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MEININGEN: Rose Bernd in Meiningen:Sie wissen und sie sehen nichts

MEININGEN

Rose Bernd in Meiningen:Sie wissen und sie sehen nichts

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    Meiningen

    Endlich, endlich wieder

    nach langer Zeit

    ein Stück auf der Großen Bühne des Meininger Theaters, in dem die Kunst des Schauspiels und die Kunst des Dialogs so unmittelbar über die Rampe in die Herzen der Zuschauer dringen kann, dass es keinerlei dramaturgischen Firlefanz braucht, um Nähe aufzubauen: Lars Wernecke, Oberspielleiter des Theaters, inszeniert Gerhart Hauptmanns Schauspiel „Rose Bernd“.

    Um Nähe und Natur herzustellen, braucht es nicht unbedingt die Urfassung in niederschlesischer Mundart. Die Akteure sprechen eine umgangssprachliche Form des Hochdeutschen. Um Nähe herzustellen, braucht es Vertrauen in die Kraft der handelnden Menschen, egal wie verbogen die Natur der einzelnen Charaktere auch sein mag, vom Malochen gezeichnet, vom Glauben in die Enge gedrängt, von Machtgelüsten und sexuellen Trieben umgeben und von Sturheit und Selbstgerechtigkeit geplagt. Und genau diese Kraft versteht Wernecke aus dem hoch motivierten Ensemble hervorzukitzeln – bis in die unscheinbarste Geste, die verkrümmteste Körperhaltung und die schattenhafteste Mimik. Das ist ein Abend, an dem sich alle freispielen und – vor allem – Anne Rieckhof als Bauernmädchen zeigen kann, was in ihr steckt. Sie gibt die Rose Bernd in ihren tragischen Verstrickungen so intensiv, so glaubwürdig, dass ihr Spiel ohne Umschweife die Seelen der Zuschauer berührt, besonders dann, wenn sie der selbstgerechten und bigotten Männerwelt um sich herum ihre Wut entgegenschreit und Verzagtheit und Verzweiflung aus ihr herausbrechen.

    Die Welt, die der jungen Frau zuwider ist und in der sie unterzugehen droht, ist die eines schlesischen Provinznests Anfang des 20. Jahrhunderts. Es könnte aber genauso gut die Wirklichkeit eines hinter den Wäldern gelegenen Rhöner Dorfes in den 1950er- und 1960er-Jahren sein. Zu einer Zeit, in der Glaubensfrömmigkeit, Bigotterie und Tradition immer noch hohle aber allmächtige Rituale gebären und die Empfindungen einer aus der Bahn geworfenen jungen Frau sich völlig der Zucht, der Ordnung, der Schuld und der Scham zu unterwerfen haben.

    Bühnenbild und Kostüme von Ausstatterin Monika Gora öffnen auf atemberaubend schlichte Weise den Horizont zwischen der Welt damals und der der nahen Vergangenheit. Monströse graue Eisentore schieben sich wie ein eiserner Vorhang zur Seite und geben von Akt zu Akt den Blick frei auf eine riesige landwirtschaftliche Lagerhalle, die wahlweise die des Gutsbesitzers Flamm und die des Bauern Bernd ist, und die durch wenige Verschiebungen zu angedeuteten Wohnräumen verändert werden kann. Selbst ein alter roter Traktor, gelenkt vom Maschinisten Streckmann, findet Platz auf der Bühne und vermittelt, neben der Kleidung, das Gefühl, man befände sich in einer nicht allzu fernen Zeit.

    Rose, Tochter des frommen Bauern Bernd (Michael Jeske), die in ihrem Leben nichts anderes kennt als Arbeit und Entbehrung, hat nach dem Tod der Mutter ihre jüngeren Geschwister aufgezogen. Nach einer heimlichen Liaison mit dem verheirateten und viel älteren Gutsbesitzer und Landrat Flamm (Ingo Brosch), ist sie schwanger und wird zudem noch von dem brutalen Maschinisten Streckmann (Raphael Kübler) vergewaltigt. Von der männer- und glaubensdominierten Welt hat sie kein Verständnis zu erwarten. Allein die Frau des Gutsbesitzers (Ulrike Walther) und der schwächliche und fromme Buchbinder August (Florian Beyer), den sie nach dem Willen des Vaters heiratet, sind ihr zugeneigt. Doch die Wahrheit kann sie ihnen nicht sagen. Sie lügt, tötet in Elend und Verzweiflung das neugeborene Kind – und zieht am Ende ein bitteres Urteil über die Welt, in der sie leben muss: „Ihr wisst eben nichts. Ihr seht eben nichts. Ihr habt nichts gesehen mit offenen Augen.“ – Eine Wahrheit, die neben vielen anderen Regungen und Erregungen, die diese naturalistische Inszenierung offenbart und hervorruft, heute noch so gültig ist wie das Amen in der Kirche.

    Ein Abend, den man so schnell nicht vergessen wird und der das Publikum immer wieder zu Zwischenapplaus hinreißt.

    Nächste Vorstellungen: 9. April, 19.30 Uhr, 27. April, 19 Uhr, 1., 10. und 24. Mai, jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon Tel. (0 36 93) 45 12 22 oder 45 11 37. www.das-meininger.theater.de

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