Obwohl er zu den einflussreichsten Architekten seiner Zeit zählte, war Paul Bonatz (1877-1956) lange Zeit nur in Fachkreisen und Architekturinteressierten ein Begriff – bis sein Name in der Auseinandersetzung um den Umbau „seines“ Stuttgarter Hauptbahnhofs immer wieder öffentlich genannt wurde. Auch in Schweinfurt stehen mehrere Bonatz-Bauten: die Friedenschule von 1908, das Verwaltungsgebäude für Fichtel & Sachs (heute ZF), erbaut zwischen 1931 und 33, das 1936 eingeweihte Willy-Sachs-Stadion und – weitgehend unbekannt – das so genannte Haus Wittig, 1936 für Wilhelm Wittig, Direktor bei Fichtel & Sachs, errichtet.
Alle vier Bauten werden heute noch in ihrer ursprünglichen Funktion genutzt und wurden auch – mit Ausnahme der Friedenschule – in den vergangenen Jahrzehnten nicht so stark umgebaut, dass ihre ursprüngliche Qualität nicht mehr erkennbar wäre. Sie sind gute Beispiele für das große Können, aber auch für die Widersprüchlichkeit im Leben und Schaffen von Paul Bonatz. Trotzdem hat sich lange Zeit in Schweinfurt kaum jemand für seine Gebäude oder die anderer hervorragender Architekten des 20. Jahrhunderts interessiert.
Das ändert sich gerade, dank des Engagements des Architekten- und Ingenieurvereins (AIV) Schweinfurt. Der gibt demnächst, wie berichtet, einen Architekturführer heraus, in dem die wichtigsten Bauten des 20. Jahrhunderts in Schweinfurt vorgestellt werden. Darüber hinaus bietet der AIV Vorträge und Führungen zu namhaften Architekten an, die in Schweinfurt ihre Spuren hinterlassen haben. Nach Theodor Fischer 2013 geht es dieses Jahr um Paul Bonatz, den Wolfgang Voigt, der stellvertretende Direktor des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt, in einem Vortrag vorstellte. Voigt leitet auch die „Spurensuche“ am 3. April. Treffpunkt 17 Uhr an der Friedenschule, Ludwigstraße 5, 17.45 Uhr Haupteingang Willy-Sachs-Stadion, anschließend Verwaltungsgebäude ZF, Ernst-Sachs-Straße 62.
Es ist nicht einfach, den 1878 geborenen Bonatz einzuschätzen. Er schien sich Zeit seines Lebens alle Optionen offen zu lassen, bewegte sich als Architekt zwischen Tradition und Avantgarde. Am deutlichsten traten diese Widersprüche im Nationalsozialismus zu Tage. Einerseits war Bonatz, so Voigt, ein Kritiker des Regimes, der vor Kollegen seine Meinung sagte und 1933 wegen der Äußerung „Hitler werfe Deutschland um 1000 Jahre zurück“ in heftige Bedrängnis geriet und nur mit Mühe den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Andererseits wollte er unbedingt bei den Großprojekten des „Dritten Reichs“ dabei sein und tat vieles dafür. Mit Erfolg. Zwischen 1934 und 1943 entwarf Paul Bonatz 150 Brücken für die Reichsautobahn, von denen er einige Dutzend auch bauen konnte.
Gleichzeitig näherte er sich in den 1930-Jahren dem „Neuen Bauen“ der Avantgarde, gegen die er noch Jahre vorher Stellung bezogen hatte. Auch das ist ein Beispiel für seine Ambivalenz. In diese Zeit der Annäherung fallen die zwei Schweinfurter Bauten im Auftrag von Willy Sachs. Das Verwaltungsgebäude für Fichtel & Sachs mit seinen weichen Rundungen und den Fensterbändern überzeugt auch heute noch durch zeitlose Eleganz. Es wurde 1931 bis 1933 gebaut. Ein Jahr später erhielten Bonatz und sein Schwiegersohn Kurt Dübbers den Auftrag zum Bau eines Stadions. Es war eine der modernsten und großzügigsten Sportanlagen dieser Zeit. Willy Sachs investierte rund eine Million Reichsmark in sein Geschenk an die Stadt und ihren Fußballclub.
Am 23. Juli 1936 wurde das Willy-Sachs-Stadion in Anwesenheit einiger Nazi-Größen eingeweiht. Sachs hatte seine Jagdfreunde Heinrich Himmler und Hermann Göring eingeladen. Der Fotograf Hans Uhlenhut hat nicht nur die Einweihung dokumentiert, sondern auch großartige Architekturaufnahmen vom Stadion gemacht, von denen heute ein Teil im Stadtarchiv aufbewahrt wird, ein Teil im Architekturmuseum der TU Berlin.
Über das Haus Wittig, das in der Nähe des Museums Otto Schäfer liegen soll, ist nur wenig bekannt. Es ist in privater Hand und offensichtlich noch weitgehend original erhalten. Das trifft auf die Friedenschule leider nicht zu. Bonatz war noch ein junger Architekt, als er 1908 die Ludwigschule – wie sie damals hieß – als Zwillingsbau plante. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die beiden Flügel durch ein einheitliches Satteldach verbunden, was dem Bau viel von seiner Präsenz nimmt. Es gab immer wieder Stimmen in der Stadt, die über einen Rückbau nachdachten, aber ohne Erfolg. 2008 wurde die Schule saniert.
Paul Bonatz war ein sehr erfolgreicher und einflussreicher Architekt und Hochschullehrer in Stuttgart. Ab 1905 baute er zahlreiche Schulen, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude, den Stuttgarter Hauptbahnhof, Brücken und seine in Fachkreisen gerühmten Staustufen am Neckar. Wie er zu den Schweinfurter Aufträgen kam, weiß auch Wolfgang Voigt, der ausgewiesene Bonatz-Kenner, nicht. Möglicherweise hat ihm Theodor Fischer, der gebürtige Schweinfurter und große Mentor von Bonatz geholfen. Bonatz habe Fischer verehrt, so Voigt. Er nannte sich seinen „eifrigsten Jünger“, löste sich später aber von seinem Meister und wollte alles radikal einfacher machen als dieser.
Das Ende des Nationalsozialismus erlebte Paul Bonatz übrigens nicht mehr in Deutschland. Obwohl er nicht verfolgt war, emigrierte er 1943 in die Türkei, blieb dort einige Jahre, wurde Professor an der Technischen Hochschule Istanbul und genoss hohes Ansehen. „So schaffte er eine doppelte weiche Landung“, formuliert es Wolfgang Voigt: „Zuerst im Land des Exils, dann einige Jahre später wieder in Deutschland.