Eineinviertel Stunden dauerte es. Eineinviertel Stunden ließ die Limon Dance Company die Zuschauer bei ihrer Europapremiere im Schweinfurter Theater zappeln. Dann waren sie endlich da, diese zwei, drei Sekunden, die es nur braucht, um mit den ersten Szenen einer Choreographie den Zuschauer dauerhaft in seinen Bann zu ziehen. „Night Light“ von Kate Weare machte aus einem zuvor eher mediokrenem Tanzabend ein letztlich doch unvergessliches Erlebnis. Erst dieses letzte Stück löste das große Versprechen ein, das man grundsätzlich mit den New Yorker Tänzern verbindet, gegründet von einem der Urväter des modernen Tanzes, dem schon 1972 verstorbenen José Limon.
Solide ist nicht der Anspruch
Natürlich, die vier Stücke „Corvidae“, „The Winged“, „Concerto Grosso“ und „Chaconne“ waren insgesamt gutes amerikanisches Tanztheater, ein solider Start in die neue Tanzsaison. Aber solide ist zum einen nicht der Anspruch dieses für gewöhnlich unter den weltweit besten Tanzgruppen stehenden Ensembles, zum anderen gab es in jedem der vier Stücke kleine Probleme, die den Gesamteindruck störten. Warum man bei „Corvidae“ die tänzerisch gute Leistung mit dem kompletten Blick auf die Bühnentechnik konterkarierte, bleibt das Geheimnis des Choreografen Colin Connor. Ablenkung, nicht Fokussierung war die Folge.
70. Geburtstag
Wie das Theater Schweinfurt, feiert auch die Limon Company dieses Jahr einen runden Geburtstag, sie wurde 70. Deswegen nahm man auch drei Stücke von früher ins Programm: das 1966 uraufgeführte „The Winged“, das 1943 von José Limon selbst geschriebene „Concerto Grosso“ und „Chaconne“, 1942 uraufgeführt. Alle drei muss man im Kontext ihrer Entstehungszeit beurteilen, doch sie überzeugten nicht restlos, was auch daran lag, dass erstaunliche technische Schwächen bei Hebefiguren und verschiedenen Schrittfolgen den Gesamteindruck störten. „Concerto Grosso“ zumindest, ein frühes choreographisches Juwel Limons, war zwar formalistisch, aber durchaus spannend zu betrachten. Limon sagte einst Bemerkenswertes über seinen Anspruch an den modernen Tanz und seine Mitstreiter. „Als Tänzer steht man nackt und bloß auf der Bühne. Wer bist du? Was bist du? Wer oder was willst du sein? Aus welchem Holz ist deine Seele geschnitzt?“
All diese Fragen beantwortete „Night Light“ in beglückender, eindringlicher Manier. Diese Deutschlandpremiere des 2014 als Auftragswerk für die berühmte Juilliard School entstandenen Stückes von Kate Weare war der Beweis, dass diese Truppe nicht in ihrer großen Vergangenheit stecken geblieben ist, sondern einen klaren Weg in die Zukunft vor sich hat.
Leidenschaft und Inbrunst
Zumal, wenn sie sich auf ihre tänzerischen Wurzeln besinnt. Bei „Night Light“ war auf einmal die zuvor sichtbare Nervosität des Ensembles weg, waren alle Tänzer bei sich und ihren Bewegungen, kamen voller Leidenschaft und Inbrunst schnell in einen Fluss, der ihnen Auftrieb und Kraft verlieh. Man wurde förmlich hineingesogen in das Stück über das moderne Leben, in dem Beziehungen zerbrechlicher sind und die Grenzen zwischen öffentlich und privat immer mehr verschwimmen. Genau so muss modernes Tanztheater sein, genau das ist der Unterschied zwischen Solidität und Tiefgang. Erst „Night Light“ brachte das wahre Leistungsvermögen der Amerikaner hervor.
Am Schluss steht das gesamte Ensemble auf der Bühne, Ross Katen und Jesse Obremski tanzen ein intensives, mitreißendes Duett. Die Musik geht aus. Es ist nur noch ihr lautes Atmen zu hören. Sie stehen am Bühnenrand, drehen den Kopf zum Publikum. Stille. Applaus. Versöhnung.