dass die, die die Demokratie ablehnen, am Ende im Parlament sind?“ Eine Schande, befindet Pelzig, sind ganz andere Dinge: Kinderarmut in Deutschland; die Tatsache, dass es in einem so reichen Land wie unserem zehntausende Menschen gibt, die zu den Tafel-Vereinen gehen müssen, um etwas zu essen zu bekommen. „Eine Schande für Deutschland ist, dass Wolfgang Schäuble nicht sagt, dass das eine Schande ist.“
Erwin Pelzig zerlegt Probleme haarklein, leuchtet jeden Winkel aus, lässt nichts ungesagt. Obergrenze für Flüchtlinge und schärfere Gesetze nach Terroranschlägen, Lieblingsthemen der CSU? „Wenn man Heuchelei in Energie umwandeln könnte, wäre das fossile Zeitalter lange vorbei.“ Oder die Frage nach Ursache und Wirkung. Das Lachen bleibt einem im Hals stecken, wenn man die Tragweite der mit bittersüßer Ironie vorgetragenen Probleme senegalesischer Fischer und ghanaischer Tomatenbauern mit EU-Subventionen und der Flüchtlingsproblematik durchdrungen hat. Irgendwie kann man verstehen, dass Dr. Göbel einfach nur müde ist. Aber trotzdem: Lasst uns täglich aufs Neue versuchen, keine Arschlöcher zu sein.
ONLINE-TIPP
Die Kabarettwochen der Disharmonie gehen noch bis 28. April. Informationen, Tickets und Termine unter www.disharmonie.de