„Wer hat schon mal geschwindelt?“, fragt Lehrerin Anja Meinck. Alle Finger schnellen hoch, auch Frau Meinck hebt den Arm. Dass es besser ist, einen Fehler gleich zuzugeben, als sich in einem Lügengeflecht zu verheddern – darum geht es in dieser Unterrichtsstunde. Das neue Projekt der Grundschule Werneck heißt „Werteerziehung“. Das sei ein Riesenthema an den Schulen, meint Rektor Carsten Stranz.
Welche Fehler man so zugeben soll, fragt Meinck die Klasse 2F, die sich auf dem Boden im Kreis versammelt hat. Die Kinder meinen, zum Beispiel „wenn man heimlich ferngesehen oder was anderes elektrisches gemacht hat“ oder „wenn man einen Blumentopf umgeworfen hat“. Mit dem Blumentopf gab es offenbar neulich einen Vorfall in der 2F.
Im vergangenen Jahr hatte Rektor Stranz mit allen Lehrern der Verbandsschule in Schleerieth, Waigolshausen und Eßleben Mitarbeitergespräche geführt – „und der Verfall der Werte war eigentlich durchgängig ein Thema“, erzählt er. Nicht zuletzt, weil der Unterricht behindert werde. Und auch von ehrenamtlich engagierten Eltern seien Beschwerden gekommen. Mehrere Mütter und Väter helfen, die Kinder an der Schulbushaltestelle zu beaufsichtigen – doch einige hätten laut Stranz irgendwann schlicht keine Lust mehr gehabt, weil die Kinder ihnen nicht mehr mit dem nötigen Respekt begegnet seien.
Also haben sie den besonderen Wert auf Werte zum sogenannten Schulprofil gemacht. Jede Schule ist aufgerufen, einen bestimmten Schwerpunkt herauszuarbeiten, mit dem die Schule auch von außen wahrgenommen werden soll. Eine Arbeitsgruppe aus Lehrern und Eltern wurde gegründet, Anja Meinck leitet sie.
Herausgekommen ist ein umfangreiches Konzept, das verkürzt etwa so aussieht: Es gibt acht Grundwerte – Achtsamkeit, Konfliktfähigkeit, Höflichkeit, Ehrlichkeit, Kommunikationsfähigkeit, Hilfsbereitschaft, Toleranz und Zuverlässigkeit. Zu jedem Wert gibt es mehrere konkrete Verhaltensregeln, die im Laufe der vier Grundschuljahre einzeln drankommen, insgesamt 65 Stück. Es gibt keine Extra-Unterrichtsstunden dafür, auch weil soziales Verhalten im bayerischen Lehrplan für Grundschulen vermerkt ist. In der 2F geht es gerade um den Wert Ehrlichkeit und die Regel „Ich gebe einen Fehler zu“.
Anja Meinck übt den guten Vorsatz mit einem Rollenspiel. Jeweils zwei Schüler spielen einen Konflikt durch – einmal mit Verleugnung eines Fehlers, einmal wird der Fehler sofort eingeräumt. Die Moral von der Geschichte ist klar. Außer mit dem Rollenspiel erarbeiten die Lehrer die Werte auch noch mit Arbeitsblättern, Büchern, Liedern oder Vorträgen. Meinck und ihr Team erstellen schrittweise ein dickes Unterrichtswerk, dass einmal drei Aktenordner füllen soll.
Schon jetzt sehe sie, dass die Werteerziehung etwas bringe, meint die Lehrerin. Erst vor ein paar Tage hätten zwei Schüler im Keller gegen die Klotür getreten. Als Anja Meinck sie darauf ansprach, hätten sie das auch gleich zugegeben. „Da hätte ich früher eine Viertelstunde im Unterricht drüber diskutiert, die hätten sich gewunden.“ An die Wand hat Anja Meinck deshalb ein grünes Lachgesicht gepinnt – die Klasse hat gut gelernt, einen Fehler zuzugeben.
Doch damit ist die Sache mit dem Benimm nicht ad acta gelegt. „Wir wollten auch nicht bloß einen Werte-Tag oder ähnliches machen, sondern das Thema dauerhaft in die Schule integrieren“, sagt Meinck. Dazu gehöre auch, selbst ein Vorbild zu sein. Und natürlich, die Eltern mit ins Boot zu holen. „Wir wollen die Eltern auch ermuntern, am Samstag mit den Kindern beim Bäcker ein nettes ,Grüß Gott‘ zu üben.“
Werte leiden unter Alltagshektik
Ist die Werteerziehung nicht überhaupt eher Eltern-Sache? Immer häufiger wird darüber diskutiert, dass die Schule klassische Erziehungsaufgaben von Mutter oder Vater übernimmt. „Bei der heutigen Schnelllebigkeit und Hektik im Alltag gehen vermeintliche Kleinigkeiten wie ,Bitte‘, ,Danke‘ oder ein freundlicher Gruß auf der Straße leicht verloren“, findet Rektor Stranz. Ob sich die Erziehungsberechtigten nicht auch auf den Schlips getreten fühlen? Der Schulleiter ist zuversichtlich: „Ich habe bislang nur positive Rückmeldungen bekommen.“