Den Nerv der Zeit getroffen haben Schweinfurter Tagblatt, AOK und die ADHS-Selbsthilfegruppe „Hypies & Co.“ mit ihrem gemeinsamen Gesundheitsforum zum Thema Anpassungsstörungen. Mehr als 100 Interessierte versammelten sich am Donnerstagabend in der Aula der Sennfelder Volksschule, die bis zum Veranstaltungsbeginn kräftig nachbestuhlt werden musste. Gezogen hat offensichtlich die durch zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen auch hierzulande bekannte ADHS-Expertin Cordula Neuhaus.
Neuhaus betreibt in Esslingen ein Therapiezentrum für Betroffene, führte lange Jahre auch eine Mini-Not-Schule auf der Schwäbischen Alb, hat sich heute aber weitgehend auf ihre Arbeit als Therapeutin und Trainerin zurückgezogen. Der Grund: Obwohl immer mehr Menschen Hilfe brauchen, wird deren Finanzierung immer schwieriger – und in der Folge auch qualitativ gutes Therapieangebot immer weniger. Dabei ist ADHS heute tatsächlich ein weit verbreitetes Problem.
Ging man vor zwei bis drei Jahrzehnten noch von einer weltweiten Prävalenz zwischen ein und zwei Prozent aus, so sprach man Mitte des letzten Jahrzehnts bereits von gut fünf Prozent Betroffenen. „Je reizintensiver die Welt, desto größer die Zahl der Erkrankungen“, nannte Cordula Neuhaus Gründe für die nach wie vor rasante Zunahme. In Israel etwa gehe man heute davon aus, dass ein Viertel der Bevölkerung unter ADHS leide.
Und wie leiden ADHS-Patienten? „Die emotionale Impulsivität ist ihr größtes Problem“, konstatiert Neuhaus. Sie seien bei Kritik oder unter Druck schnell verletzt, in ihrer Erregung schwer zu stoppen. Darüber hinaus könnten sie sich nur auf Dinge oder Verrichtungen konzentrieren, die ihnen Spaß machen. Ansonsten flache die Aufmerksamkeitskurve rapide ab. Und: ADHS-Betroffene können sich nicht selbst aktivieren und motivieren, weshalb Prokrastination – also das Aufschieben wichtiger Angelegenheiten – in diesem Kreis weit verbreitet sei. Können Medikamente helfen? „Metylphenidat ist aus meiner Sicht ein Segen“, unterstreicht Cordula Neuhaus. Zwar wirke das unter dem Namen Ritalin bekannte Medikament nicht gegen alle Symptome, unterstütze die Betroffenen aber bei der Konzentration. Angesprochen würde hier der vordere Stirnlappen. Nicht angesprochen hingegen der Mandelkern, der das Gefühlsleben steuere. Für Eltern und Pädagogen hat sie deshalb eine zentrale Botschaft für den Umgang mit ADHS-Kindern und -Jugendlichen: „Seid lieb zum Mandelkern.“ Wer statt auf Druck auf Freundlichkeit setze, wer die Betroffenen zu „Chefs in eigener Sache“ mache, der könne viel erreichen. „ADHS ist aber nicht nur furchtbar“, so eine andere Neuhaus-Botschaft. Die Erkrankten seien die einzigen „genuin kreativen und innovativen Menschen“ und verfügten über eine „spontane Hilfsbereitschaft“. Dies eröffne auch Chancen im Berufsleben.
„Hypies & Co.“, die Schweinfurter ADHS-Selbsthilfegruppe, trifft sich jeden letzten Freitag im Monat um 20 Uhr im Pfarrzentrum Sankt Kilian. Kontakt: Elke Büttel-Wirth, Tel. (0 97 21) 2 10 98.