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Virus als Reise-Mitbringsel

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Virus als Reise-Mitbringsel

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    Dr. Joachim Harlos.
    Dr. Joachim Harlos. Foto: FOTO KAtharina Winterhalter

    Im Jahr 1957 erkrankten in der Bundesrepublik 2402 Menschen an Kinderlähmung. Der bekannte Saxofonist Klaus Kreuzeder, 1950 geboren, ist eines der bekanntesten Opfer der Poliomyelitis, auch Polio genannt. Seit frühester Kindheit sitzt er im Rollstuhl. 1990 gab es in Deutschland die letzte Ansteckung. Heute scheint die Krankheit bei uns kein Thema mehr zu sein. Viele glauben, sie sei ausgerottet, und sie ist es auch – bis auf vier Länder: Indien, Pakistan, Nigeria und Afghanistan. Mit dem bundesweiten Aktionstag „Polio Plus“ am 24. Oktober will Rotary Deutschland auf die Krankheit aufmerksam machen. Auch die beiden Schweinfurter Clubs beteiligen sich. Der Nephrologe Dr. Joachim Harlos ist einer der Projektleiter.

    Frage: Warum sollen wir in Deutschland uns im Jahr 2009 für dieses Thema interessieren?

    Joachim Harlos: Das Problem besteht darin, dass wir in Deutschland bei Kindern zwar eine ausreichende so genannte Herdenimmunität haben, das heißt, selbst die nicht geimpften sind durch den hohen Schutz der Geimpften mitgeschützt, weil sich eine Polioinfektion in Deutschland totlaufen würde. Aber bei den erwachsenen Deutschen liegt der Impfschutz wahrscheinlich nur bei 60 Prozent.

    Was ist daran so problematisch? Ist das Risiko der Ausbreitung in Deutschland nicht trotzdem sehr gering?

    harlos: Es ist gering, aber es kann in dem Maße steigen, in dem die Impfmüdigkeit zunimmt. Derzeit rechnen wir mit fünf Prozent erklärten Impfgegnern. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, brauchen wir bei Polio 80 bis 86 Prozent wirksam geimpfte Menschen. Das heißt, wenn die Impfmüdigkeit zunimmt, kann die Herdenimmunität zusammenbrechen.

    Machen Sie diesen Aktionstag dann für die Menschen in Indien, Pakistan, Nigeria und Afghanistan oder eher für die Deutschen, die in diese Länder reisen?

    HaRLOS. In erster Linie für die Betroffenen in den Ländern, in denen Polio noch endemisch ist. Das hat eine lange Geschichte. Bereits 1979 beschlossen Rotarier die Impfung von 6,3 Millionen Kindern auf den Philippinen. Daraufhin sank die Infektionsrate dort um 68 Prozent. Dieser Erfolg bewegte die Weltgesundheitsorganisation WHO 1988 dazu, sich an der Kampagne zu beteiligen. Daraus entstand die Global Polio Eradication Initiative, in der Rotary, WHO, UNICEF und die US-Gesundheitsbehörde CDC zusammenarbeiten. Das 1985 erklärte Ziel von Rotary, bis 2005 jedes Kind gegen Polio zu impfen, konnte zwar noch nicht erreicht werden, aber das Ziel ist nahe. Inzwischen sind 800 Millionen Dollar in dieses Programm geflossen, ein großer Teil der Spenden wurden von Rotary mobilisiert.

    Dafür sammeln Sie am 24. Oktober?

    Harlos: Ja. Mit 25 Euro können 50 Menschen geimpft werden. Die Impfung wird als Schluckimpfung durchgeführt, weil es in diesen Ländern keine ausreichende Kühlung für den hier üblichen Impfstoff gibt und die Schluckimpfung auch von Laien verabreicht werden kann.

    Gibt es ein Risiko für Reisende in eines dieser Länder, sich anzustecken?

    harlos: Ja, Polio ist sehr ansteckend. Von 100 Infizierten erkranken im Durchschnitt fünf, aber alle 100 geben das Virus weiter und zwar innerhalb von Tagen. Das heißt, es besteht einerseits das fünfprozentige Risiko der Erkrankung und das höhere Risiko, dass Polio wieder nach Europa getragen wird. Jeder Reisende oder Geschäftsmann kann das Virus auf einer Flughafentoilette hinterlassen.

    Die Auffrischungsimpfung bei Erwachsenen ist nicht unumstritten. Empfehlen Sie sie Reisenden in diese Länder trotzdem?

    Harlos: Ja, bei Reisen in Regionen mit Infektionsrisiko, wenn die letzte Impfung zehn Jahre oder mehr zurückliegt. Die Impfung ist in Deutschland ja keine Schluckimpfung mehr, Nebenwirkungen sind vernachlässigbar.

    Für Kinder ist die Impfung weiterhin empfohlen?

    Harlos: Ja. Die Impfquote in Stadt und Landkreis Schweinfurt liegt mit 97,4 Prozent übrigens über dem Durchschnitt.

    Das Oberziel der Aktion heißt also Ausrottung der Polio weltweit?

    Harlos: Das möchte Rotary bis 2012 erreichen. Der einfachste Weg, das Virus auf Dauer zu eliminieren, ist, dass es sich auf der ganzen Welt totläuft durch eine ausreichende Herdenimmunität. Dann könnte man, wie bei Pocken, auf eine Impfung verzichten.

    In Afghanistan wird das sicher schwieriger als in Indien?

    Harlos: Wir werden da tätig, wo es möglich ist. Im Moment ist es in Afghanistan sicher extrem schwierig, organisierte Impfkampagnen durchzuführen. Es wird Widerstand der Taliban geben, die versuchen werden, die Aktion gegen westliche Hilfsgruppen zu instrumentalisieren. Ähnliches haben wir in Nigeria erlebt. Dort ist es aber gelungen, die Vorbehalte abzubauen, so dass mittlerweile auch die islamischen Geistlichen hinter der Aktion stehen.

    Über welche Summe weltweit sprechen wir?

    Harlos: Wir brauchen etwa 200 Millionen US-Dollar. Bill Gates, auch ein Rotarier, hat versprochen, er gibt 100 Millionen, wenn Rotary es schafft, weitere 100 Millionen an Spenden aufzutreiben. Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen.

    Am 24. Oktober ist der RC Schweinfurt-Peterstirn von 9 bis 17 Uhr mit einem Infostand auf dem Georg-Wichtermann-Platz, der RC Schweinfurt von 9 bis 20 Uhr in der Stadtgalerie. An der Aktion beteiligen sich die Clubs Haßfurt, Gerolzhofen und Arnstein.

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