Obwohl alles 13 Jahre her ist, hat Ursula Schneeberger das Bild noch genau vor Augen. Sie erzählt: „Bei meinem ersten Besuch im Gefängnis war ich ziemlich nervös. Die ungewohnte Umgebung, das laute Schließen von Türen taten ihr Übriges. Dann stand ich im Besuchsraum. Am Tisch saß ein schmaler, blasser Junge und sah mir unbewegt entgegen.“ Was Ursula Schneeberger hier beschreibt, waren die ersten Schritte des heutigen Ebracher Vereins für ehrenamtliche Straffälligenhilfe, „Schritt für Schritt“ genannt.
Die stellvertretende Vorsitzende stellte rückblickend fest: „Wir alle, die wir nach all den Jahren noch bei der Stange sind, haben den Entschluss, uns damals zu melden, nicht bereut. Das Engagement hat unser Leben bereichert.“
Seit 13 Jahren setzen sich die vorwiegend freiwilligen Helferinnen für die Strafgefangenen im Alter von 17 bis 24 Jahren in Bayerns größtem Jugendgefängnis in Ebrach ein. Sie wollen ihnen auf dem Weg in ein eigenverantwortliches Leben nach der Haft helfen.
Die Arbeit von Schritt von Schritt steht im Mittelpunkt der jüngsten Sonderausstellung im Museum der Geschichte Ebrachs. „Einblick – 13 Jahre Ehrenamt in der JVA Ebrach“ ist sie überschrieben und bietet dem von Sibylle Röding (Ebrach), Ursula Schneeberger (Kitzingen) und Anke Bub (Würzburg) angeführten Verein die Möglichkeit, seine Arbeit in Form eines Querschnitts aus den vergangenen Jahren darstellen zu können.
Letztendlich steht die Hoffnung dahinter, durch die Präsentation das Interesse an der ehrenamtlichen Arbeit im Strafvollzug zu wecken und so neue Mitstreiter zu finden.
Ursula Schneeberger: „Wenn diese Ausstellung helfen könnte, das Interesse an unserer ehrenamtlichen Arbeit zu steigern, wäre das schön. Wenn wir ein paar neue Mitstreiter oder auch nur einzigen fänden, wäre das noch schöner.“
Der Aufruf des Pfarrers
Alles fing 2002 mit einem Zeitungsartikel an. In dem suchte Pfarrer Wilfried Geyer, der damalige evangelische Gefängnisgeistliche in Ebrach, Menschen für Besuche bei Gefangenen ohne tragfähige soziale Kontakte.
Nach gründlicher Einweisung und Warnungen, sich von der „schwierigen Klientel“ nicht über den Tisch ziehen zu lassen, wagten sich sechs Kandidaten und Kandidatinnen auf das unsichere Parkett. Eine davon war Ursula Schneeberger.
„Ich sagte zu dem jungen Mann: Guten Tag, Herr Pfarrer Geyer sagte mir, dass sie besucht werden wollen“, erinnert sie sich an die erste Begegnung mit einem jungen Häftling. „Doch der Junge sagte mit leicht russischem Akzent: Ich wollte nicht besucht werden. Pfarrer ist gekommen und hat so lange auf mich eingeredet ,bis ich ja gesagt habe.“ Jetzt steh ich da wie ein Depp, sei ihr durch den Kopf geschossen. Da habe sie angefangen zu lachen: „Da hat uns der Pfarrer ja schön reingelegt. Und was machen wir jetzt?“ Darauf der junge Mann gnädig: „Wo sie schon mal da sind, können sie auch bleiben.“
„Wenn ich später von dieser Erfahrung berichtete, kam fast immer der Kommentar: Spätestens an dieser Stelle wäre ich umgedreht und gegangen“, berichtet Schneeberger. „Ich ging nicht.“ Und das sei der Beginn einer wunderbaren Freundschaft gewesen. Auch später seien die befürchteten Schwierigkeiten ausgeblieben. Bis zum heutigen Tag sei sie nie über den Tisch gezogen worden und auch nie an Nähe und Distanz gescheitert, bilanziert die ehrenamtliche Helferin im Ebracher Knast.
Ohne Humor geht es nicht
Im Nachhinein glaube sie, dass Lebenserfahrung und persönliche Einstellung eine wesentliche Rolle spielen. Humor sei wichtig, er helfe über traurige Dinge hinweg und sei eine Form von Souveränität.
„Die Jungs“ hätten ein feines Gespür. Wichtig für das Gelingen eines Kontaktes sei die Begegnung auf Augenhöhe. Ursula Schneeberger: „Der Respekt, dem ich dem anderen entgegenbringe, kommt zurück.“ Ganz so wie es Norbert Merz, der 2014 verstorbene Mentor der ehrenamtlichen Helfer im Strafvollzug in Bayern immer erklärt habe: „Ich gehe als Mensch zum Menschen.“
Bis 2007 waren die Ehrenamtlichen Einzelkämpfer, dann schlossen sie sich zwecks besserer Effektivität ihrer Arbeit zum Verein „Schritt für Schritt“ zusammen. Nicht zuletzt durch die Großzügigkeit von Sponsoren allen voran den Frauen vom Club „Inner Wheel Steigerwald“, war es fortan möglich, größere Projekte anzugehen. So finanzierte der Verein Klavierunterricht, Rap-Workshops, Kurse für „Gewaltfreie Kommunikation“, Material für die Gruppenarbeit und vieles mehr.
Unterstützung bei ihrer Arbeit bekommen die Ehrenamtlichen von Schritt für Schritt von den hauptamtlichen Bediensteten der JVA. Es herrscht dabei quasi eine Aufgabenteilung. Ursula Schneeberger: „Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zur hauptamtlichen Arbeit, allenfalls als eine gute Ergänzung, vor allem für die emotionalen Bedürfnisse der jungen Gefangenen.“ Dies werde von „den Jungs“ wiederum durch Respekt, Achtung und Zuneigung honoriert.
Für Ebrachs Bürgermeister Max-Dieter Schneider zeigt die Ausstellung, wie wichtig die Arbeit des Gefangenenhilfsvereins ist. Das unterstrich er bei der von einem Gefangenen auf der Gitarre mit selbst komponierten Stücken umrahmten Eröffnung. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Anstaltsbeirats, des Landtagsabgeordneten Heinrich Rudrof, ist das Wirken und Engagement des Vereins im Dienste der Resozialisierung nicht hoch genug einzuschätzen.
Für Museumsleiter Viktor Fieger stellen Ebrach und die JVA eine untrennbare Einheit dar. Deshalb versuche das Museum immer wieder, das Geschehen innerhalb der Mauern des ehemaligen Zisterzienserkloster durch Sonderausstellungen transparent zu machen.
Die Sonderausstellung „Einblick – 13 Jahre Ehrenamt in der JVA Ebrach“ ist noch bis 25. Mai täglich von 14 bis 16 Uhr in den frei zugänglichen Museumsräumen im ehemaligen Zisterzienserkloster geöffnet.
Kontakt: Verein Schritt für Schritt, Vorsitzende Sibylle Röding (Ebrach), Tel. (0 95 53) 98 10 26, Stellvertreterin Ursula Schneeberger (Kitzingen), Tel. (0 93 21) 74 82, E-Mail-Adresse: sfs.ebrach@web.de