„Wir sind in einer Zeit drin – wir müssen uns mal aufregen“: Wenn ein eher sanfter „Dreggsagg“ wie Michl Müller sowas sagt, dann stehen die Zeiten wohl wirklich auf Sturm. Der Franggn-Kabarettist aus Bad Kissingen-Garitz sorgt gleich zu Jahresbeginn für Bürgerbewegung: Das Konferenzzentrum auf der Maininsel ist bis auf den letzten Sitz ausverkauft, die 900er Marke locker geschafft.
„Ausfahrt freihalten! XXL“ nennt sich das mehrstündige Programm, und da das Leben nun mal Realsatire ist, gibt's zur Pause einen Aufruf, doch bitte die echten Ausfahrten freizuhalten.
Was ist Realität, was Fiktion? Selbst den 43-Jährigen, bekannt als Dampfplauderer aus „Fastnacht in Franken“, gibt's an diesem Abend mehrfach, als eine Art Bilder-Mantra: Mit Michl in echt, als Dreifach-XXL-Foto und drüber noch als Video-Livebild vor dem Fotostandbild. Das 10 000 Euro teure Bühnenbild wurde von buddhistischen Mönchen handgeklöppelt, sagt der Künstler selbstironisch. Vielleicht ist es eine Anspielung auf seine Show „Drei.Zwo.Eins.Michl Müller“ im Ersten.
Spürbar wohl fühlt der gelernte Werkzeugmacher sich aber „unten“, an der fränkischen Basis, nur einen Kugellagerwurf von SKF entfernt, wo seine Karriere mal angefangen hat.
Das Publikum kriegt wie Kugellagerstahl mal eine sanfte Wärmebehandlung, mal die Härte, die Pointen und Stereotype werden ebenso ausdauernd wie exakt nach festem Muster gestanzt. Dem Kabarettarbeiter nimmt man ab, dass er sich nach Feierabend mit Frank und Holger im „Latte & Mehr“ trifft, zu zwei Bier und einer Johannisbeerschorle, Zitat vom Kumpel Holger : „Der Dalai Lama sagt, man muss zufrieden sein.“
Muss man nicht: Aufreger gibt es einige, was Wunder, demnächst beginnt das chinesische „Jahr des Affen“. Konstantin Wecker und Hannes Wader, sie dürften eigentlich aus dem Protestsingen nicht mehr herauskommen, sagt Müller. Die Deutschen, die bislang vor allem Tunnel für Kröten gebaut haben, sehen sich plötzlich einer Flüchtlingswelle gegenüber. Selbst England musste 4000 Schutzsuchende aufnehmen: „Jetzt kippt die Insel“.
Und bei uns die Stimmung: Die Ossis damals, die haben wenigstens ausgschaut wie mir („Nee, hamse ned“). Und gesprochen wie wir („Nee, hamse auch ned“). Eigentlich werden die Deutschen ja immer toleranter, nur ihr Körper macht irgendwann nicht mehr mit, Stichwort Lactoseintoleranz. Kein Wunder bei steril gehaltenen Kindern: „Früher haben wir Sandkästen leergefressen und waren einen halben Winter lang mit der Zunge am Straßenschild festgefroren.“ Spontaner Applaus, das Publikum fühlt sich verstanden.
Schlagerparodien
Auch sonst ist dem Michl Müller nichts Menschliches fremd. Militante Rentner, saufende Ärzte, Dildo- & Dessous-Partys, umweltfreundliche VW-Busse, die vom Bushido-Bass angetrieben werden, dank junger Halbstarker und vibrierender Heckscheibe.
So richtig auf blüht der Comedian bei seinen poppigen Schlagerparodien, zwischen lockendem Kühlschranklicht und sexy Ingwerreibe, mit Lichtershow und Kunstnebel. Helene Fischer trifft auf Santiano, wenn es am Autobahn-Parkplatz heißt: „Ich bin kein Seemann, ich bin ein Schiffer.“ Ähnlicher Druck baut sich auf, wenn Zwieflplotz auf den Federweißen trifft: „In mir brodelt ein Vulkan“.
Der quirlige Barde sieht sich im Liebeslied selbst bescheiden als Engerling, nicht als Raupe. Heraus kommt da kein Schmetterling, sondern ein Maikäfer, sehr frei nach Andrea Berg. Aber weil der Kabarettist ein großes Herz hat, nimmt er sich auf La Gomera persönlich eines gestrandeten Afrikaners an: Tomtom – der erste Schwarze, der mit Dreggsagg-T-Shirt anlandet, dank Billigtextilien für die Dritte Welt.
„Ausfahrt freihalten“ dreht sich halt irgendwie um den Wunsch, auch als kleiner Franke dazu zu gehören und gehört zu werden, in einer immer größer werdenden Welt. Und noch eine Ausfahrt XXL frei zu haben, selbst wenn einem das dazugehörige Schild geklaut und die Garage vom tiefer gelegten BMW zugeparkt worden ist.
Zum Schluss kriegt MM mit „Einmal nur“ dann doch so etwas wie eine Protestballade hin, a la Xavier Naidoo: Im Kampf gegen weltweiten Krieg, Hunger und Durschd, steht auch ein Michl Müller einfach nur ratlos da, „in Ünnerhos“, mit Liedern über Leberwurschd. Dazu brennt im Saal sogar romantisch ein Feuerzeug.