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SCHWEINFURT: Gelebter Austausch: „100 Prozent türkisch“ und trotzdem deutsch

SCHWEINFURT

Gelebter Austausch: „100 Prozent türkisch“ und trotzdem deutsch

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    Gelebter Austausch: Türkische Schüler aus der Partnerschule des Celtis-Gymnasiums aus Izmir diskutierten mit Schweinfurter Türken der Auenschule. Das Foto musste am Schweinfurt-Symbol sein – logisch. Links der türkische Lehrer Orhan Bilicen, rechts hinten Auenschulleiterin Ingrid Göger, links daneben die Vorsitzende des städtischen Integrationsbeirates, Ayfer Fuchs (mit Brille), und Celtis-Lehrer Elmar Arnold.
    Gelebter Austausch: Türkische Schüler aus der Partnerschule des Celtis-Gymnasiums aus Izmir diskutierten mit Schweinfurter Türken der Auenschule. Das Foto musste am Schweinfurt-Symbol sein – logisch. Links der türkische Lehrer Orhan Bilicen, rechts hinten Auenschulleiterin Ingrid Göger, links daneben die Vorsitzende des städtischen Integrationsbeirates, Ayfer Fuchs (mit Brille), und Celtis-Lehrer Elmar Arnold. Foto: Foto: Hannes Helferich

    Die Begegnung ist aus vielerlei Gründen eine besondere: Die 20 jungen Leute aus der türkischen Dreimillionenmetropole Izmir sind Schüler der Bornova Anadolu Lisesi, seit vier Jahren Partnerschule des Celtis-Gymnasiums. Eine Diskussionsrunde findet aber in der Auen-Mittelschule statt. Klar, es gibt dort viel mehr junge Schweinfurter Türken als am Celtis.

    Zwei Schulstunden lang berichten die 20 deutschen Türken von ihren Sorgen, Problemen, aber auch den Freuden in ihrer Wahlheimat, für viele das Geburtsland. Und die 16- bis 17-Jährigen aus Izmir erzählen über das Leben bei sich zuhause in der weltoffenen Stadt an der Ägäis.

    Am Celtis wird altgriechisch gelehrt, weshalb der jahrelange Austausch mit einer griechischen Schule logisch war. Dieser Kontakt endete aber vor vier Jahren. Die griechische Seite konnte den regelmäßigen Austausch nicht mehr finanzieren. Weil sich Ersatz in Griechenland nicht fand, entschied man sich für Izmir. An der ägäischen Küste gibt es viele antike Stätten, die im Unterricht eine Rolle spielen, begründete Celtis-Lehrer Elmar Arnold diese Liaison. Als Beispiele nannte der Oberstudienrat Ephesus und Pergamon.

    An der Partnerschule Bornova Anadolu Lisesi werden 2000 Schüler unterrichtet, fast die Hälfte lernt (in vier Jahren) Deutsch, berichtete Lehrer Orhan Bilicen. Im Moment unterrichten auch zwei deutsche Lehrer Deutsch, vor geraumer Zeit waren es noch 15, bedauert Bilicen. Im März waren 20 Schweinfurter Gymnasiasten in Izmir, jetzt sind genauso viele junge Türken zu Gast am Celtis.

    In den zehn Tagen geht es um Wirtschaft, Kunst und Kultur, wofür Besuche bei FAG-Schaeffler, in Bamberg und Würzburg stehen. Hauptsächlich dreht sich aber das meiste ums gegenseitige „Kennenlernen“ – der unterschiedlichen Schulsysteme, der Sitten, Gebräuche und Lebensweisen. Und darum, Vorurteile, Ängste, Vorbehalte abzubauen.

    Schulraum in der Auen-Mittelschule: Alle sitzen im Kreis. Mehr als die Hälfte der Schüler haben einen Migrationshintergrund. Die Türkischstämmigen sind in dieser Hälfte eine Minderheit, verrät Schulleiterin Ingrid Göger. In Schwung kommt die Diskussion erst nicht. Die Fußball-EM hilft.

    „Wir hoffen dass Deutschland gewinnt“, sagt Seda und begründet das so: „Weil wir hier leben“. Mit ein Grund ist auch Mesut Özil. Dass er sich für schwarz-rot-gold entschieden hat, ist Grund für ein kleines Streitgespräch. Als Egecan sagt, dass die Türkei auch mit Ösil nicht gewinnen würde, als Lehrer Bilicen erinnert, dass für die Türkei der gebürtige Brasilianer Aurelio kickt, ist das Thema durch, das Eis gebrochen.

    Der neutrale Beobachter erfährt von den Schweinfurter Türken, dass sie lieber unter sich sind, weil man sich im Fall des Falles „nicht im Stich lässt“, sagt Emre. Die Kontakte zu deutschen Familien sind eher gering, sagen einige, wenngleich Seda korrigiert: Ihre Mutter hat viele deutsche Freunde. Als die Schweinfurter das wieder freche Auftreten rechter Gruppen bedauern, erfährt Schweinfurt von Izmir, dass es auch in der Türkei rechte Gruppen gibt.

    Was läuft gut? Bynamin. Aydin, Corsen und Mehmet nennen ihre Schule mit den vielen Möglichkeiten, etwa die Berufspraktika. Sie fühlen sich von den Lehrern akzeptiert, die Berufschancen seien besser, es gibt Begleiter, die beim Berufseinstieg helfen, auf Vorstellungsgespräche wird vorbereitet, es gibt Bewerbungstrainings. Eine andere, Aydin aus Schweinfurt, berichtet von einer schlechten Erfahrung: Sie habe, weil bekennende und freiwillige Kopftuchträgerin, einen Praktikumsplatz nur bei einer türkischen Firma gefunden.

    Zuhörerin ist jetzt auch die Vorsitzende des Integrationsbeirats der Stadt, Ayfer Fuchs. Es wird über den Umgang der Religionen diskutiert, über die allgemeine Freizügigkeit, die in Schweinfurt und Izmir groß ist, aber in anderen Gebieten der Türkei eben nicht, in Anatolien etwa. Lehrer Bilicen berichtet, dass es Gebiete gebe, in denen Frauen mit nackten Armen Ärger bekommen. „Das ist alles nicht mehr so frei“, sagt er.

    Fühlen sich die Schweinfurter als Deutsche oder Türken? „Zu 100 Prozent türkisch“, ist die übereinstimmende Schweinfurter Antwort. Gleich danach wird aber wieder eingeschränkt. „Wenn ich in der Türkei bin, werde ich als Deutsche angesehen“, sagt Seda. Einige andere erleben das bei Besuchen in der Türkei genauso, weshalb der wie fast alle jungen Türken sehr selbstbewusste Emre sagt: „Vier Wochen Türkei reichen mir.“

    Gibt es Schweinfurter Schüler, die eines Tages zurückkehren wollen? Einige ja, andere ganz klar Nein. Aylin etwa: „Ich bin hier geboren, ich habe mich an den Lebensstil gewöhnt, hier gibt es bessere Arbeitsmöglichkeiten, mehr Sicherheit. Die Türkei ist zwar mein Heimatland, aber mir gefällt es hier.“ Lehrer Bilicen berichtet an dieser Stelle von seinem Vater. Der war Gastarbeiter in Kassel. Er, der Sohn, kehrte in die Türkei zurück. Viele Türkei- Rückkehrer machten ihren Entschluss aber wieder rückgängig. „Weil sie sich nicht wohlgefühlt haben.“

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