"50 Jahre fährt Erwin Räth schon Mähdrescher - das ist doch einen Zeitungsartikel wert, oder?" Werner Treutlein hat Recht. Er ist der Chef der Firma Treutlein, die als KFZ-Werkstatt bekannt ist, aber schon seit 1962 auch als Lohndruschunternehmen tätig ist. Alois Treutlein, der Vater des jetzigen Firmeninhabers, hatte bereits mit dem Mähdreschen begonnen.
Erwin Räth erzählt, dass er im zarten Alter von 14 Jahren zuhause in Gernach schon Mähdrescher fuhr. Mehrere Landwirte, darunter auch Erwins Vater Hermann, hatten gemeinsam einen Mähdrescher gekauft, und Erwin durfte mit dem Sonderführerschein schon auf den Bock. Allerdings drosch er nur auf den eigenen Äckern. Als seine Familie dann aus der Mähdreschergemeinschaft ausstieg, wollte Erwin gerne weiter Mähdrescher fahren. So stieg er vor 50 Jahren bei der Firma Treutlein als Mähdrescherfahrer ein. Denn: "Mich fasziniert bis heute alles, was ein Lenkrad hat."
Körner kamen in Säcke
Viele abenteuerliche, aber auch lustige Begebenheiten aus seiner Mähdrescher-Lebensgeschichte kann der Jubilar erzählen – allein darüber könnte man ein Buch schreiben. Der Blick zurück: Die Mähdrescher damals um das Jahr 1970 hatten eine Mähbalkenbreite von 2,60 Meter und 60 PS unter der Haube. Das Getreide wurde noch auf der Maschine in Säcke abgefüllt, die dann vom Mähdrescher abgeladen werden mussten. Zwei Leute mussten sich darum kümmern. Entweder wurden die Säcke aufs Feld gestellt und später aufgeladen oder sie wurde direkt auf den Anhänger umgeladen.

19 Jahre war lang Erwin Räth in der "Freiluftkabine" unterwegs, wie er es nennt: Es gab keine Kabine. Man war dem Staub und der Sonne schutzlos ausgesetzt. Ein Fahrerkollege aus der damaligen Zeit war einmal so staubbedeckt, dass ein Passant verwundert fragte, ob bei den Treutleins jetzt auch Schwarze angestellt wären. Räth erinnert sich auch daran, dass er einen Acker mit Raps nur bergabwärts fahrend dreschen konnte. Bergaufwärts reichte die Motorkraft des Mähdreschers nicht aus...
Flucht vor der Polizei
Man musste damals ein besonders gutes Gehör haben beim Rapsdreschen in der Dunkelheit: Das veränderte Geräusch des Mähdreschers, wenn das Feld zu Ende war und kein Raps mehr vom Mähwerk erfasst wurde, war der alleinige Hinweis, dass man jetzt anhalten muss. Sonst wäre der Mähdrescher auf einem steilen Abhang gelandet. Nicht zur Nachahmung empfohlen, aber inzwischen schon verjährt: Auch wenn das Mähwerk damals "nur" 2, 40 Meter breit war, war es nicht erlaubt, mit montiertem Mähwerk auf der Straße zu fahren. Aber es war halt einfacher, den kurzen Weg von einem Getreidefeld zum anderen zu fahren, ohne das Mähwerk abzubauen und an den Mähdrescher anzuhängen, wie es eigentlich Vorschrift war. Als Räth da ein Polizeifahrzeug kommen sah- damals fuhr die Polizei noch VW-Käfer – ergriff er mit seinem Mähdrescher die Flucht quer über schon gepflügten Äcker. So entkam er der polizeilichen Verfolgung.

Wesentlich komfortabler wurde das Mähdrescherfahren, als die Mähdrescher mit Kabine ausgestattet waren: Zumindest vor dem Staub blieb man weitgehend verschont, aber die Temperaturen in der Kabine erreichten über 60 Grad. Da war es angezeigt, kräftig zu trinken. Anfang der neunziger Jahre gab es dann die ersten Mähdrescher, die eine klimatisierte Fahrerkabine hatten: "Das war das Paradies für uns Fahrer", erinnert sich Räth. Standard war damals schon, dass die Maschinen einen Körnertank hatten, der bequem auf den Hänger des Landwirts entladen werden konnte. So konnte das Getreide sofort abtransportiert werden.
Die Mähdreschertechnik wurde stets weiter entwickelt. So haben heutige Mähdrescher Motoren mit 500 PS und mehr, die Mähwerkbreite beträgt 7,50 Meter. Klar, dass dadurch die Leistungsfähigkeit auch zunimmt und die Wünsche der Landwirte, dass schnell gedroschen wird, besser erfüllt werden können.
Zwei Wochen in der Rhön
Da die Firma Treutlein früher auch Lohndrusch-Aufträge in der Rhön hatte, konnte es geschehen, dass Räth manchmal zwei Wochen in der Rhön blieb. Diese Aufenthalte sind ihm aber trotz der Strapazen, die das Dreschen mit sich brachte, in guter Erinnerung: Man wurde gut aufgenommen, an guter Verpflegung, die er, und alle, die dort als Mähdrescherfahrer unterwegs waren, mangelte es nie. Auch wenn die Ernteeinsätze ihn manchmal bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit forderten – es sollte ja alles möglichst schnell gedroschen werden, bevor der nächste Regen oder das nächste Gewitter kam – zieht Erwin Räth eine positive Bilanz: "Ich bin gerne Mähdrescher gefahren, es hat mir Spaß gemacht."
Ein Grund, dass Erwin Räth dem Mähdreschen so lange treu geblieben ist und noch bleibt, war auch die herzliche Aufnahme in der Familie Treutlein: Abends nach dem Ernteeinsatz saßen die Fahrer immer noch bei einem guten Essen beisammen, und zum Ende der Erntezeit traf man sich zum Abschlussessen.
Getreideernte im Oktober
Die Zeiten haben sich geändert: Die größeren und leistungsfähigeren Maschinen sorgen für kürzere Einsatzzeiten. Erwin Räth kann sich erinnern, dass früher sein letzter Einsatz erst am 8. Oktober war – heute kaum mehr vorstellbar. Aber über die Zeit hinweg bleibt man doch herzlich verbunden. "Man kann sich auf Erwin immer verlassen, und er ist bereit einzuspringen, wenn Not am Mann ist", lobt Werner Treutlein seinen bewährten Fahrer. Und beide sind froh und dankbar für die 50 unfallfreien Jahre, in denen Erwin Räth mit den Mähdreschern unterwegs war.