Das eindrucksvolle Bierfuhrwerk der Brauerei Hümmer in Dingolshausen aus dem Jahr 1909 hätte sicher jedem Oktoberfestzug in München gut zu Gesicht gestanden. Dazu ist es nicht gekommen. Dafür wurde die historische Aufnahme 1953 von dem Holzschnitzer Ewald Wohlrab aber als Vorlage für eine besonders kunstvolle Lampe verwendet. Sie hing einst über dem Stammtisch der von Friedrich Korn und seiner Frau am Marktplatz in Gerolzhofen im Fachwerkhaus von Georg Höret eröffneten „Kino-Gaststätte“. Gleich nebenan – am Markt – betrieb nämlich zu jener Zeit Paula Ullerich die Central-Lichtspiele.
Den Korns Fritz und seine urige Kneipe, die später unter anderem als „Hümmer-Stube“ firmierte, gibt es lange nicht mehr. Aber die Lampe mit dem Kutscher, den schweren Pferden und dem Wagen voller Bierfässer hat die Zeiten in Privatbesitz überdauert.
Rechtzeitig zum ersten Oktoberfest anlässlich der Vorstadtkirchweih am 27. und 28. September kann sie nun dank der Initiative von Paul und Claudia Wehner im Gastraum des Brauereigasthofs Weinig-Wehner in der Rügshöfer Straße wieder von der Allgemeinheit bewundert werden. Dort passt sie sich zudem hervorragend in das rustikale Ambiente ein.
Brauereibesitzer Erwin Hümmer hatte den Bild- und Holzschnitzer Wohlrab seinerzeit damit beauftragt, die massive Lampe mit dem bis in alle Einzelheiten liebevoll nachgebildeten Bierfuhrwerk als Beleuchtungskörper für den Stammtisch zu fertigen. Auf der einen Seite ist der Werbespruch „Ich trinke nur immer das Kristballbier von Hümmer“, auf der anderen Seite der Hinweis „Bierfuhrwerk der Brauerei Hümmer im Jahre 1909“ ins Holz geritzt.
Nur noch ein Foto existiert von einer sehr ähnlichen, allerdings nicht ganz so wuchtigen Lampe, die ebenfalls einen Bierkutscherwagen zeigt und die offenbar von der Brauerei Hümmer zu jener Zeit für eine ihrer weiteren Vertragsgaststätten bei Wohlrab in Auftrag gegeben worden war. Die verwendeten Leuchten sind absolut identisch. „Malz und Hopfen ein guter Tropfen“ war darauf zu lesen. Überhaupt schnitzte Wohlrab für Bier- und Weinschänken offenbar immer wieder dekorative Einrichtungsgegenstände.
Nach Schließung der Gaststätte am Gerolzhöfer Marktplatz hatte die neue Hausbesitzerin Else Engel das Schmuckstück vom damaligen letzten Pächter erworben, bevor dort der Grüne Markt und das Blumenhaus der Familie nach dem Umzug aus der Spitalstraße Einzug hielten.
Später hing die Lampe einen Stock höher über der einstigen Gastwirtschaft in der Wohnung von Hildegard Engel und ihrem im Februar 2013 im Alter von nur 52 Jahren verstorbenen Mannes Harald.
Da aber nach dem Umzug in ihr neu gebautes Haus der Stil nicht mehr zu der massiven rustikalen Lampe passte und die Wohnung am Marktplatz seitdem obendrein vermietet ist, hatte Hildegard Engel das gute Stück zunächst für die von Bertram Schulz zusammengestellte Sonderausstellung des Stadtmuseums in diesem Sommer im Alten Rathaus über Ewald Wohlrab und sein Wirken zur Verfügung gestellt. Danach hatte sie sie auf dem freien Markt zum Verkauf angeboten.
Dabei kam schließlich Paul Wehner unter den Interessenten zum Zug. Sein Antrieb war es, die Lampe wieder der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, „damit sie wieder da hängt, wofür sie bestimmt war, nämlich im Gasthaus“, wie er betont. Das war auch Hildegard Engel ein großes Anliegen und hat sie schließlich überzeugt, dass der traditionelle fränkische Brauereigasthof künftig der richtige Platz für die Lampe ist.
Bertram Schulz, der zusammen mit Klaus Vogt das Stadtmuseum leitet, hatte sich anlässlich der erwähnten Sonderausstellung intensiv mit dem Leben Ewald Wohlrabs beschäftigt. Seinen Recherchen zufolge war der 1905 im ungarischen Güns/Köczeg geborene, gelernte Maschinensticker nach der Entlassung aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft in Frankreich nach Gerolzhofen gekommen.
In dem Lager hatte Wohlrab sein Talent zum Schnitzen entdeckt. Für die Kameraden schnitzte er vorwiegend Tabakspfeifen. Die Werkzeuge waren denkbar primitiv: Rasierklingen, Taschenmesser, selbst geschmiedete Eisen, ja selbst die Metallstäbe von Regenschirmen leisteten ihm als kleine Stecheisen gute und wertvolle Dienste.
Als Wohlrab eines Tages im Lazarett lag, begann er, lustige Holzfiguren zu schnitzen. Die wiederum kamen bei der amerikanischen Wachmannschaft bestens an, und im Tausch gegen Zigaretten und Essen fertigte er den GIs kleine Kunstwerke, die als Souvenirs über den großen Teich wanderten.
Kurze Zeit nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Mai 1946 kam der damals 41-Jährige nach Gerolzhofen, wo er sich in der Grabenstraße eine eigene Schnitzwerkstatt aufbaute.
Zehn Jahre lebte und arbeitete Ewald Wohlrab in Gerolzhofen, bevor er 1956 nach Großheubach zog, wo die Geschäfte am Fuße der dortigen Wallfahrtskirche offenbar besser liefen. Am 1. Juli 1976 starb der talentierte Holzschnitzer und Autodidakt im Alter von 71 Jahren.
Bis auf den heutigen Tag sind zahlreiche seiner Werke in der Steigerwaldstadt erhalten geblieben, wie die viel beachtete Sonderausstellung im Alten Rathaus zeigte. Dazu zählt als besonders Schmuckstück die Lampe mit dem kompletten alten Brauereigespann, die nun als Folge der Sonderausstellung wieder über dem Ecktisch an der Theke im Brauereigasthof in der Rügshöfer Straße die Blicke der Gäste auf sich zieht.
Allein dafür haben sich die Mühen von Bertram Schulz schon gelohnt.