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SCHWEINFURT: Hubert Seggewiß: Der Patient muss mitarbeiten

SCHWEINFURT

Hubert Seggewiß: Der Patient muss mitarbeiten

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    Herzlich nahm Professor Dr. Hubert Seggewiß Abschied von seinen Patienten. Das Ganze in ungewöhnlichem Rahmen: In der Christuskirche.
    Herzlich nahm Professor Dr. Hubert Seggewiß Abschied von seinen Patienten. Das Ganze in ungewöhnlichem Rahmen: In der Christuskirche. Foto: Foto: Josef Lamber

    Ein ungewohntes Bild in der voll besetzten Christuskirche: Mit Beifall und stehenden Ovationen dankten Patienten und langjährige Seminarbesucher dem Schweinfurter Kardiologen Prof. Dr. Hubert Seggewiß.

    Er hat in den vergangenen 17 Jahren als Chefarzt die Medizinische Klinik I des Leopoldina-Krankenhauses geprägt, und er beendet nun zum Monatsende aus Altersgründen seinen Dienst. Nach seinem letzten Arzt-Patienten-Seminar bildete sich schnell eine Schlange wartender Menschen, die sich persönlich von Prof. Seggewiß verabschieden und ihm für seine ärztliche Hilfe – oft aus akuter Lebensgefahr – danken wollten.

    140 Herz-Seminare angeboten

    „Lassen Sie uns zusammen Bilanz ziehen, was wir hier in der Leopoldina-Kardiologie seit dem Jahr 2000 getan und erreicht haben“, begrüßt Seggewiß seine Zuhörer. Dazu hätten auch die 140 Herz-Seminare gehört: Durch diese Informationen sei das Bewusstsein der Patienten gestiegen, dass zum Gelingen einer Therapie auch ihre eigene konsequente Mitarbeit gehört. Für alle Unterstützung dankte Seggewiß der Deutschen Herzstiftung, der Volkshochschule, den Medien und besonders dieser Redaktion.

    Als mögliche Behandlungsziele der Kardiologie nennt Seggewiß: Heilung, Lebensverlängerung, Linderung oder Beseitigung der Beschwerden (mehr Lebensqualität ohne Verschlechterung der Prognose) und die Palliativversorgung zur Begleitung sterbender Patienten.

    Seggewiß zitiert den Nobelpreisträger Linus Pauling „Wissenschaft ist Irrtum auf den neuesten Stand gebracht“. Alles was heute in der Medizin en vogue sei, könne sich übermorgen als falsch erweisen.

    Kritisch und zurückhaltend bei neuen Verfahren

    Auch er sei bei der Einführung neuer Verfahren oder Medikamente immer kritisch und eher zurückhaltend gewesen, sagt Seggewiß. Als Beispiel nennt er die Katheter geführte Verödung der Nervenfasern in den Nierenarterien bei therapieresistentem arteriellem Bluthochdruck. Das Verfahren sei schon seit den 50er Jahren bekannt gewesen, vor einiger Zeit wieder propagiert worden.

    Nach strengen Kriterien seien jedoch in einem halben Jahr nur zwei seiner Patienten für dieses Verfahren in Frage gekommen. Neueste Veröffentlichungen hinsichtlich der geringen Effektivität hätten inzwischen seine Zurückhaltung bestätigt.

    Höhere Lebenserwartung

    Anschaulich beschreibt der Chefarzt das Herz-Kreislauf-System und nennt die großen Bereiche einer möglichen Herzerkrankung: Akuter Herzinfarkt, chronische Herzkranzgefäß-Erkrankung, Herzmuskelerkrankung, Herzschwäche, Herzklappenfehler, Herzrhythmusstörungen.

    Was habe die Kardiologie erreicht? Sie habe großen Anteil an der höheren Lebenserwartung und sei verantwortlich für die deutliche Abnahme der Todesfälle durch Herzkrankheiten etwa ab 1980.

    Als Ursachen für diesen erfreulichen Trend nennt der Kardiologe ein gesteigertes Problembewusstsein, verbesserte Vorbeugung (auch durch „gehasste“ Fettsenker), optimierte Behandlung des akuten Herzinfarkts und verbesserte Therapie bei Herzschwäche. „Zwei Grundregeln sollte man immer befolgen, wenn man Medizin betreibt“, betont Seggewiß. 1. Welche Erkrankung liegt vor, warum liegt diese Erkrankung vor? 2. Wer kann was tun mit dem größten Vorteil für den Patienten, nicht für den Geldbeutel der Industrie oder des Behandlers.

    Als beeinflussbare, also selbst verursachte Risikofaktoren nennt Seggewiß: Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel, hohes Cholesterin, Zuckerkrankheit und Stress. Nicht beeinflussbar sind das Alter, die Vererbung und das Geschlecht.

    Risikofaktoren

    Die beeinflussbaren Risiken abzubauen stehe unverzichtbar am Beginn jeder Therapie. Als „neue“ Risikofaktoren gelten Entzündungen im Körper, Erhöhung von Homocystein und Mangel an Folsäure.

    Frauen haben generell dieselben Risikofaktoren wie Männer, allerdings sind sie meist bis zur Menopause durch die Östrogene vor dem Herzinfarkt geschützt. Verhängnisvoll sei die Kombination von Rauchen und Pille (vierfaches Infarktrisiko). Bei Diabetikerinnen ist dieses Risiko um das Sechsfache, bei Diabetikern um das Vierfache erhöht.

    Akuter Herzinfarkt: 112 anrufen

    Mögliche Beschwerden sind plötzliche und anhaltende Brustschmerzen, Luftnot, Herzrhythmusstörungen bis zum Herzstillstand. Die Schmerzen werden von den Betroffenen meist in der linken Brustseite, im Rücken, mit Ausstrahlung in den linken Arm, Kiefer und Magen beschrieben („Vernichtungsgefühl“, „wie ein Gürtel“).

    Nitroglyzerin hilft nicht. Frauen haben häufiger atypische Beschwerden wie Müdigkeit und Übelkeit, aber auch die bereits genannten wie Brustschmerzen, Luftnot und Rhythmusstörungen.

    Anschaulich schildert Seggewiß die Infarktbehandlung, deren Ergebnis entscheidend von einer raschen Klinikeinweisung abhängt. Leider betrage der durchschnittliche Zeitverlust (Prähospitalzeit), meist durch die Patienten verursacht, immer noch etwa drei Stunden. Deshalb sofort Notarztwagen Tel. 112 rufen! Halbiert habe sich die Zeit von der Krankenhauspforte bis zum Katheterlabor: Einmal durch den 24-Stunden-Notdienst im Leopoldina, aber auch durch das von ihm initiierte EKG-Fax aus dem Notarztwagen an den Kardiologen im Krankenhaus.

    Leopoldina weltweites Zentrum

    Ebenso ausführlich berichtet Seggewiß über die Ursachen, Diagnose (sinnvoll ist eine Biopsie) und Therapie der verschiedenen Herzmuskelerkrankungen. Bei der angeborenen Herzmuskelverdickung sei durch seine Bemühungen das Leopoldina zu einem führenden Zentrum mit Patienten aus Europa, den USA, Asien, Australien und Afrika geworden.

    Zu den Behandlungsmöglichkeiten der Herzschwäche gehöre auch die so genannte „Elektrotherapie“: Bei dem automatisierten implantierbaren Defillibrator sei er wegen der möglichen Komplikationen zurückhaltend gewesen. Das gelte noch mehr für das implantierbare CRT-System, das das Pumpverhalten des Herzens unter bestimmten Voraussetzungen verbessern könne - „wenn alles andere ausgeschlossen ist“, sagt Seggewiß.

    Auch bei der Behandlung der Herzklappen-Erkrankungen gäbe es neue Entwicklungen, etwa die Katheter geführte Therapie der Undichtigkeit (Insuffizienz) der Mitralklappe durch Clipping der Klappensegel ohne Eröffnung des Brustraums. Von den vielen Herzrhythmusstörungen sei das Vorhofflimmern am weitesten verbreitet, 25 bis 30 Prozent aller älteren Menschen sind davon betroffen.

    Therapiemöglichkeiten sind Behandlung der Herz-Grundkrankheit, Vorbeugung von Embolien durch Blutverdünner, Frequenzkontrolle durch Medikamente oder Rhythmuskontrolle (Medikamente oder „Elektroschock“). Bei der Katheterablation wird mit Hochfrequenzstrom eine Reihe von Verödungspunkten gesetzt, um den Ursprungsort des Vorhofflimmerns zu isolieren.

    Optimale Akutversorgung

    Was sei in den vergangenen 17 Jahren gelungen, fragt Seggewiß. Mit Genugtuung könne er hier die optimale Akutversorgung des Herzinfarkts nennen, daneben eine maßvolle Etablierung neuer Methoden, sowie seine erfolgreichen Bemühungen, das Leopoldina zu einem führenden Zentrum bei Herzmuskelverdickung zu machen.

    Nicht überzeugen konnte er die Leopoldina-Leitung von der Einführung vorbeugender Maßnahmen in den Klinikalltag (Stichwort rauchfreies Krankenhaus) und die Schaffung nachhaltiger Strukturen zur Bindung von Patienten mit Herzmuskelerkrankungen an das Leopoldina-Krankenhaus.

    Kritisch äußerte sich Prof. Seggewiß abschließend zum Thema Ökonomisierung. Sein Appell: „Der hilfsbedürftige Patient darf niemals als zahlender Kunde oder betriebswirtschaftliches Risiko in einem ausschließlich gewinnorientiertem Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus betrachtet werden.“

    Großer herzlicher Beifall, dann ein langes Defilee seiner Patienten für ein persönliches Adieu, für ein aufrichtiges Dankeschön.

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