Am Abend des 5. Dezember 1944 zerschellt um 22.27 Uhr ein deutscher Nachtjäger im Wald zwischen Koppenwind und Neudorf an der viel befahrenen Steigerwald-Höhenstraße von Untersteinbach nach Ebrach. Der Pilot und sein Bordfunker verbrennen bis zur Unkenntlichkeit im Wrack. Nur der Bordschütze hat den Absturz überlebt und irrt jetzt in der kalten und nebeligen Winternacht auf der Steigerwald-Höhenstraße von Ebrach nach Untersteinbach umher. Irgendwann kommt Karl Rethaber bei Koppenwind heraus.
Der unter Schock stehende und schwer verletzte junge Gefreite klopft auf der Suche nach Hilfe an die erstbeste Tür. Es ist das Haus der Familie von Christian Weinbeer. Rethaber hat schwerste Verbrennungen im Gesicht und an den Händen erlitten. Sein Leben verdankt er nur einer Fügung glücklicher Umstände.
Der Bordschütze hatte sich, was nicht unüblich war, wieder einmal nicht angeschnallt. So hat er Glück im Unglück. Das Heck des Flugzeuges, in dem er sitzt, wird bei der Berührung mit den Baumkronen abgerissen und zerschellt etwa 50 Meter hinter der brennenden Aufschlagstelle des Flugzeugs.
Beim Aufprall auf dem Boden wird Rethaber aus seinem Schützenstand geschleudert. Er verliert kurz das Bewusstsein, kommt aber rechtzeitig wieder zu Sinnen, um sich vom brennenden Wrack weg in Sicherheit zu bringen. Er kann aber nicht verhindern, dass er sich bei der Rettung aus dem Flammenmeer die schweren Verbrennungen zuzieht.
Zwei verkohlte Leichen
Im Haus der Familie Weinbeer kümmert sich besonders Margot Stark mit den Familienmitgliedern um den schwer verletzten Fliegersoldaten. Sie versorgen, soweit dies möglich ist, die Wunden und legen dem auf dem Sofa liegenden jungen Mann Verbände an. Inzwischen ist der neue Tag, der Nikolaustag, bereits angebrochen.
Den Einwohnern, die aus Koppenwind und Neudorf an die Absturzstelle eilen, soll sich spätestens bei Tagesanbruch ein schrecklicher Anblick bieten. In dem ausgebrannten Wrack werden schließlich zwei verkohlte Leichen entdeckt.
Karl Rethaber, der als einziger den Absturz überlebt hat, wird unterdessen von Sanitätssoldaten abgeholt und zunächst in das Reservelazarett in Ebrach gebracht. Es ist im „Klosterbräu“ eingerichtet. Von dort wird der aus Hecklingen bei Freiburg im Breisgau stammende Soldat ins Lazarett nach Kitzingen und schließlich nach geraumer Zeit ins Lazarett nach Heidelberg verlegt.
Wehrmachtssanitäter bergen die beiden Toten, während die Luftwaffensoldaten aus Kitzingen damit beginnen, die Motoren und größeren Wrackteile für den Abtransport mit Tiefladern zu zerlegen. Dennoch bleiben jede Menge Flugzeugteile und Munition im Wald zurück.
Die sterblichen Überreste von Gasch und Milerski werden am 11. Dezember 1944 im Ehrenteil des Städtischen Friedhofes unter militärischen Ehren beigesetzt. Zu dieser Zeit ist die Luftwaffe längst dazu übergegangen, die Gefallenen nicht mehr in ihre Heimatorte zu überführen, sondern in der Nähe der Absturzstellen oder der Fliegerhorste beizusetzen.
Zum einen ist dies besonders im Osten Deutschlands infolge des Vorrückens der Roten Armee nicht mehr möglich, zum anderen nimmt die Zahl der tödlich abgestürzten Flieger aufgrund der drückenden Luftüberlegenheit der Alliierten sowie der Unerfahrenheit der deutschen Besatzungen stetig zu.
Die letzte Ruhe der beiden Absturzopfer soll allerdings schon kurze Zeit später empfindlich gestört werden. Beim verheerenden Luftangriff der Alliierten auf Kitzingen am 23./24. Februar 1945 wird auch der Städtische Friedhof inklusive des Ehrenteils stark in Mitleidenschaft gezogen. Die verwüsteten Gräber werden später wieder hergerichtet.
Birkenkreuz zum Gedenken
Schon bald nach dem Absturz wird an der Unglücksstelle zum Gedenken an den Absturz und seine Opfer ein Birkenkreuz mit einem Stahlhelm darauf aufgestellt. Das Holz vermorscht aber immer wieder nach einer gewissen Zeit und muss ersetzt werden.
Auf Anregung des Koppenwinder Heimatpflegers und früheren Bürgermeisters Robert Dümler fertigen Georg Stark, Besitzer des gleichnamigen Steinmetzbetriebes in Untersteinbach, und Franz Firsching, ein Steinhauer aus Wustviel, schließlich fast 44 Jahre später einen schlichten Gedenkstein an, der fortan anstelle des Birkenkreuzes dauerhaft an das Fliegerdrama vom 5. Dezember 1944 erinnert. Er wird am 19. Juli 1988 an der Absturzstelle aufgestellt. Die Inschrift lautet: „Absturzstelle eines Deutschen Fliegers Ju 88, 1944/45. Einer überlebte, zwei starben den Heldentod.“
Der zu Rate gezogene bekannte Luftkriegshistoriker und Buchautor Werner Girbig findet Anfang der 90-er Jahre jedoch heraus, dass es sich um keine Ju 88, sondern um die von Heinz Gasch geflogene Bf 110 G-4 des NJG 6 aus Kitzingen gehandelt hatte, die hier im Dezember 1944 abstürzte.
Damit nun alles seine Richtigkeit hat und die Angaben stimmen, steht 65 Jahre nach dem schrecklichen Geschehen an der Absturzstelle ein neuer Gedenkstein. Die Inschrift auf der Vorderseite lautet neuerdings: „Absturzstelle des Deutschen Fliegers Bf 110 G-4 am 5.12.1944 um 22.27 Uhr. Einer überlebte, zwei starben den Heldentod.“ Auf der linken Seite des Gedenksteines befindet sich jetzt ferner eine Tafel mit den Namen der abgestürzten Besatzung: „Karl Rethaber (Bordschütze), Heinrich Gasch gefallen (Pilot), Günther Milerski gefallen (Bordfunker).
Sockel, Gedenkstein und Gedenktafeln wurden jeweils wieder auf eigene Kosten von Georg Stark von der gleichnamigen Untersteinbacher Naturstein- und Steinmetzfirma mit Unterstützung von Franz Firsching aus so genanntem Udelfanger Muschelkalksandstein hergestellt. Der symbolische Stahlhelm oben auf dem Gedenkstein wurde aus Diabasgestein gehauen. Georg Stark zu seinem Antrieb: „Ich tue das, damit der Absturz nicht in Vergessenheit gerät.“
Karl Rethaber, der einzige Überlebende, verliert aufgrund der unzureichenden Wundversorgung und der damals an allen Ecken und Enden fehlenden Medikamente beide Ohren. Am 12. Mai 1945, vier Tage nach dem offiziellen Kriegsende, gerät er in Ludwigshafen noch in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Erst am 9. Oktober 1945 kehrt er in seinen Heimatort Hecklingen am Kaiserstuhl zurück, wo er mit seiner Frau später einen Bauernhof bewirtschaftet. Hier im nördlichen Breisgau stirbt der Vater von sieben Kindern am 21. März 1998 im Alter von 72 Jahren.