Schweinfurter Tagblatt/Volkszeitung haben in den vergangenen Monaten 50 Selbsthilfegruppen aus Schweinfurt Stadt und Land vorgestellt. Zu der Serie erreichte die Redaktion der Bericht einer Betroffenen, der über die sachliche Information hinausgeht und die Rolle der Selbsthilfegruppen aus persönlicher Erfahrung beleuchtet:
„Mein Name ist Karin. Ich bin seit Geburt muskelkrank. Die arme Frau – so werden jetzt viele denken. Aber nein, ich bin nicht arm. Unter Muskelkrankheiten versteht man 800 verschiedene neuromuskuläre Erkrankungen. Wenn man die Diagnose erhält, bricht eine Welt zusammen. Alle Zukunftspläne scheinen sich zu zerschlagen. Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war.
Dass dies nicht so sein muss, zeigt sich, wenn man sich mit Muskelkranken unterhält. Natürlich hat man Einschränkungen, die sich schnell oder auch schleichend einstellen. Oft führt einen die Krankheit in den Rollstuhl, seltenen sogar zu einem raschen Tod.
Trotzdem verkriechen sich die meisten Muskelkranken nicht, sondern organisieren sich und treffen sich in Kontaktgruppen für Muskelkranke. Eine dieser Selbsthilfegruppen ist der Muskelstammtisch Schweinfurt, der sich einmal monatlich im Sportheim Geldersheim zum geselligen Zusammensein trifft. 1996 hat sich die Gruppe nach einer Informationsveranstaltung der Volkshochschule und dem DGM-Landesverband Bayern gegründet.
Ich war Gründungsmitglied und habe die Gruppenleitung. Ich kümmere mich um Zuschüsse der Krankenkassen und des Bezirks, organisiere Treffen mit anderen Gruppen und lade Referenten ein. An erster Stelle steht die Geselligkeit. Wir tauschen uns aus. Es wird immer viel gelacht. Wir unternehmen Ausflüge. Wir gehen in den Zoo, in den Wildpark oder in die Höhen eines Baumkronenpfads. Auch Städte machen wir unsicher.
Muskelkranke sind ein überwiegend lustiges Völkchen. Wenn man die Krankheit nicht von Anfang an hat, sondern erst später betroffen ist, ist es nicht einfach, die Diagnose und die Folgen zu bewältigen. Wenn man merkt, dass die Kraft nachlässt, man auf seinen Sport und das Hobby verzichten muss, ist man niedergeschlagen. Banale Sachen wie Treppensteigen, das Aufstehen von Stühlen ohne Armlehnen sind irgendwann nur schwer zu bewältigen. Töpfe und Pfannen werden zu schwer. Das lässt verzweifeln. Meist werden die Veränderungen ganz langsam im Laufe von Jahren spürbar. Auch bei gleicher Diagnose kann der Verlauf komplett unterschiedlich sein.
Spinale Muskelatrophie wurde bei mir diagnostiziert. Ich kann noch kurze Strecken gehen. Ich kann nicht rennen, in die Hocke gehen, meine Arme über dem Kopf heben und schwere Sachen heben. Treppensteigen gelingt nur unter großer Anstrengung, wenn ich mich am Geländer hochziehen kann. Andere sind mit dieser Diagnose von klein an im Rollstuhl, konnten nie gehen, selbstständig sitzen oder stehen.
Wird die Diagnose gestellt, wird heute gegoogelt. Die Ergebnisse sind sehr zweifelhaft. Niemand kann voraussagen, welchen Weg die Krankheit nimmt. Eine erste Hilfe kann eine Beratung durch eine Sozialpädagogin der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (ein Sozialverband) sein. Der DGM-Landesverband Bayern unterhält durch die Fördermöglichkeiten des Landes und der Bezirke drei Muskelzentren in Kooperation mit Neurologischen Unikliniken in München, Erlangen und Würzburg. Den Kranken helfen hauptamtliche Sozialpädagogen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Verwaltungskräfte. Bayern bietet so bundesweit die bestmögliche Beratung. Viele Ehrenamtliche sind in der DGM als Kontaktpersonen tätig, geben nach der Diagnose Rat und Halt. Meistens folgt ein Treffen in den Selbsthilfegruppen. Dort erlebt der Neue, dass die Diagnose nicht das Ende des alten Lebens bedeuten muss.
Muskelkranke arrangieren sich mit ihrer Krankheit. Bislang unerkannte Fähigkeiten werden entwickelt und Tricks entdeckt, die die fehlende Kraft ausgleichen. Neue Interessen, die das Leben lebenswert machen, werden geboren. Man organisiert sein Leben neu. Wenn das Umfeld zu dem Betroffenen steht, kann man ein glückliches und erfülltes Leben führen.
Nein, ich bin nicht arm! Ich habe einen Beruf, der mir Spaß macht, ich habe Freunde, die mich akzeptieren, ich habe viele Fähigkeiten, die ich besser beherrsche, als mancher Gesunde, ich habe Hobbys, die mich ausfüllen und ich habe Familie und Partner, die mich lieben und unterstützen, bei denen ich nicht als behindert gelte. Ich bin reich an Leben und Lebensfreude.
Jeden dritten Dienstag im Monat trifft sich unser Muskelstammtisch im Sportheim in Geldersheim. Wir freuen uns immer über den Besuch von Interessierten und Neugierigen. Infos bei Karin Roth unter Tel. (09363) 99 45 60.“