Stefan Hartung hat nur ein Bein. Er war zehn Jahre alt, als die Ärzte bei ihm Knochenkrebs diagnostizierten. Die Alternativen damals: amputieren oder sterben. „Egal wie alt Du bist – so ein Erlebnis stürzt Dich erstmal in ein tiefes Loch“, sagt der 41-Jährige heute. Man braucht einige Zeit, bis man wieder Lebensmut schöpft und sich mit dem Handicap arrangiert.
Hartung hat sich arrangiert. Er führt seit 2006 in seiner Heimatstadt Fulda eine Selbsthilfegruppe für Amputierte, „weil die nirgends eine Lobby haben“, ist seit dem vergangenen Jahr auch Mitglied im Präsidium des Bundesverbands. Und er treibt Sport – nicht mit dem Anspruch auf Höchstleistungen, sondern um in Bewegung zu bleiben und wegen des Gemeinschaftserlebnisses. Fahrrad- und Skifahren, sogar Fußball mit Krücken („...da geht es ganz schön zur Sache!“) hat er bereits durch, jetzt soll es Tauchen sein.
Der Schweinfurter Alexander Weber ist Tauchlehrer. Seine Prüfung liegt erst wenige Monate zurück. Und doch ist er schon ein ganz besonderer unter Deutschlands Instruktoren im Dachverband PADI, auf dessen Konto über 50 Prozent der weltweit abgelegten Tauchprüfungen gehen. Denn Weber hat zusätzlich eine Fortbildung zum Ausbilder für Handicap-Taucher absolviert. In Dittelbrunn kreuzen sich dieser Tage die Wege des Tauchlehrers und des Amputierten aus Fulda.
Es ist heiß im Gemeindehallenbad, Stefan Hartung kommt schon bei den „Trockenübungen“ am Beckenrand gehörig ins Schwitzen, zwängt sich mühsam in die schwere Flaschentaucher-Weste. Die Krücken liegen unter der beheizten Sitzbank, für den nur drei Meter langen Weg zum Becken braucht er die Stützdienste des Tauchlehrers. Vor ein paar Wochen hat er einen kurzen Schnupperkurs absolviert, jetzt soll es ernst werden.
Sportlich ambitioniert
Zwei Einheiten mit insgesamt fünf Tauchgängen im Hallenbad, weitere zwei Einheiten mit vier Tauchgängen im offenen Wasser (in der Regel einem regionalen Badesee) und das Selbststudium der Theorie – das alles gehört zu einem PADI-Tauchkurs, der am Ende mit dem sogenannten „Brevet“ für „Open Water Diver“ abgeschlossen wird. Knapp 400 Euro kostet die Ausbildung, die zum selbstständigen Tauchen nach dem „Buddy-System“ (also mit mindestens einem zweiten brevetierten Open-Water-Diver) berechtigt.
Stefan Hartung ist im Wasser. Die Weste sitzt. Alexander Weber erläutert den Umgang mit dem Mundstück, durch das der Sauerstoff aus der Flasche in die Atemwege gelangt. Und dann taucht Hartung unter. Ganz lang macht er sich, sucht das Gleichgewicht, das verbliebene Bein mit der Flosse paddelt unrhythmisch im Wasser. Immer wieder kippt der Tauchschüler nach rechts ab, weil ihm der Gleichgewichtsausgleich durch das fehlende Bein abgeht.
Alexander Weber muss Rücksicht nehmen, hat aber noch zwei andere Schüler im Wasser. Die schickt er auf eine erste Bahn, zum „Strecke tauchen“. Dann kommt er mit Stefan Hartung langsam hinterher. 20 Minuten ist die Übungseinheit jetzt alt, aber Hartung braucht schon eine Pause. Während des Tauchens reichert sich Stickstoff im Körper an, man wird kurzatmig. Und trotz seiner sportlichen Ambitionen ist der Fuldaer eben doch nicht so fit wie Gleichaltrige ohne Handicap, die sich im Alltag einfach mehr und freier bewegen.
Hat er schon die Lust an dem Kurs verloren? „Nein. Es ist zwar anstrengender, als erwartet, aber damit musste ich rechnen.“ Schwierigkeiten hat er insbesondere, unter Wasser zu bleiben. Durch das seitliche Abkippen des Körpers erhält er Auftrieb, das ständige Gegendrücken kostet Kraft. Tauchtrainer Weber will an der Bestückung des Gewichtsgürtels arbeiten, um die „Unwucht“ des Körpers auszugleichen.
Spannend und intensiv
Hartungs Mitschüler absolvieren an diesem Nachmittag binnen vier Stunden drei der fünf vorgeschriebenen Hallen-Tauchgänge. Der Fuldaer geht nur noch einmal kurz ins Wasser, kann unterm Strich auch nur einen Tauchgang angerechnet bekommen. Er realisiert: „Es wird bei mir deutlich länger dauern, als bei Menschen ohne Handicap.“ Er sagt aber auch: „Es ist spannend, unheimlich intensiv...“
Spannend ist es auch für Alexander Weber, der bei dem Kurs ebenso Erfahrungen sammelt, wie sein Schüler. Die Handicap-Taucher werden wohl nicht Hauptzielgruppe seiner Schweinfurter Tauchschule „Dive King“ sein, aber doch eine Klientel, die ihr ein Alleinstellungsmerkmal gibt. Stefan Hartung könnte bis zum Frühjahr sein PADI-Brevet in der Tasche haben und will dann in südlichen Gewässern bunten Fischen hinterhertauchen, nach Seesternen und Muscheln stöbern...
Handicap-Tauchkurse: Tauchschule
Dive-King Schweinfurt, Saima und Alexander Weber, www.diveking-sw.de