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SCHWEINFURT: Voll feinätzender Selbsthäme

SCHWEINFURT

Voll feinätzender Selbsthäme

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    Zeugen des Verfalls: HISS in der Disharmonie, die klagenden Schwaben weckten sinistre Gefühle.
    Zeugen des Verfalls: HISS in der Disharmonie, die klagenden Schwaben weckten sinistre Gefühle. Foto: Foto: Uwe Eichler

    „Zu uns kommen die Mühseligen und Beladenen.“ Wenn das keine Einladung ist, zu sterbenslustigem Balkan-Blues, Ethno-Swing, Polka-Folkrock und Quetschen-Ska in die randvolle Disharmonie? „HISS“ nennt sich die buntscheckige, verwegene Stuttgarter Vagabundentruppe, benannt nach Akkordeonist und Bandleader Stefan Hiss, der die Kapelle in den Neunzigern zusammengeflickt hat.

    „Zeugen des Verfalls“ heißt vielsagend die aktuelle CD, die Nachfolgerin soll im Herbst erscheinen. Schon jetzt darf ausgiebigst gelebt und gelitten werden: Wer gemobbt wurde und mit flotten Rhythmen wieder aufgebaut werden muss, nur hereinspaziert. Wer gemobbt hat und jetzt (allzu) entspannt ist, so einer erhält hier seinen Arschtritt. Fast ebenso unterhaltsam tiefschürfend wie die moribunden Lieder über Tod, Liebe, Leid, Sucht, Sünde, Suppe oder ähnlich verwandte Themen, sind die Überleitungen des Chefs, voll feingeätzter Selbsthäme. Die Frisur ist provokant nach hinten gegelt, der Blick trüb, aber erhaben, während die Quetsche sich sehnsuchtsvoll biegt und bebt.

    Der Rest der Band, mit Mandoline und Mundharmonika, sieht ähnlich kühn-exotisch aus wie die Zwergentruppe, die im Kino den kleinen Hobbit heimsucht, jetzt nicht auf die Körpergröße bezogen. Das vermeintlich Schöne und Reiche, bei näherem Hinsehen erweist es sich oft als ziemlich hässlich und elend, während auch im Armseligen ein eigentümlicher Charme, eine dunkle Freude mitschwingen mag. „Es gibt ein Leben vor dem Tod“, mahnt Moritatensänger Hiss mit totenschädeligem Lächeln. Auch wenn da so mancher ein „leider“ seufzen mag, muss das Dasein dennoch in vollen Zügen durchschwommen, sollte vor allem genossen werden.

    Es ist eine musikalische Weltreise, vom Sumpf des Mississippi bis zu den verruchten Karpaten, von der orientalischen Seite der Straße von Gibraltar bis ins feurige Spanien. Selten hält es die Band länger an einem Ort aus, zuletzt haben sie sich aus ihrem Insel-Paradies vertrieben, zu sehr wurde das Eiland durch die eigene Gegenwart besudelt.

    Schweinfurt erschien da als der passendere Ort, voll Ihresgleichen. „Hebt das Glas und trinkt auf die Toten“, schmettert HISS bei der „Friedhofspolka“, die Schwarzen und die Bleichen, die Armen und Reichen, alle sind sie gleich als Leichen.

    Dankbarer Applaus für ein herrlich unzeitgemäßes Gesamtkunstwerk und seine beruhigende Botschaft.

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