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Interview Christian Kreppel: Noch ein paar Pfeile im Köcher

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Interview Christian Kreppel: Noch ein paar Pfeile im Köcher

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    Der Himmel voller Geigen: Die Geschwister Well in „Fein sein, beinander bleibn“ von Franz Wittenbrink in einer Produktion der Münchner Kammerspiele.
    Der Himmel voller Geigen: Die Geschwister Well in „Fein sein, beinander bleibn“ von Franz Wittenbrink in einer Produktion der Münchner Kammerspiele. Foto: Foto: Andrea Huber

    Eigentlich steckt Christian Kreppel schon mitten in den Verhandlungen für die Saison 2014/15. So lange muss man als Chef eines Gastspielhauses vorplanen, wenn man eine solide Mischung mit ein paar prominenten Namen im Programm anbieten will. Dennoch soll hier über die jüngst vorgestellte Saison 2013/14 am Theater der Stadt Schweinfurt die Rede sein. Aber auch von den Herausforderungen, denen sich Theater und Tourneeunternehmen in Deutschland gegenüber sehen. Denn Kreppel ist vor wenigen Wochen zum Präsidenten der Inthega gewählt worden, der Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen.

    Frage: Sie sind kürzlich zum Präsidenten der Inthega gewählt worden, dem Berufsverband, der die Städte mit Gastspieltheatern vertritt. In diesen Zeiten vermutlich nicht nur ein schöner Job.

    Christian Kreppel: Natürlich freut man sich darüber, und es ist ja auch eine Ehre. Als erstes ist mir das Wort „Last“ eingefallen. Aber man ist ja nicht allein, es gibt ein Präsidium mit fünf Leuten. Die letzten Jahre hatten wir einen Präsidenten, der Politiker ist – Oberbürgermeister –, und der es jetzt aus Zeitgründen nicht mehr machen kann. Nun sollte es jemand werden, der das Theater kennt. Und mit meinem Werdegang bin ich einer der ganz Wenigen der beide Seiten kennt: Ich wurde geboren in einen Opernhaushalt, ich kenne die Tourneebranche und eben auch die Seite des Veranstalters. Und davon erhoffen sich die Kollegen viel.

    Zu tun gibt es jedenfalls genug.

    Kreppel: Natürlich gibt es jede Menge Handlungsbedarf, schon von den Basisbedingungen her. Hier in Schweinfurt und generell in Bayern geht's uns da relativ gut. Aber viele Kommunen haben enorme Schwierigkeiten, diese Kultur, so wie sie einmal war, fortzusetzen. Das gilt für die Häuser mit eigenem Ensemble ebenso wie für die Gastspielhäuser. Letztere sind besonders anfällig, wenn sie nur auf Tourneetheater angewiesen sind.

    Warum ist das so?

    Kreppel: Die Tourneetheater-Branche steckt selbst in einer Krise – weniger Abnehmerstädte, die kaufen können, weniger Termine. Eine Produktion von Brechts „Kreidekreis“, „Mutter Courage“ oder „Dreigroschenoper“ hätte Anfang der 90er-Jahre sofort 100 Termine sicher gehabt. Heute sind die Produzenten froh, wenn sie 40 Vorstellungen verkaufen. Daneben gibt es einen Trend zu immer beliebigeren Programmen.

    Also nur noch Sachen, bei denen das Haus voll ist?

    Kreppel: Genau. Schlecht gemachte seichte Komödien zum Beispiel. Und dann diese riesige Crossover-Schublade. Es gibt immer weniger gestandene klassische Genre-Produktionen – großes Musical, große Oper. Auf der anderen Seite immer mehr Grenzüberschreitendes. Dabei war die Oper selbst einmal Crossover. Sicher hat Crossover seine Berechtigung, ich sehe aber über die Jahrzehnte, dass Häuser, die die reine Event- und Crossover-Schiene fahren, zwar zeitweise Zuspruch haben, aber auf Dauer das Publikum nicht halten können. Das ist die Gefahr.

    Was können Sie denn für einen Kollegen in Nordrhein-Westfalen tun, dessen Haus von Schließung bedroht ist?

    Kreppel: Erstmal eine Analyse – gibt es Abonnenten, wo gibt's die? Als zweites: Ist das Theater in der Stadt verankert? Das ist in Schweinfurt sehr stark der Fall. Das ist aber oft nicht mehr so. Da ist keine Lobby-Arbeit gemacht worden – mit Politikern, Sponsoren, Volkshochschulen, Musikschulen, Chören, Tanzschulen. Ein Beispiel: Rüsselsheim. Opel-Stadt. Hat ein paar hundert Millionen Schulden. Da war schon die Schließung des Theaters im Gespräch. Jetzt schaffen sie es anscheinend doch, mit ganz vielen Gesprächen und Initiativen, das Haus zu halten. Der Spielplan wird komprimiert, das Angebot verkleinert, aber qualitativ hochwertig ausgestattet. Ich kann jeden Kämmerer in einer hoch verschuldeten Stadt verstehen. Der schaut erstmal, gibt es da Einnahmen. Wenn es keine gibt, wird es gefährlich. Da hilft es auch nicht mehr, wenn man von Kultur als Lebensmittel spricht. Wenn aber noch Abonnenten da sind, seien es auch nur 400, dann kann man weiterarbeiten. Unterdessen gibt es Städte, die schaffen das Abo-System ab, um völlig ungebunden zu sein. Ganz gefährlich. Treue Abonnenten, wie wir sie hier haben, sind ein Geschenk.

    Das Theater als Sündenbock für andere Versäumnisse?

    Kreppel: Das Sparen an den freiwilligen Leistungen löst ja die Grundprobleme einer Stadt überhaupt nicht. Und wenn das Theater einmal weg ist oder so drastisch verkleinert, dass es nicht mehr wiederzuerkennen ist, dann kommt es nicht mehr wieder. Heutzutage nicht mehr.

    Zurück nach Schweinfurt: Letzte Saison war mit fast 170 Vorstellungen eine Rekord-Saison. Setzen Sie 2013/14 noch eins drauf?

    Kreppel: Nein, nein, nein. Es waren 165, glaube ich. Wir können mit unserer personellen Ausstattung nicht mehr als 160, 165 Vorstellungen machen. Es sind jetzt wieder um die 160.

    Weiter auf hohem Niveau, also.

    Kreppel: Ja, solange wir diese Ausstattung und diesen Zuspruch mit den 15 Abo-Ringen haben – toi, toi, toi.

    Ist denn die Verdoppelung des Tanz-Abos aufgegangen?

    Kreppel: Ja, nur bei einer von den sechs mal zwei Vorstellungen haben wir bei der zweiten Vorstellung lediglich 400 Karten verkauft, bei David Hughes aus Schottland. Der Tanz bringt uns das „mittelalterliche“ Publikum, die 30-, 40-, 50-Jährigen. Und er wirkt überregional: Das Tanz-Publikum kommt dann vielleicht auch für andere Angebote wieder.

    Es war auch die erste Saison mit theaterpädagogischem Angebot. Wie sind die ersten Erfahrungen?

    Kreppel: Das gestaltet sich wirklich schwierig. Was nicht am mangelnden Engagement von Mahela Wiedner, unserer Theaterpädagogin, liegt, die ja in Maßbach ihre Basis hat. Und in einem produzierenden Haus gibt es viel mehr Möglichkeiten als bei uns. Wir haben Publikums-Nachbesprechungen gemacht bei Tanz, bei „Verrücktem Blut“, wo es sich anbot. Das funktioniert sehr gut. Es gibt auch Nachbesprechungen für Schulklassen. Wir bemühen uns sehr, die Schulen und Fachschaften zu gewinnen.

    Die Schulen ziehen also nicht so richtig?

    Kreppel: Nein. Es ist durch die immer engeren Arbeitsbedingungen an den Schulen immer schwerer geworden. Da sind viele Sachen passiert, die den Lehrern die Zeit und den Mut nehmen. Als ich Schüler war, sind wir nicht gefragt worden, ob wir ins Theater wollen. Da musstest du mit. Man ist neunmal im Jahr mit dem Bus die 40 Kilometer nach Wien gefahren. Wer es sich nicht leisten konnte, für den gab es einen Fonds. Da habe ich meinen ersten Thornton Wilder, den ersten Nestroy, den ersten Shakespeare gesehen. Heute meldet sich ein Lehrer an, sechs Wochen vorher, 55 Schüler, die kommen mit dem Bus. Zwei Tage davor kommt der Anruf: Wir sind nur noch 20, alle anderen haben keine Lust, keine Zeit, die Eltern haben nicht zugestimmt. Also können sie sich den Bus nicht mehr leisten, die Sache fällt flach. Es sind also oft ganz triviale Probleme.

    Die Bamberger Symphoniker haben ab der nächsten Saison einen neuen Intendanten. Wird sich für Schweinfurt etwas ändern?

    Kreppel: Nein, der neue Intendant Marcus Rudolf Axt war, bevor er zu den Berliner Philharmonikern ging, in Bamberg. Er kennt das Haus hier und seine Struktur. Es wird weiterhin acht Konzerte in Schweinfurt geben. Wir sind jetzt schon im Gespräch für 2014/2015 und danach.

    Nächste Saison gibt es Hamlet, Don Karlos, zweimal Brecht, einmal Camus – das Schauspiel kommt recht klassisch daher.

    Kreppel: Ja, könnte man sagen. Aber der Anteil der ganz neuen Stücke ist auch erheblich: Wir haben „Rot“ von John Logan, „Der letzte Vorhang“ von Maria Goos. Es ist der Lutz Hübner wieder drin, mit „Frau Müller muss weg“ – super Stück, ein Elternabend in einer Schule. Eine Lehrerin ist den Eltern ausgesetzt, das ist ganz, ganz, ganz packend.

    Klingt ein bisschen wie „Der Gott des Gemetzels“ – eine Versuchsanordnung, aus der keiner raus kann.

    Kreppel: Ja! Witzig ist auch „Der große Gatsby“, das machen im Moment viele Häuser. Jetzt kommt auch noch die aktuelle Verfilmung in die Kinos. Das ist natürlich gut für uns. Von der Regisseurin Silvia Armbruster halte ich sehr viel. Die war mit den „Wahlverwandtschaften“ hier. Ein besonderes Bonbon sind auch die Münchner Kammerspiele mit „Fein sein, beinander bleibn“.

    Die Geschwister Well mit Franz Wittenbrink – klingt spannend.

    Kreppel: Das ist im Moment der Gassenhauer in München. Durch ihren sehr, sehr anspruchsvollen Spielplan haben sie nicht immer volles Haus, durch so eine Produktion retten sie sich dann wieder in eine positive Statistik. Das ist ein grandioser Abend, bei dem sie ihr Leben erzählen und musizieren. In der Münchner Fassung ist auch die 90-jährige Mutter auf der Bühne, und es kommen Gäste vorbei, der Polt zum Beispiel. Beides kann ich aber für Schweinfurt nicht versprechen.

    Jörg Schüttauf kommt mit „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ – wie soll das denn auf der Bühne funktionieren?

    Kreppel: Was haben wir da schon Nachfragen. Ich habe das Buch auch gelesen. Ich bin gespannt, wie sie das dramatisieren werden.

    Es gibt ein Stück über Michael Jackson, eins über Harry Belafonte – Biodramen sind immer noch im Trend?

    Kreppel: Immer noch. Da gibt es massenhaft Angebote. Ich halte mich da eher zurück. Bei Belafonte bin ich wegen des Hauptdarstellers Ron Williams einfach befangen. Der hat eine riesen Fangemeinde. Da kommen auch Busse aus Thüringen.

    Ron Williams – gibt es jemanden aus dem afroamerikanischen Kulturerbe, den er noch nicht gespielt hat?

    Kreppel: Ich habe ihn gefragt, was machst du als nächstes, jetzt bleiben ja nur noch die Frauenrollen. Ron Williams sucht sich immer Gestalten mit Gehalt, und er macht es dann ja auch großartig.

    Wagners Holländer aus Donetsk in der Ukraine – funktioniert das?

    Kreppel: Ich habe es nicht geschafft, zur Premiere hinzufahren, es ist einfach ein zu weiter Weg. Aber nach allem, was ich gehört habe, immerhin war auch die Präsidentin des Internationalen Richard-Wagner-Verbands dort, soll es gelungen sein. Es ist die erste Wagner-Oper in der Ukraine. Für Regie und Ausstattung haben sie eine Top-Riege verpflichtet. In der Ukraine singen nur Einheimische, bei uns werden auch erstklassige deutsche Solisten als Gäste auftreten.

    Das Artemis-Quartett kommt wieder – auf drei Positionen neu besetzt.

    Kreppel: Ja, die stehen immer ganz oben auf meiner Wunschliste. Ich hätte sie ein Jahr früher haben können, bin aber vom Termin zurückgetreten, weil das Quartett noch in einer Umbruchphase war. Mittlerweile muss man zwei, drei Jahre vorher anklopfen. Dass das Henschel-Quartett die Saison im Foyer eröffnet, ist übrigens ein Glücksfall.

    Martin Helmchen kommt auch wieder.

    Kreppel: Da freue ich mich auch sehr drauf. Das letzte Mal war er mit der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker hier, die inzwischen seine Frau ist.

    Madeleine Lienhard singt wieder Piaf – das ist nun nicht wirklich neu. . .

    Kreppel: Nein, aber sie macht es einfach gekonnt und berührend. Sicher ist das neuerliche Engagement auch durch den 50. Todestag der Piaf begründet.

    Richtig schräg scheint „Ein bisschen Spaß muss sein“ zu werden.

    Kreppel: Das ist die Familie Malente aus Hamburg, die sind dort Kult. Die sind sehr professionell. Sie machen sich schon ein bisschen über die Schlagerwelt lustig. Aber auch nicht ganz – so, dass jemand, der Schlager liebt, immer noch seine Lieder genießen kann. Und sie reißen damit ihr Publikum mit wie kaum jemand sonst.

    Könnte man die kommende Saison ein Jahr der Konsolidierung nennen?

    Kreppel: Die Erfahrung zeigt, dass das siebte Jahr einer Intendanz oft ein Bruch ist. Konsolidierung ist eine Möglichkeit, dem zu begegnen. Man kann nicht immer mehr, mehr, mehr wollen und machen. Günther Fuhrmann, mein im Januar verstorbener hoch geschätzter Vorvorgänger, hat mir immer gesagt, verschieß' nicht alle deine Pfeile auf einmal. Und ich habe geantwortet, ein paar habe ich noch im Köcher. Und so ist es auch. Noch gehen mir die Ideen nicht aus und auch nicht die notwendige Fantasie. Aber es stimmt schon, man muss da sicher ein bisschen aufpassen. Solange die Kraft da ist und auch die Freude am Erreichten sowie am beständig hohen Zuspruch eines sehr aufgeschlossenen Publikums, blicke ich sehr hoffnungsvoll in unsere Theaterzukunft.

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