Es hat am Freitag vor dem Arbeitsrichter in Schweinfurt nur ein paar Minuten gedauert, dann war die fristlose Kündigung der Lebenshilfe Schweinfurt gegen Bernd Frank, 50, Gruppenleiter Druckerei in der Lebenshilfe-Werkstatt Sennfeld, vom Tisch. „Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die Kündigung vom 27. Juni 2014 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden“, heißt es im Wortlaut des Vergleichs. Auf Deutsch: Die Lebenshilfe zieht ihre Kündigung zurück, der Angestellte hat seinen Job wieder und wird auch für die Zeit vom 27. Juni bis zum Inkrafttreten dieses Vergleichs bezahlt.
Der 50-jährige Familienvater von vier Kindern, seine Frau und die anwesenden Kollegen von der Mitarbeitervertretung (MAV) reagierten erleichtert. Der Vorwurf, der Frank gemacht worden war und das fristlose Feuern rechtfertigen sollte, wiegt allerdings schwer: Er soll den Arbeitgeber bestohlen haben, und zwar um zwei Filter-Vliese in der Größe eines Zwei-Euro-Stückes aus dem Abfall im Wert von weniger als einem Cent.
Diese Vliese hatte Frank in Verdacht, dass sie bei ihm erhebliche Atemprobleme verursachen. Ende Februar, als er allein in der Werkstatt war, sei die Atemnot so stark gewesen, dass er sich von seiner Frau abholen ließ und zwei dieser Vliese mit ins Notfallkrankenhaus genommen habe, um sie untersuchen zu lassen. Bei seiner telefonischen Krankmeldung habe er dies dem stellvertretenden Werkstattleiter angezeigt – am 25. Februar. Ein Vierteljahr später, am 27. Mai, habe ihm der Werkstattleiter die Mitnahme des Materials ins Krankenhaus als Diebstahl zum Vorhalt gemacht hat. Fristlos gekündigt wurde ihm aber vier Wochen später, am 27. Juni – ohne Begründung.
Das war schon der erste Fehler der Lebenshilfe Schweinfurt. Eine wirksame fristlose Kündigung hätte spätestens zwei Wochen nach dem Diebstahlsvorwurf erfolgen müssen, so Franks Rechtsanwalt Mark Brab (Bamberg). Franz Geus, Anwalt der Lebenshilfe, erklärte beim Gütertermin am Arbeitsgericht, dass diese Kündigung vor Gericht nicht halten werde, habe er seiner Mandantin schon mitgeteilt.
Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung zweier Monatslöhne lehnte Bernd Frank entschieden ab. „Er will seinen Arbeitsplatz erhalten, zu seinen Kollegen hat er ein gutes Verhältnis“, sagte sein Anwalt. Und: „Es kann ja nicht sein, dass, weil es ihm gesundheitlich mal nicht gut geht, gleich eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird.“ Das sehen auch jene Kolleginnen und Kollegen so, die den Gruppenleiter Druckerei der Lebenshilfe-Werkstatt Sennfeld zum Gütetermin begleitet haben.
Dass eine Einrichtung für Behinderte mit hohem sozialem und ethischem Anspruch derart mit einem Mitarbeiter umspringt, sei grundsätzlich untypisch für die Lebenshilfe Schweinfurt, sagte eine Kollegin Franks. In den Heimen gebe es derlei Probleme überhaupt nicht, in einigen Werkstätten leider schon. Die Werkstätte Sennfeld habe diesbezüglich einen gewissen Ruf. Ob eine „gedeihliche Zusammenarbeit“ zwischen Gekündigtem und Vorgesetzten in Fällen wie diesem noch möglich und sinnvoll ist, das sei die Frage, so der Vorsitzende Richter. Zu 90 Prozent werde das Arbeitsverhältnis beendet. Frank will seine Arbeit aber weitermachen.
Die Lebenshilfe Schweinfurt hat bereits Erfahrung mit rechtsunwirksamen Kündigungen. Im Herbst 2011 hatte sie ihren Hammelburger Werkstattleiter Holger Oberfichtner unter allerlei Vorwänden mit Vorwürfen bis hin zum Vermögensdelikt gekündigt. Am Ende musste er bis Ende 2012 bezahlt werden, ertrotzte sich im arbeitsgerichtlichen Vergleich 75 000 Euro Abfindung (den doppelten Höchstsatz), alle Vorwürfe gegen ihn nahm die Lebenshilfe zurück und letztlich musste sie ihm auch noch ein überdurchschnittliches Zeugnis ausstellen.