Schneewittchen ist böse geworden. Die Frau im eisblauen Schummerlicht verströmt arktische Kälte auf der Bühne. Schwarz das Haar, blutrot der Mund, tödlich der Blick für jeden Mann, der sie zur Frau will. Drei Rätsel gilt es zu lösen. Als Preis lockt die kalte Schönheit. Wer versagt, der bekommt eine Privataudienz bei Gevatter Tod.
Die bulgarische Sopranistin Iordanka Derilova erfüllt und erfühlt die Titelpartie von Puccinis letzter Oper „Turandot“ konsequent als „Principessa della Morte“, als Prinzessin des Todes. Die Sängerin mit der mächtigen Stimme zählt mittlerweile zu den wandlungsfähigsten Künstlerinnen der internationalen Opernszene. Vor zwei Jahren wurde sie in Dessau, wo sie Mitglied des Ensembles ist, zur Kammersängerin ernannt.
In Osnabrück sang sie die Partie als unbarmherzige Domina im samtenen Kleid. Am Anhaltischen Theater Dessau als wasserstoffblonder Vamp im kurzen Schwarzen. Unterschiedliche Interpretationen, aber jede mit einer stimmlich so überragenden Präsenz, dass das Publikum völlig aus dem Häuschen war.
Wie die Schweinfurter bei der furiosen Operngala zum Abschluss der Saison vor zwei Jahren. Auch hier sang die Derilova ihre Paraderolle „Turandot“. Und so schnell wie das Publikum damals am Ende der großen Arie „In questa reggia“ aus den Sitzen sprang, konnte man gar nicht schauen.
Nach einer etwas sperrigen Inszenierung mit Beethovens „Fidelio“ in der letzten Saison – eine Rolle, die Derilova nicht unbedingt liebt – steht nun ein weiteres Wiedersehen mit der populären Sängerin bevor. Mit dem Dessauer Orchester wird sie am Sonntag, 17. Juni, ab 19.30 Uhr im Theater der Stadt bei der „Festlichen Opern-Gala des Anhaltischen Theaters Dessau“ erneut zu hören sein. Ein Konzert mit hochkarätiger Besetzung. Star des Abends wird mit Sicherheit wieder die blonde Sopranistin mit der gewaltigen Stimme sein.
Iordanka Derilova ist im Theater der Stadt nicht nur ein gern gesehener und regelmäßig umjubelter Gast. Sie ist mittlerweile die Opernsängerin von internationalem Rang, die hier am häufigsten aufgetreten ist. Und das in den meisten Rollen. So war sie in den Verdi-Opern „Don Carlos“, „Giovanna d'Arco“, „Die Räuber“, in Mozarts „Don Giovanni“ und Beethovens „Fidelio“ zu hören sowie an zwei Gala-Abenden. Und jetzt folgt der dritte Streich, wo sie Arien aus Leoncavallos „Bajazzo“, Puccinis „Tosca“ und „Turandot“ singen wird. Und natürlich wird sie zum Abschluss und als Höhepunkt wieder die große (und ungemein schwere) Arie der Turandot „In questa reggia“ bringen.
Gerade wurde bekannt, dass die Derilova in der kommenden Spielzeit in Schweinfurt an vier Abenden die Titelrolle in Verdis „Aida“ singen wird. „Das ist eine meiner absoluten Lieblingspartien. Grandiose Musik. Und Aida ist eine Frau mit vielen emotionalen Nuancen, gefühlvoll, zornig, stark, bis hin zur Selbstopferung“, sagt die auf hochdramatische Rollen spezialisierte Sängerin. Es sind die starken Frauen, die sie faszinieren und bei deren Darstellung sie nicht selten ihre Gesangspartner in Grund und Boden singt. „Ich mag starke Persönlichkeiten auf der Bühne, so wie die starken Frauen im Leben. An erster Stelle fasziniert mich die Musik. Dann die eigentlichen Charaktere mit der Handlung. Frauen wie Turandot, Tosca, Aida oder Abigaile in ,Nabucco' sind stark und kompromisslos, einige auch arrogant und böse. Mich fasziniert es, diese Gestaltung auf der Bühne umzusetzen.“
Als sie zum ersten Mal mit dem Tenor-Weltstar Jose Cura in Tokyo auftrat, hatte der als Radames in Verdis „Aida“ alles andere als einen leichten Stand gegen die Sängerin. „Das war nicht nur ein unvergessliches Erlebnis, aber diese ,Aida' hat in Japan regelrecht Furore gemacht“, erinnert sich Derilova, „wir haben uns emotional und charismatisch perfekt ergänzt, und die Wirkung auf das Publikum war grandios.“
Gerade kommt sie von einer „Nabucco“-Tournee aus Holland zurück und hat in Dessau ihr Rollendebüt als Brünnhilde in Wagners „Götterdämmerung“ gegeben. Gerne würde sie weitere starke Frauentypen in ihr Repertoire aufnehmen, Lichtgestalten wie Norma, Medea und Salome. Aber eins nach dem anderen, ihr Terminplan ist für dieses Jahr bereits gut gefüllt.
Auf die Frage, was sie selbst von singenden Marketing-Ikonen wie Anna Netrebko hält, blitzen die braunen Augen der Derilova einen Augenblick auf, der Blick wird für einen kurzen Moment scharf: „Kein Kommentar“, lautet die kurze und bestimmte Antwort. Und es braucht auch keinen. Iordanka Derilova singt besser und sieht mindestens genauso gut aus. Egal in welcher Rolle.