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Libellen auf der Spur

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Libellen auf der Spur

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    Die Kinderstube verrät die Bewohner: Die Biologen Jürgen Thein und Josline Griese suchen in einem Weiher nach Libellen.
    Die Kinderstube verrät die Bewohner: Die Biologen Jürgen Thein und Josline Griese suchen in einem Weiher nach Libellen. Foto: Foto: Alois Wohlfahrt

    Der alte Herr hat's immer noch drauf. Ein ums andere Mal foppt er Jürgen Thein. Immer wieder weht der Kescher des Biologen ins Leere. Der „alte Herr“, wie ihn Thein nennt, ist gerade einmal vier Wochen alt. Für eine Libelle eine lange Zeit, fast ein halbes Leben. Und das war längst kein leichtes Leben: „Schauen Sie mal, der hat schon einiges mitgemacht", sagt Thein. Wenig später ist „Libellula quadrimaculata“ ins Netz gegangen und knabbert an Theins Fingern. Einiges mitgemacht? Ein Laie erkennt nichts, außer den vier dunklen Flecken auf den Flügeln, die der Libelle ihren Namen geben: Vierfleck.

    Aber Jürgen Thein erkennt nicht von ungefähr viel mehr: Hunderten von Libellen hat er in den vergangenen Wochen zusammen mit seiner Kollegin Josline Griese in der Region nachgespürt. Ihre Ergebnisse könnten einmal einfließen in eine Untersuchung, wie sich die Situation der kleinen flotten Flieger darstellt.

    An etlichen Wasserstellen sind Jürgen Thein und Josline Griese in den vergangenen Wochen mit ihrem Kescher, mit dem Fernglas, aber vor allem mit geschultem Blick auf Sichtung gegangen. Der dicke Brummer, der immer wieder an den beiden vorbeischwirrt, ist leicht zu erkennen. „Es ist die große Königslibelle“, sagt Thein eher uninteressiert, es ist eine der Arten, die in der Region häufig vorkommen. Da schaut es bei den blauen Winzlingen schon anders aus. Nur schwarze Punkte am Körper verraten, was Thein dann später in der Datenbank als Fund eintragen wird.

    Bis über dem Bauchnabel steht Thein mit seiner Wathose in einem kleinen See und strahlt über das, was um ihn herum schwirrt oder sich an den langen Grashalmen abspielt. Die Umgebung ist ideal für Libellen. Kaum zugänglich ist die Wasserfläche, ein breiter Ufergürtel mit Bewuchs bietet genügend Abstand zu den Feldern, verhindert Nährstoffeintrag. Der See ist flach, wird schnell warm, es gibt Wasserpflanzen und damit Nahrung für die Beutetiere der Libellen, vornehmlich Insekten. Dann gibt es weit aus dem Wasser ragende Pflanzen – ideal für die Larven der Libellen, wenn die nach ihrem „Amphibien-Dasein“, dem Ei- und Larvenstadium unter Wasser, nach oben kriechen, um dann aus ihrer Haut zu schlüpfen. Rund 80 Libellenarten gibt es in Deutschland, etwa 70 sind es in Bayern, in der Region zwischen Main und Haßberge ziemlich genau 50. Rund 35 Jahre liegen zwischen einer ersten Bestandserhebung von Libellen und der aktuellen Spurensuche. Verändert hatte sich die Situation bei den Libellen allein schon zwischen den Jahren 1980 und der Jahrtausendwende, so Thein. Zwei Gründe: Die Gewässer haben sich verändert und auch das Klima. Nachdem sich die Qualität der Fließgewässer und vor allem des Mains verbessert hat, aber auch durch Renaturierungen neue Lebensräume geschaffen wurden, sind Arten, die solche Voraussetzungen brauchen, zum Teil wieder zurückgekehrt – Flusslibellenarten etwa, wie die kleine Zangenlibelle.

    Und sogar bislang in der Region unbekannte Arten haben sich niedergelassen: So bei Oberspiesheim. Dort hat Thein jetzt zum ersten Mal die südliche Mosaikjungfer entdeckt. Dies ist allerdings nicht nur der besseren Wasserqualität geschuldet, sondern vielmehr dem zweiten markanten Grund, der die Verbreitung von Arten in den vergangenen Jahrzehnten veränderte: dem Klimawandel.

    Neue Arten sind gekommen, andere verschwanden, das zeigte schon der Vergleich zwischen 1980 und dem Jahr 2000. So haben Libellenarten aus Frankreich, die früher höchstens mal als Gäste in der Region waren, hier inzwischen Fuß gefasst. Das beste Beispiel, so Thein, ist die Feuerlibelle, die in den 80er Jahren die Ausnahme war. Sie ist jetzt im Maintal vielerorts zu finden. Und: Sie pflanzt sich hier auch fort.

    Es gibt aber auch eine Kehrseite der Medaille, die Klimaverlierer sozusagen. Es haben sich Arten verabschiedet, die raueres, kontinentales Klima bevorzugen. Aber auch Arten, deren Lebensräume in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden sind, Arten, die auf mooriges oder sumpfiges Gelände angewiesen sind. „Ein paar Franzosen kommen, ein paar verabschieden sich in Richtung Polen“, sagt Thein. Wie die Entwicklung der Artenvielfalt bei den Libellen weitergeht, ist ungewiss. Im Gegensatz zu der Entwicklung bei den Vögeln: „Da haben wir verloren.“

    Traurig ist für Jürgen Thein der Verlust jeder Art. Der Vierfleck etwa in seiner Hand ist tatsächlich ein alter Kerl. Nicht deshalb, weil er in seinem Leben bereits Hunderte Kilometer zurückgelegt hat und die Flügel von den Kämpfen ums Revier mit Rivalen zeugen. „Sein Bauplan ist seit rund 300 Millionen Jahren unverändert“, sagt Thein und blickt beinahe ehrfürchtig auf das Tier. Nur, dass die Vorfahren des „alten Kerls“ damals nicht eine Flügelspannweite von sieben Zentimetern, sondern von bis zu einem dreiviertel Meter hatten. Und dass es damals sicher nicht mit ein wenig Knabbern an Theins Fingern abgetan gewesen wäre, wie es der „alte Herr“ tut, bis ihn Thein wieder in die Freiheit davonfliegen lässt.

    „Ein paar Franzosen kommen, ein paar verabschieden sich in Richtung Polen“

    Biologe Jürgen Thein zur Entwicklung der Libellenarten-Vielfalt

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