(ng) „Ich ziehe die Kette mit dem Gewicht hoch, die andere mit dem Gegengewicht herunter und mein Modell von der Turmuhr der Oberndorfer Kreuzkirche zeigt die Uhrzeit wie vor 50 Jahren an“, erklärt Rudi Johann (70) nicht ohne Stolz, der seine „Turmuhr“ an der Wand eines Zimmers seines Hauses in Sennfeld aufgehängt hat. Um eine absolute Zeitgenauigkeit herzustellen, dreht er noch an einer Stellschraube, die am Ende des Pendels befestigt ist.
Vor 55 Jahren hatte er seine Lehre als Schlosser bei der Firma Hans Tröster in Schweinfurt, Deutschhöfer Straße 34, begonnen. „Im zweiten Lehrjahr hat mich mein Chef angesprochen, ob ich mich für Kirchturmuhren interessiere“, blickt Johann zurück. Die Frage hatte einen guten Grund. Der Uhrmacher Paul Rosenkranz aus dem Höllental benötigte nämlich immer wieder eine Hilfskraft, wenn Wartungsaufträge und größere Reparaturen an den Schweinfurter Turmuhren zu erledigen waren. „Rosenkranz oblag damals die Wartung der Turmuhren aller Kirchen wie auch der des Rathauses“, sagt Johann.
Er fand die Aufgabe interessant und nahm an. Einmal stand eine sehr umfangreiche Reparatur im Turm der Heilig Geist Kirche an. Dabei musste das Uhrwerk völlig auseinandergenommen werden. „Für das beschwerliche Heruntertragen der Uhrenteile vom Turm habe ich vom Küster ein Trinkgeld erhalten, über das ich mich sehr gefreut habe“, erinnert sich Johann.
In diese Zeit fallen auch Inspektionen der Turmuhren von St. Kilian und St. Johannis. „Die Reparaturarbeiten konnten je nach Höhe des Uhrwerks ohne oder mit Leiter durchgeführt werden“, berichtet Johann. Zur Sicherheit der Arbeitskräfte bei den Inspektionen, befand sich am Eingang des jeweiligen Turms ein Hauptschalter. Damit konnte sichergestellt werden, dass die Glocken während der Arbeit nicht bewegt werden.
„Das Läuten der Glocken bei einer Beerdigung in der Oberndorfer Kreuzkirche hätte für uns böse Folgen haben können“, erzählt Johann. Denn in der Kirche gab es diesen Hauptschalter nicht. Einmal konnten sich Rosenkranz und Johann beim Entrosten des Uhrwerks im letzten Augenblick gerade noch in Sicherheit bringen.
Bei dieser Gelegenheit machte Uhrmacher Rosenkranz den Vorschlag, Johann könne als einmaliges Gesellenstück die Turmuhr der Kreuzkirche als Modell nachbauen. Sie eigne sich dafür besonders, weil sie nach „alten Handwerker-Grundsätzen“ und nicht maschinell gefertigt sei.
„Ich war von der Idee total begeistert und Uhrmacher Rosenkranz begann sofort die Turmuhr zu vermessen“, berichtet Johann. Die Ergebnisse der Messungen bildeten die Grundlage für die Fertigung der 43 Einzelteile. So entstanden zunächst die zwei Rahmenteile, in denen die Achsen aufgehängt sind. „Für die Dreharbeiten beispielsweise zur Fertigung der Messingbüchsen, in denen die Achsen laufen, stellte mir Rosenkranz seine Werkstatt zur Verfügung“, berichtet Johann.
Die Achsen und die an ihnen befestigten Räder wie Gang-, Zwischen- und Trommel-Rad habe er in den Räumen der Firma Tröster über offenem Feuer geschmiedet. „Die Zahnräder mussten noch über Körper im Schmiedeofen gebogen und die Zähne nach der Zahneinteilung herausgebohrt und gefüllt werden“, erläutert Johann.
Das Trommelrad verband Johann mit der Kette, an der das Gewicht aufgehängt wurde Neben diesen Teilen fertigte Johann unter anderem das „Blatt“ mit den zwölf Ziffern und den zwei Zeigern wie auch die mit Blei ausgegossene Pendellinse.
„Etwa 50 Stunden habe ich benötigt, bis ich mein Turmuhr-Modell als Gesellenstück bei der Prüfungskommission zur Begutachtung einreichen konnte“, bilanziert Johann.
Seine bestandene Gesellenprüfung als Bauschlosser mit der Note „sehr gut“, die ihm auch den Titel „Kammersieger“ einbrachte, führt er auch auf seine einmalige Turmuhr zurück, mit der er die Prüfer überraschte.
„Heute werden Wartungs- und Reparaturarbeiten an den Turmuhren in der Stadt von auswärtigen Firmen aufgrund von Verträgen durchgeführt“, erklärt Johann abschließend.