(ue) Es explodierte mancher Reaktor und dem Super-GAU folgte der komplette Untergang gleich auf den Versen – und sei es nur der einer Scheinwelt. Schwärzester Moll traf auf mollig warme Gefühle – wie die Liebe: Mal melodramatisch-düster, mal jugendweise-romantisch geriet der vierte U 20-Poetry Slam im Stattbahnhof, Ergebnis eines zweitägigen Workshops mit dem Mainzer Poetry Slam-Veteranen Ken Yamamoto und seinem Leipziger Kollegen Bleu Brode.
Die etwas „theatralische“ Grundstimmung lag auch daran, dass Chef-Organisator Manfred Manger heuer vom dichtenden Teenie-Nachwuchs weniger Comedy-Kurzgeschichten als „echte“ Lyrik zu Papier gebracht wissen wollte. Für den Schweinfurter Dichterfürsten, der mit einer Verdammung der verwöhnten Jugend (nach Sokrates, 400 v. Chr.) und einer „Ode an die Geliebte“ (Tasse Morgenkaffee) begann, war's zugleich der Einstieg in den Ausstand. Künftig liegt der poetische Wettstreit in der Rückertstadt in den Händen eines eigenen Dichter-Vereins – der „WAS“ oder „Wortartikulation Schweinfurt“.
Die Poetry Slam-Szene, am Main vor allem von der Raspiller-Stiftung gefördert, bedankte sich bei ihrem „Manni Manger“, eigentlich Erzieher im Haus Marienthal, auch mit einem Besucherrekord von 110 Ohrenpaaren. Dann durfte sprachlich „randaliert“ werden, wie vom Moderatoren-Duo gefordert – von einer siebenköpfigen Jury mit bis zu zehn Punkten belohnt, wobei die jeweils schlechteste und beste Publikumswertung gestrichen wurde.
Vorjahressieger Mr. Pink beklagte als „Eisbrecher“ außer Konkurrenz den Tod der Märchen („Das Fernsehen ist der Gott der Idioten“) – er wird Schweinfurt bei den deutschsprachigen Meisterschaften in Düsseldorf vertreten. Hernach spürte „Kim-Gedankenstrich“ dem Geheimnis der Liebe nach: Ein brennendes Gefühl am ganzen Körper, dem man mit Sonnencreme niemals beikommt.
Zusammen mit Nummero Zwo, Marie-Lisa, katapultierte sich die Debütantin gleich auf einen gemeinsamen dritten Platz: „Der Tag, an dem der Tod begann“ - Marie-Lisas dunkle Liebeserklärung an einen Reaktoringenieur, inmitten der von seinem detonierten AKW verursachten Strahlenwüste, erhielt ebenfalls 41 Punkte. Alles Maskerade und Mummenschanz, hieß es bei Flo – auch seine Poetenrolle. Maike startete eine Liebeserklärung an den Rasenmäher-Mann von nebenan, Kadda grübelte über einen Namen für ihr neues Auto, inspiriert von Songs im Radio - es muss ja nicht „Highway to hell“ sein.
Eva erklärte ihrer Schwester die Liebe, Nico Schumann verkündete bereits mit elf dichterisch den nahenden Weltuntergang – erlag allerdings zwei Tage vor dessen Eintreten dem Biogasanschlag einer alten Frau. Das einzige Duo des Abends, Julia und Sebastian, ließ große Gefühle eines Paars brillant in absoluten Hass umschlagen - dafür gab's zu Recht 42 Punkte und Platz zwei. Nach einem Zwischengedicht fasste Jungpoetin Tre ihren Schmerz ob Latein und einer Welt, die selbst zerstört, in schöne Worte.
Ein komödiantischer Ausreißer: Taniel, der Sieger von 2007, und bereits dreimal dabei, schmierte seinen Fans heißgeliebtes Nutella aufs Brot. Für dieses temperamentvoll vorgetragene Spaßgedicht gab's 48 Punkte. Bei Luisa standen die Zeichen wieder auf Kernschmelze im Reaktor, Benni besang die Multifunktionstür 2000, die nicht nur Katzen unbegrenzten Zugang ins Haus verschafft. Auf einer ausgelassenen Party ließ Betti die Schuhe brennen, Rosina wunderte sich, wie ausgerechnet bei sechs Milliarden Menschen und einer Ewigkeit an Zeit sich im richtigen Augenblick „das“ Paar fürs Leben finden soll.
Im letzten Moment kündigte „Flo 2“ ihre Teilnahme an – ihr Statement über eine Liebe ohne Gegenliebe hätte man sich auch nicht entgehen lassen dürfen. Am Ende stieg Taniel aufs Siegertreppchen und erhielt die Fahrkarte als Zuschauer bei der U20-Poetry Slam-Meisterschaft in Düsseldorf.