Im Wetterbericht ist immer gerne von der gefühlten Temperatur die Rede, wenn einem vier Grad plus im eisigen Wind wie minus zehn vorkommen. Als am Sonntag der erste mit abgebrannten Brennelementen beladene Castor-Behälter vom Reaktor-Gebäude in das Zwischenlager transportiert wurde, war man eher versucht, von der gefühlten Zeit zu reden. In Eiseskälte verfolgen, wie sich ein 136 Tonnen schwerer Kasten Millimeter für Millimeter in die richtige Position zum Abseilen auf den Schwertransport begibt - da können einem 25 Minuten wie Stunden vorkommen.
Vor einer Woche haben die Kraftwerksleute schon damit begonnen, die 19 Brennstäbe aus dem Nass-Lager zu nehmen, zu trocknen und in den Castor-Behälter zu stellen. In einem Kraftwerk geht alles langsam, sagt Günter Riegel, zusammen mit Horst Feldle für die Öffentlichkeitsarbeit am Kraftwerk zuständig. Für so gut wie jeden Schritt auf dem Weg in das Lager gibt es Vorschriften und Prüfungen, braucht es ein Okay von dieser oder jener Stelle, muss ein Wert stimmen und der zuständige Gutachter seinen Segen geben. Und es läuft alles relativ emotionslos. "Was bei einem Kernkraftwerk so gewollt ist."
Wann genau der Castor eingelagert werden würde, ließ sich wegen der vielen Sicherheitsprüfungen nicht genau vorhersagen. Nicht nur für die Presse bedeutete das: abwarten. Auch der Kranführer musste ziemlich lange ausharren, bis es endlich losging. Erst hieß es, der Transport startet am Sonntag früh um fünf, dann Kommando zurück, Sonntag um acht. Dann gegen 14 Uhr die Absage: "Das wird heute nichts mehr". Und dann ging's überraschend doch noch am Sonntag über die Bühne. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sollte die Aktion nicht stattfinden, Presse war gern gesehen, filmen, fotografieren kein Problem. Nur wo der beladene Behälter genau im der Halle steht, soll nicht veröffentlicht werden - aus Sicherheitsgründen. Und: Wer einen Schritt über eine Linie am Eingang zur Vorraum des eigentlichen Zwischenlagers auch nur andeutet, bekommt es mit einem Sicherheitsposten zu tun.
Riegel macht auch auf den ersten Blick Unmögliches möglich: Wer fragt, darf sich das Lager anschauen. Hochkant stehen zehn leere Castoren in der riesigen Halle, während im Vorraum der erste beladene Behälter aufs Aufrichten wartet. Sieben beladene V/19 Castoren - die römische fünf steht für die fünf Jahre Abkühlung im Nass-Lager, die 19 für die maximale Zahl von Brennstäben - sollen heuer noch folgen, sagt Kraftwerksleiter Reinhold Scheuring. Auch, dass nur Elemente aus Grafenrheinfeld eingelagert werden. Für 88 Behälter ist die Anlage angelegt. Maximal 40 Jahre lagert der Atommüll in Grafenrheinfeld - dann steht die Endlagerung an, wo auch immer. Kernkraftwerksbetreiber E.ON scheint Gorleben für einen geeigneten Standort für ein Endlager zu halten, lässt sich zumindest aus einer Einladung zu einer Presse-Besichtigung des Salzstocks Gorleben schließen. Der Konzern fordert darin, die vor fünf Jahren gestoppten Erkundungsarbeiten im Salzstock schnellstmöglich wieder aufzunehmen und abzuschließen.
Widerstand geht weiter
Der erste Castor steht im Lager - für die Gegner des Projekts kein Grund aufzugeben. Fünf Bürger aus dem Landkreis hatten vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt, das Gericht wies die Klage im Januar ab. "Unsere Sicherheitsbedenken sind nicht zerstreut", sagte gestern Babs Günther. Sie und noch ein Lager-Gegner wollen weiter klagen. Nachdem eine Revision gegen das Urteil nicht zugelassen wurde, läuft jetzt eine Nicht-Zulassungsbeschwerde. Mit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig rechnet Günther in einem halben Jahr. Falls keine neue Verhandlung ermöglicht werde, soll das Bundesverfassungsgericht die Frage klären, ob die Nutzung von Atomenergie mit den Grundrechten vereinbar sei, kündigt Günther an. Wie beim ersten Prozess unterstützen der Bund Naturschutz und die BA-BI (Bürgeraktion für Umwelt- und Lebensschutz - Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen) die Klage.