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SCHWEINFURT: Kampf übers K.o. hinaus: "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?"

SCHWEINFURT

Kampf übers K.o. hinaus: "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?"

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    Hauptsache schmerzhaft: Martha (Susanne Stein) bandelt demonstrativ mit Nick (Constantin Lücke) an, George (Philipp Otto) ist das angeblich egal.
    Hauptsache schmerzhaft: Martha (Susanne Stein) bandelt demonstrativ mit Nick (Constantin Lücke) an, George (Philipp Otto) ist das angeblich egal. Foto: Foto: Dieter Wuschanski

    „Guten Abend, gut’ Nacht, / mit Rosen bedacht, / mit Näglein besteckt, / schlupf unter die Deck: /Morgen früh, wenn Gott will, / wirst du wieder geweckt.“ – Zum Schluss sitzen Martha und George auf dem Boden, ineinandergeschlungen wie eine verkehrte Pieta, und die Spieluhr spielt dazu ein Schlummerlied: Martha und George, das Paar in den mittleren Jahren, das seine Ehe längst nur noch als Kampfplatz begreift. Zum Schluss dieser verheerenden Nacht aber hat dann doch die Sehnsucht gesiegt, wenn auch vermutlich nur für einen kurzen Moment. Die Sehnsucht nach ein wenig Wärme und Geborgenheit.

    „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ ist ein Stück über Erwartungen und Enttäuschungen. Wobei auf Erstere unweigerlich Zweitere folgen. Zwei Ehepaare, ein älteres (Martha und George) und ein jüngeres (Nick und Süße), verbringen mehr oder weniger zwangsweise eine Nacht zusammen – besaufen sich, streiten sich, demütigen sich. Schon die Vorzeichen stehen nicht besonders gut: Die Gastgeber, Martha und George, nutzen die Bühne, um aus ihrem Ehekrieg einen Schaukampf zu machen. Die Jüngeren sind mit der Situation so überfordert, dass zum Schluss auch von ihrer Ehe – die gleichermaßen auf Egoismus und Selbstbetrug gründet wie die der Älteren – nicht mehr viel übrig ist.

    Zweimal – am Dienstag und Mittwoch – hat das Theater Chemnitz den Klassiker von Edward Albee aus dem Jahr 1962 am Theater Schweinfurt gespielt. Es ist ein Kampf über mehrere Runden über das K.o. hinaus. Und natürlich wird auf den oder die, der oder die am Boden liegt, weiter eingeschlagen – gerade erst recht, zumindest verbal.

    Ein oft gehörte Frage in der Pause ist denn auch: „Kann es so etwas wirklich geben?“ Das ebenso Faszinierende wie Beängstigende: Albees Versuchsanordnung wirkt in der Inszenierung von Carsten Knödler nicht so sehr wie eine böse Utopie, sondern wie konsequent weitergedachter Alltag. Die Ausgangsfrage: Was passiert, wenn sich zwei zusammentun, die – jeder für sich – ganz bestimmte Erwartungen an sich und den anderen haben, gleichzeitig aber unwillens oder unfähig sind, damit umzugehen, wenn diese Erwartungen enttäuscht werden – tatsächlich oder vermeintlich. Ergebnis: Irgendwann fällt ein Tabu nach dem anderen. Irgendwann trägt nur noch der andere Schuld an allem, was schiefgegangen ist, und irgendwann geht es nur noch darum, dem anderen so weh zu tun wie möglich.

    Nick und Süße werden da wohl auch mal hinkommen. Im Moment allerdings sind sie noch in der Kosenamen-Phase. Im Original heißt Süße Honey – was im Amerikanischen durchaus ein Name sein kann. Die Übertragung ins Deutsche wirkt deshalb gestelzt. Die Übersetzung von Alissa und Martin Walser vermeidet Amerikanismen, wo immer möglich, was grundsätzlich nicht verkehrt ist, mitunter aber zu merkwürdigen Momenten führt. So nennt Nick George anfangs immer „mein Herr“, was hierzulande in den letzten hundert Jahren eher aus der Mode gekommen ist. Er könnte durchaus auch im Deutschen „Sir“ sagen.

    Der Ring (Bühne: Etienne Pluss) ist eine nicht übermäßig liebevoll eingerichtete Intellektuellenwohnung, die schon etwas Patina angesetzt hat, die ein, zwei Design-Klassiker unter den Möbeln haben sich aber ganz gut gehalten. Hauptrequisit ist sowieso der Barwagen: Es wird gesoffen bis zum Kotzen, bis zur Besinnungs- oder vollkommenen Hemmungslosigkeit.

    Das Ensemble ist großartig: Susanne Steins Martha ist eine Frau von unglaublicher Energie, aber auch unglaublicher Verzweiflung. Vom übermächtigen Vater fallengelassen, vom Ehemann nicht mehr wahrgenommen, lechzt sie nach Bestätigung. Und ist am Boden zerstört, als George sie nicht daran hindert, mit Nick anzubandeln. Nick (Constantin Lücke) ist der klassische College-Held: Athletisch, erfolgreich, attraktiv. Er ist es nicht gewohnt, geschurigelt zu werden, weswegen seine verbindliche Fassade bald irreparable Risse bekommt.

    George erkennt das sehr schnell und packt die rhetorische Abrissbirne aus: Philipp Otto spielt ihn als schillernden, virtuosen Zyniker am Rande echten Wahnsinns. Seine Präsenz ist mit Händen zu greifen – es ist die große Stunde des beredten Versagers George, und Philipp Otto nutzt sie. Süße ist die Vierte im Quartett und dennoch das fünfte Rad am Wagen. Im Grunde verbindet sie mit niemandem hier etwas, nicht mal mit Nick: Lysann Schläfke spielt sie mit immer wieder überraschenden Facetten als verwöhntes, launisches und bemerkenswert skrupelloses Wesen.

    Zum Schluss ist keine Verletzung unterblieben und keine (Lebens-)Lüge unentlarvt geblieben. Für Martha und George nichts Neues, für Nick und Süße allerdings schon. Zum Schluss also verdichten sich die einzelnen Pling-Töne aus dem Off allmählich zum Wiegenlied und gewähren Martha und George einen kurzen Moment der Geborgenheit. Bevor der Kampf in die nächste Runde geht.

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