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SCHWEBHEIM: "Lauf so weit du kannst"

SCHWEBHEIM

"Lauf so weit du kannst"

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    ARCHIV - Ein Flüchtlingstreck auf der Flucht vor der Front des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa (undatiertes Archivbild aus dem Jahr 1945). Rund 14 Millionen Deutsche waren im Zweiten Weltkrieg auf der Flucht, schätzen Historiker. Ein Großteil der Vertriebenen stammte aus Ostpreußen. Foto: dpa (zu dpa Themenpaket «Flüchtlingsgeschichte» vom 20.09.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++
    ARCHIV - Ein Flüchtlingstreck auf der Flucht vor der Front des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa (undatiertes Archivbild aus dem Jahr 1945). Rund 14 Millionen Deutsche waren im Zweiten Weltkrieg auf der Flucht, schätzen Historiker. Ein Großteil der Vertriebenen stammte aus Ostpreußen. Foto: dpa (zu dpa Themenpaket «Flüchtlingsgeschichte» vom 20.09.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Foto: dpa (dpa)

    Das Elend von Kriegsflüchtlingen sehen wir heute nahezu täglich in unseren Wohnzimmern. Die Frage, wie viele Flüchtlinge Deutschland verkraften kann, spaltet die Nation. Dabei wird schnell vergessen, dass die Geschichte der Bundesrepublik quasi mit einer Flüchtlingskatastrophe ungeahnten Ausmaßes begann. Über zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene strömten in den Nachkriegsjahren in den Westen und mussten im zerstörten Nachkriegsdeutschland eine neue Heimat finden.

    Die kleine Gemeinde Schwebheim, die nach dem Krieg 1200 Einwohner zählte, bekam bis 1950 insgesamt 253 Vertriebene zugewiesen. Dadurch wuchs in der evangelischen Gemeinde der Katholikenanteil auf 25 Prozent. Die Nachrichten über den aktuellen Flüchtlingsstrom wecken bei vielen von ihnen schlimme Erinnerungen.

    „Da kocht bei mir wieder alles hoch“, sagt Edda Scharek. Dabei hat sie kaum Erinnerungen an die eigene Vertreibung, denn sie war damals erst fünf Jahre alt. Aber dass man in Viehwaggons aufeinandergelegen hat, daran kann sie sich noch gut erinnern. Und sie weiß auch noch, dass sie im Aufnahmelager Friedland bis in die Nacht auf ein Zimmer warten mussten. Was die Fünfjährige damals nicht wusste: Dass sich in eben diesem Zimmer vorher zwei Flüchtlinge erschossen hatten.

    Elisabeth Fleck kämpft mit den Tränen. Sie war zwölf Jahre alt, als die Familie aus dem Egerland vertrieben wurde. „Es war furchtbar“, erzählt sie. Zwei Wochen lang wurden sie von den Tschechen in ein Lager gesperrt und ausgerechnet an ihrem zwölften Geburtstag in einen Eisenbahnwagon verladen.

    „Wir wussten nicht, wo's hingeht.“ Einmal nur hielt der Zug auf dem Weg in den Westen. „Da durften wir auf die Toilette und bekamen einen Laib Brot.“ Der Zug fuhr durch ein zerstörtes Deutschland, etwas, was die Zwölfjährige von zuhause nicht kannte. Und sie hatte Glück im Unglück: Sie kam mit ihrer Mutter zunächst auf einen Bauernhof in Holzhausen. „Wir wurden gut aufgenommen, damals waren in jedem Haus zwei Flüchtlinge untergebracht und keiner hat sich aufgeregt.“

    Dennoch, eine Willkommenskultur hat es damals nicht gegeben, da sind sich alle einig.

    Edelgard Schmucker kommt auch aus dem Sudetenland. In ihrer Gemeinde waren schon ein halbes Jahr vor Kriegsende Flüchtlinge aufgenommen worden, die aus Schlesien kamen. „Aber wir hatten doch nie dran gedacht, dass wir selbst einmal wegmüssen.“ Als am 8. Mai 1945 die Russen einmarschierten, wurde ihr Elternhaus besetzt. „Jeder hat es vermieden, auf die Straße zu gehen“, erinnert sich die damals 17-Jährige. Es sollte noch über ein Jahr dauern, bis sie in einen von 40 Waggons gesteckt wurde, die in Richtung Westen fuhren. Zehn davon kamen in Schweinfurt an. Nach einer Zeit im Schweinfurter Bunker, dem Erstaufnahmelager damals, kam sie mit ihrer Familie nach Schwebheim. Sie waren zu viert in einem kleinen Zimmer ohne Kochgelegenheit, und sie waren in diesem Haus alles andere als willkommen.

    Brigitte Hippacher ist mit ihrer Familie mit dem letzten Zug von Posen nach Fürstenwalde gefahren. Die damals Sechsjährige weiß heute noch, wie voll dieser Zug war. „Trotz Schnee und Kälte hingen die Leute auch außen am Zug dran“, erzählt sie. Von Berlin aus gab es dann einen Zug nur mit Frauen und Kindern in Richtung Bayern. Der Zug wurde bombardiert. „Meine Mutter hat mich aus dem Fenster geworfen und gesagt: Lauf, so weit du kannst, aufs offene Feld und leg dich hin!“ Die Sechsjährige übernachtete mit anderen zusammen in einem Stollen.

    „Ich habe so lange geweint, bis ich vor Erschöpfung eingeschlafen bin“, weiß sie noch, als wäre es erst gestern gewesen.

    Rudolf Stadlers Familie bekam in Schwebheim zwei kleine Zimmer zugewiesen. Die drei Buben mussten bei der Nachbarin schlafen, weil kein Platz für sie war. Auch für ihn war es „ganz bitter“, mit elf Jahren aus seinem Dorf im Egerland vertrieben zu werden. „Wir waren dort sieben Buben und haben zusammengehalten wie Pech und Schwefel“, erinnert er sich. Er hat nicht nur die Heimat, sondern auch die Freunde verloren.

    Doris Wallrapp war 22, als die Familie endgültig aus der Heimat in Ostpreußen fortmusste. Schon vor Kriegsende hatte ihre Familie zwei Flüchtlinge aus Schlesien aufgenommen. Dann kamen die Russen. „Die hatten so einen Hass auf die Deutschen, da ist viel Schreckliches passiert“, erklärt sie. Sie und ihre Schwester mussten sich oft tagelang auf dem Dachboden verstecken, „das war ganz schrecklich“.

    Mit viel Hilfe vom „polnischen Bürgermeister“, der eigentlich Ukrainer war, und einem russischen Offizier kam sie mit Mutter und Schwester nach Mannheim, wo die Verwandtschaft lebte. Dort hieß es arbeiten, um die Familie über Wasser zu halten. Erst nachdem der Vater zurückgekommen und die Universität in Heidelberg wieder eröffnet worden war, konnte Wallrapp ihr Medizinstudium fortsetzen. „Ein Kostüm aus zwei Soldatenmänteln war mein Staatskleid“, sagt sie.

    Hedwig Schneider erinnert sich an die „schöne Kindheit“ in Freiwaldau im Egerland bis zur Vertreibung im August 1946, sie war damals 14 Jahre alt. Über Prag ging's nach Furth im Wald. „Da wurden wir entlaust.“ Man musste durch einen langen Gang gehen und wurde dann mit weißem Pulver geduscht. Was sie aber noch mehr bewegt hat, waren die zerstörten Städte: „Das kannten wir aus dem Egerland nicht.“ Zu dritt lebten sie bei einer Familie in Schwebheim in zwei winzigen Zimmerchen. Aber sie hatte Glück und bekam eine Lehrstelle beim Frisör.

    Wenn die Vertriebenen erzählen, spürt man, wie nah ihnen die Erlebnisse von damals noch sind. „Wir waren auch traumatisiert“, erkennt Schneider, „aber das war damals noch kein Thema.“ Mit den Flüchtlingen heute könne man die Situation damals nicht vergleichen, stellen alle fest. „Wir waren Vertriebene“, betont Schmucker. „Wir hätten unsere Heimat nie freiwillig verlassen.“

    Damals seien auch nur Frauen, Kinder und alte Männer gekommen, erzählt Schneider, und „wir haben uns eingegliedert“. Kleiderkammern habe es auch nicht gegeben, meint Scharek und erinnert sich, wie ihr Bruder im Winter in seiner kurzen Lederhose gefroren hat.

    Ein weiterer gravierender Unterschied: Die Vertriebenen von damals mussten und durften sofort mitarbeiten. Auch die Kinder waren fest dabei: Ähren sammeln und Bucheckern klopfen, jeder musste anpacken.

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