Seit März erhält Alexandra Van Houtte aus Waigolshausen für drei Kinder 558 Euro Kindergeld. Sohn Pascal (19) war vom Haushalt des Vaters zu ihr gezogen. Ab September gibt's ohne Änderungsbescheid der Kasse plötzlich nur noch 368 Euro. Die Leistung für Pascal fehlt. Auf E-Mails und Schreiben der Mutter, die eine Erklärung für die kommentarlose Kindergeldkürzung fordert, reagiert die Familienkasse nicht. Erst nachdem diese Zeitung eingeschaltet ist, erfährt sie nur einen Tag später telefonisch von Behördenleiterin Heike Karbacher: Sie bekommt Kindergeld für Pascal – rückwirkend natürlich.
Nachdem im September und Oktober ohne Vorwarnung je 190 Euro Kindergeld pro Monat gefehlt hatten bittet Alexandra Van Houtte per E-Mail vom 14. Oktober um eine Erklärung: Welchen Grund es dafür gibt, oder ob es sich um ein Versehen handelt. Keine Antwort. Am 21. Oktober mailt sie wieder, beschwert sich, dass von der so genannten Service-Nummer immer alle Leitungen besetzt seien – und droht damit, das „Tagblatt“ einzuschalten. Die Familienkasse lässt das kalt. Frau Van Houtte erhält weiter keine Antwort.
Anfang November kommt die Mutter im Service-Center mal durch. Die Mitarbeiterin dort bestätigt den Eingang der E-Mails, die unbeantwortet blieben. Für Pascal bestehe – obwohl er seit gut einem Jahr zu 50 Prozent schwerbehindert ist und wochenlange Klinikaufenthalte hinter sich hat – kein Anspruch auf Kindergeld. Der Junge, der im Oktober 2010 auf der Treppe zu Hause umgeknickt ist und sich dabei ein extrem schmerzhaftes „Complexes Regionales Schmerzsyndrom (CRPS – oder Morbus Sudeck) zugezogen hat, ist seit Mitte Oktober bis Ende November im Berufsbildungswerk Schwarzenbruck, um abzuklären, welchen Beruf er mit seiner möglicherweise dauerhaften schweren Behinderung überhaupt ausüben kann.
„Weshalb Sie mich über die Einstellung der Kindergeldzahlung nicht informiert haben, ist mir unverständlich“, schreibt die Mutter nun postalisch am 8. November an die Kasse. Sie droht damit, einen Anwalt und die Presse einzuschalten. Sie findet den Umgang „mit Anliegen von Bürgern, die Ihnen Ihr Gehalt bezahlen, eine absolute Unverschämtheit“. Wieder passiert nichts. Am 16. November legt sie schriftlich „Einspruch“ gegen die „unkommentierte Einbehaltung des Kindergelds für meinen Sohn Pascal“ ein und informiert diese Zeitung.
Was sagt die Schweinfurter Familienkasse dazu? Ist es bei ihr üblich, die Zahlung von Kindergeld stillschweigend einzustellen und über die Gründe die Betroffenen Monate im Unklaren zu lassen? Nein, antwortet deren Leiterin Heike Karbacher auf die Frage dieser Zeitung, üblich sei das nicht. Pascals Mutter sei „bedauerlicherweise versehentlich nicht über die Zahlungseinstellung informiert“ worden. Es gebe „aber auch Fälle, in denen die Zahlung zunächst nur eingestellt wird und noch geklärt werden muss, ob der Anspruch tatsächlich wegfällt“. Ein Bescheid könne in solchen Fällen noch nicht ergehen.
Gründe mitzuteilen, wieso die Zahlung für Pascal ohne Vorwarnung überhaupt „eingestellt“ wurde, verweigert Karbacher komplett: „Fallbezogene Details können wegen des Steuergeheimnisses nicht genannt werden.“ Auch für die Verweigerung einer Antwort auf die Frage, warum Alexandra Van Houtte ein Vierteljahr lang trotz mehrfacher schriftlicher Anfragen keine Antwort bekommen hat, muss das Steuergeheimnis herhalten.
Nicht einmal Alexandra Van Houtte selbst gibt die Familienkasse Auskunft auf ihre Fragen. Bis heute weiß sie nicht, warum der positive Kindergeldbescheid vom April keinen Bestand mehr haben soll; warum das Kindergeld ab August plötzlich „eingestellt“ wurde; wieso sie für ihr Kind mit 50-Prozent-Behinderung, das wegen seiner Erkrankung derzeit wohl noch keine Ausbildung aufnehmen kann, aus der Zahlung fliegt; warum im neuen Bescheid nichts davon steht, dass ihr – wie telefonisch versprochen – das drei Monate lang verweigerte Kindergeld nachgezahlt wird.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweinfurter Kindergeldkasse für negative Schlagzeilen sorgt, sondern der vierte unrühmliche Fall in kurzer Zeit. Mitte Juni 2010 zahlt die Kasse einer allein erziehenden Mutter von vier Kindern das Kindergeld für die bereits im Januar zugezogene 19-jährige Tochter erst, nachdem sie diese Zeitung eingeschaltet hat. Nun werden sofort 920 Euro nachgezahlt und festgestellt, dass „für dieses Kind schon längst hätte entschieden werden können“. Selbst die Drohung mit einer Untätigkeitsklage hatte die Kasse kalt gelassen.
Anfang Juli wird bekannt, dass eine junge Familie ein Vierteljahr aufs Kindergeld für die neugeborene Fiona wartet. Sechsfaches Nachfragen der Mutter hatte nichts bewirkt außer Ausreden. Angeblich fehlte die Geburtsurkunde, welche die Mutter längst persönlich abgeliefert hatte. Erst nachdem diese Zeitung nachfragt, wird die Sache erledigt.
Im Juni dieses Jahres meldet sich die Mutter eines 44-jährigen schwerstbehinderten Mannes bei der Redaktion. Das Kindergeld für ihren Sohn hatte die Familienkasse seit Dezember an den Bezirk Unterfranken „abgezweigt“ und ihren Widerspruch dagegen sieben Monate unbeantwortet und unbearbeitet liegen gelassen.
Sie hatte alles unternommen, über den Anwalt mit Untätigkeitsklage gedroht – vergeblich. Erst als diese Zeitung groß berichtet, wird ihrem Widerspruch sofort in vollem Umfang stattgegeben.
Jetzt klagt, wie in all diesen Fällen, auch Alexandra Van Houtte: über die unangekündigte und unbegründete Einstellung der Zahlung für Pascal, die telefonische Unerreichbarkeit der Familienkasse und darüber, dass ihre Fragen zu den Gründen der Kindergeldverweigerung bis heute nicht beantwortet sind.