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Margarita Calvary zum 90.: Keine Heimat, aber ein Zuhause

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Margarita Calvary zum 90.: Keine Heimat, aber ein Zuhause

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    Im Atelier: Margarita Calvary, kurz vor ihrem 90. Geburtstag.
    Im Atelier: Margarita Calvary, kurz vor ihrem 90. Geburtstag. Foto: Foto: Katharina Winterhalter

    Anstrengende Wochen liegen hinter Margarita Calvary. Die Vorbereitungen auf ihren 90. Geburtstag am 30. April und – noch wichtiger – auf ihre Ausstellung im Herbst im Salong des Kunstvereins, die eine Retrospektive werden soll, zehren an den Kräften. Die Ärzte haben ihr geraten, sich zu schonen. Bei einem Besuch kurz vor dem Geburtstag sagt sie, dass sie nun doch mehr auf sich achtet und etwas langsamer macht. Aber diese Ausstellung ist ihr sehr wichtig.

    Margarita Calvary möchte ein Resümee ziehen, sie möchte zeigen, wie sich alles entwickelt hat, von einem Kurs für Dekoration 1969 (noch in Buenos Aires), über erste Figuren aus Schnipseln, die schon eine Geschichte erzählten, bis zu ihren ausdrucksstarken Gemälden und Drucken. Die Ausstellung wird vom steten Herantasten an eine Formenwelt, die aus Architektur-und Landschaftselementen gespeist wird und in ihrer Farbigkeit bis heute von den Farben des Südens durchdrungen ist.

    Bei dieser Retrospektive wird noch viel die Rede sein von der Künstlerin Calvary. Ihr Streben, zu lernen, immer alles mit vollem Einsatz zu machen und nicht aufzuhören, bis sie das Gefühl hat, ihre Möglichkeiten voll ausgeschöpft zu haben, beschränken sich freilich nicht auf ihre Kunst. In ihren Erinnerungen schreibt sie, dass das auch für ihre Arbeit als Kindermädchen, Sekretärin, für den Sport und das spät erlernte Violinspielen galt. Diesen Bericht über ihr Leben hat Margarita Calvary ursprünglich auf Spanisch geschrieben, in Madrid, wo sie ab 1973 lebte. Erst in Schweinfurt hat sie ihn in ihr klares Deutsch übersetzt, das auf jedes überflüssige Wort verzichtet.

    „Während ich durch die Straßen meiner Stadt ging, erschien mit diese wie ein fremder und ferner Ort. “

    Margarita Calvary über ihre erste Rückkehr nach Schweinfurt

    Elisabeth Böhrer, die über die Geschichte der jüdischen Familien in der Region forscht, hat die Geburtsanzeige im Schweinfurter Tagblatt vom 1. Mai 1922 gefunden, in der Ludwig Silberstein und seine Frau Selma die glückliche Geburt des gesunden Töchterleins Gretel verkünden. Ludwig Silberstein hatte eine Schuhfabrik, Silberstein & Neumann. Margarita Calvary beschreibt ihren Vater als feinfühligen und kultivierten Mann, der sich mit Deutschland als Vaterland identifiziert hat: „Wenn wir gewandert sind, hat er Volkslieder gesungen.“ Bis die Nazis an die Macht kamen, war es eine glückliche Kindheit, mit vielen Freunden, mit Wanderungen und Radausflügen mit der ganzen Familie nach Volkach.

    Bruder Fritz ging mit 17 nach Israel und gründete einen Kibbuz. Der sechs Jahre ältere Hans emigrierte nach Buenos Aires. 1937 starb Ludwig Silberstein, die Nazis hatten ihn enteignet, eine Klinik im Schwarzwald weigerte sich, den kranken Mann zu behandeln. Gretel Silberstein musste die Schule verlassen. Ihre Mutter schickte sie nach London, die 15-Jährige musste als Dienstmädchen arbeiten. 1938 konnten Gretel und ihre Mutter mit Hilfe von Bruder Hans nach Argentinien auswandern.

    1942 heiratete Margarita Calvary, auch ihr Mann war in Deutschland geboren. Sie war 51, als sie sich nach Kursen für Dekoration und Innenarchitektur der Kunst näherte. Sie fand Lehrer, die sie auf dem Weg begleiten, auch als sie 1973 mit ihrem Mann nach Madrid zog. 1977 hatte sie eine erste Einzelausstellung in Madrid, 1985 stellte sie zum ersten Mal in ihrer Geburtsstadt aus. In ihren Erinnerungen beschreibt sie sehr poetisch ihren ersten Gang durch Schweinfurt: „Während ich durch die Straßen meiner Stadt ging, erschien mit diese wie ein fremder und ferner Ort. Trotzdem, manchmal in blitzartigen Momenten – beim Einatmen eines vergessenen Geruches, beim Klang irgendeines Tones oder beim wahrnehmen eines Eindrucks – stellte sich ein plötzliches, eigenartiges Gefühl tiefer Zuneigung ein.“

    1992 folgten Margarita Calvary und ihre Brüder der Einladung des damaligen Oberbürgermeisters Kurt Petzold zur 1200-Jahrfeier. Zum Ehepaar Petzold entwickelte sich eine enge Freundschaft, auch ihrer Geburtsstadt näherte sich Margarita Calvary langsam an. 2003 kam sie wieder zu einer Ausstellung. Sie war 81 Jahre alt und auf der Suche nach einem Alterswohnsitz. Im Augustinum, wo sie während ihrer Besuche wohnte, fühlte sie sich wohl. Der Entschluss zum Umzug in ihre Geburtsstadt fiel schnell, war aber unglaublich schwer. Kurz nach ihrem Umzug nach Schweinfurt wurde Margarita Calvary schwer krank und glaubte nicht, jemals noch einmal arbeiten zu können.

    Als sie wieder gesund war, hatte ihr die Stadt im Keller der benachbarten Frieden-Volksschule einen kleinen Raum eingerichtet. Seitdem ging Margarita Calvary fast jeden Tag in ihr Atelier und sie tut es bis heute. In der ihr eigenen Konsequenz entstanden meist kleinformatige Bilder, vielfach in Serien, in den unterschiedlichsten Techniken. Bis vergangenes Jahr unterrichtete sie auch eine kleine Gruppe von Schülern. Sie besucht regelmäßig Ausstellungseröffnungen und freut sich, dass sie in der Stadt alles zu Fuß erreichen kann. Viele Menschen suchen den Kontakt zu ihr, zu einigen sind Freundschaften entstanden. „Ich wurde gut aufgenommen“, sagt sie.

    Das Augustinum und das Atelier sind ihr Zuhause geworden, in dem sie sich aufgehoben fühlt. Die Frage, ob sie eine Heimat habe, ist komplizierter. „Ich habe nicht das Gefühl, eine Heimat zu besitzen“, sagt sie, „ich gehöre nirgendwo hin, aber nach all dem was ich erlebt habe, kann ich mich überall anpassen.“

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