Norbert Holzheid hat schon die schlimmsten Verkehrsunfälle gesehen. Er wird als Notfallseelsorger gerufen und kann mit den Geschehnissen nur deshalb umgehen, weil sich der Diakon der evangelisch-lutherischen Kirche an eine Grundregel hält: „Ich nehme nichts mit nach Hause“.
Der eine oder andere Unfall bleibt aber doch haften, wie der von 2006. Ein Vater und seine beiden Kindern sterben bei einem Verkehrsunfall auf der B 286. Holzheid muss der Ehefrau und Mutter die Nachricht von ihrer ausgelöschten Familie überbringen.
„Das Wichtigste ist der ehrliche Umgang und das Zuhören“, sagt er. Von großer Bedeutung sei auch, Angehörige von Anfang an dabeizuhaben. „Der Familienverbund stärkt besonders in schrecklichen Krisen“, weiß Holzheid. Und schließlich: Die Nachsorge, weil sich der alles erdrückende Schmerz erst nach und nach einstelle. Im Fall der völlig verzweifelten Frau waren Angehörige da, Holzheid nahm Kontakt zum Ortsgeistlichen auf, der sich weiter kümmerte.
24 Stunden in Bereitschaft
Die Notfallseelsorge beider Kirchen für Stadt und Landkreis Schweinfurt wurde 1995 gegründet. Heute zählt das Team 13 Mitarbeiter. Zehn sind hauptberuflich bei den Kirchen angestellt, als Diakon, Priester oder Pastoralreferent. Drei Ehrenamtliche leisten diesen schweren Dienst, ein Journalist und zwei Krankenschwestern. „Wir decken Stadt und Landkreis 24 Stunden an 365 Tagen ab“, sagt Holzheid.
Angefordert werden sie meist durch Rettungskräfte vor Ort, oft dann, wenn der Ortsgeistliche nicht erreicht wird. 80 Einsätze waren das für die 13 Notfallseelsorger allein 2013. Es muss dabei nicht immer ein schwerer Unfall sein. So wie bei einem 86-Jährigen aus dem Landkreis. Seine Frau ist gestorben, die Kinder leben nicht mehr hier. Der Rettungsdienst ist die falsche Adresse. Der Retter in dieser Not heißt Notfallseelsorge. Holzheid berichtet, dass im vorliegenden Fall Nachbarschaftshilfe organisiert wurde.
Bei der Notfallseelsorge geht es nicht darum, die Hilfesuchenden zu missionieren oder ihnen kirchliche Rituale aufzudrängen. Im Fokus steht die menschliche Hilfe in den existenziellen Notlagen. Bei einem grausamen Unglück mit ebenfalls drei jungen Toten auf der B 286 waren gleich fünf Mitarbeiter des Seelsorge-Teams gefordert.
Holzheid selbst kümmerte sich um einen der schuldlosen Lkw-Fahrer, die dennoch einen Schock erlitten hatten. Im Leopoldina „übergab“ Holzheid den Brummifahrer an den Krankenhausseelsorger. Das Netzwerk ist eine Stärke des Dienstes.
Alle zwei Monate treffen sich die Notfallseelsorger, „da geben wir uns Stärke“, sagt Holzheid. Man bespricht dabei, wie es einem selbst bei diesem oder jenem Einsatz erging, man diskutiert selbstkritisch aber auch die Frage, ob man nicht auch „anders hätte reagieren müssen“.
Seit 2008 gibt es daneben das „SbE-Team Schweinfurt“. SbE steht für „Stressbearbeitung für Einsatzkräfte“ und ist eine Arbeitsgemeinschaft der Hilfsorganisationen von THW, Feuerwehr und allen Rettungsdiensten.
Die Initiative ging von Norbert Holzheid aus, der selbst der Freiwilligen Feuerwehr Schweinfurt angehört und dadurch und bei seinen vielen Einsätzen als Notfallseelsorger bei Rettungshelfern oder Polizeibeamten so oft „einsatzbedingte Stressreaktionen“ erlebt hat.
Da ist der junge Feuerwehrmann, der das Bild der verkohlten Leiche nicht aus dem Kopf bekommt. Der Rettungssanitäter, der das Schicksal des jungen Unfallopfers nicht verkraftet. Der Polizist, der einen Menschen sterben sieht. Dieses ebenfalls von Holzheid koordinierte Team umfasst 15 Mitarbeiter. Sie alle gehören den Hilfsorganisationen an und werden entsprechend geschult.
Die Teams sind eine „enorme Entlastung für die Rettungsdienste und die Polizei, die sich dadurch auf ihre Arbeit konzentrieren können“, sagt Roland Merz. Der Polizeihauptkommissar fungiert als Verbindungsbeamter zwischen der Polizei und den beiden Seelsorger-Teams. Das SbE-Team war letztes Jahr fünfmal gefordert, heuer im Januar und Februar aber schon zweimal.
Die Entscheidung, dass ein SbE-Mitarbeiter oder ein Notfallseelsorger gerufen werden muss, trifft bisher der Einsatzleiter vor Ort. Für ihn erledigt das der Disponent in der Rettungsleitstelle. Holzheid will das ändern. Geplant ist ein Automatismus.
Damit keiner vergessen wird
Alle Rettungseinsätze sollen in – je nach Grad der Katastrophe – unterschiedlich Alarmierungsstufen eingeteilt werden, ab einer Stufe X wird automatisch der Notfallseelsorgedienst und/oder ein Kollege des SbE-Teams gerufen. Die Gespräche sind weit gediehen, noch im ersten Quartal soll ein Probelauf starten.
Dann gibt es den Fall wie den des unabsichtlich „vergessenen“ Zugführers nicht mehr. Ein Mensch hat sich bei Waigolshausen vor seinen Zug geworfen. Die Einsatzkräfte machten ihren Job. Der Zugführer auf seiner Lok, die er nicht verlassen darf, wartete mit einem Schock. Als der Notfallseelsorger endlich beim Zugführer eintraf, war sein erster Kommentar: „Ihr habt aber lange gebraucht, bis ihr mich wahrgenommen habt“.
Notfallseelsorger
Bei der „Stressbearbeitung für Einsatzkräfte“ gibt es 13 „Notfallseelsorger“ und 15 Mitarbeiter. Weitere Interessenten sind willkommen. Notfallseelsorger sind Gesprächspartner für Angehörige nach einem Unfall, sie unterstützen die Einsatzkräfte bei Katastrophen, versuchen bei Selbstmorddrohungen Schlimmeres zu verhindern und Sterbenden beizustehen. Eine ähnliche Aufgabe nehmen die SbE-Teammitglieder wahr, allerdings nur bei Einsatzkräften. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Vorsorge. Durch Fortbildungen bei Einsatzkräften soll das Wissen und das Verständnis für traumatologische Ereignisse vermehrt werden. Für die Nachsorge steht Koordinator Norbert Holzheid in engem Kontakt zur Beratungsstelle für Ehe, Familien- und Lebensfragen der Diözese Würzburg und der Christian-Presl-Stiftung Bad Kissingen. Weitere Infos bei Norbert Holzheid (Bild), Martin-Luther-Platz 18, Schweinfurt, Tel. (0 97 21) 21 665, notfallseelsorge.schweinfurt@web.de. Die Dienste sind spendenfinanziert: Kontonummer 760 013 151 bei der Sparkasse Schweinfurt (BLZ 793 501 01). FOTO: HANNES HELFERICH