Andreas Felsch ist seit 15 Jahren obdachlos, lebt seitdem auf der Straße. Am 29. Dezember erreicht er wieder einmal Schweinfurt. Wegen der Kälte zieht er es vor, die beiden Nächte im Adolf-von-Kahl-Haus der Diakonie zu verbringen. Drei Tage bleiben Obdachlose, weil es nur für drei Tage den Tagessatz von zwölf Euro gibt.
Im von-Kahl-Haus am Obertor erfährt Felsch von der Ausstellung „Das Leben ist eine Kunst“, die sich mit Armut, Abstieg, Ablehnung und Ausgrenzung beschäftigt. Der 46-Jährige erklärt sich sofort bereit, zum Abschluss der Ausstellung am 30. Dezember 2010 den Passanten auf dem Markt als „Betroffener“ zu berichten.
Am 20. Dezember öffnete die Ausstellung im Alten Rathaus. Gezeigt wurden Kunstobjekte von Gästen der sieben bayerischen Bahnhofsmissionen. Ziel war auch, die oft unterbewertete Arbeit der Bahnhofsmissionen prominent zu präsentieren.
Die Schweinfurter Ausstellung erweiterte der Aktionskünstler Winfried Baumann. Unter dem Titel „Instant Housing“ zeigte der Nürnberger einige seiner provokanten Zelte für obdachlose Menschen. Am 30. Dezember bildeten seine mobilen Wohncontainer vor dem Rathaus ein kleines Camp.
Viele Passanten nutzten die Möglichkeit, sich mit dem Künstler und Mitarbeitern der Diakonie und der kirchlichen Sozialarbeit über die Situation der Wohnungslosen in der Region auszutauschen. Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind in Deutschland etwa 223 000 Menschen wohnungslos. 20 000 von ihnen leben ganz ohne Unterkunft auf der Straße, 18 wohnungslose Männer sind im Winter 2009/2010 erfroren. Von Wohnungsverlust bedroht sind knapp über 100 000 Menschen.
Felsch war Unternehmer. Seine Baufirma ging Anfang der 1990er Jahre pleite, als Subunternehmen wurde sie beim Konkurs eines Großen „mitgerissen“. 80 Leute wurden arbeitslos, vor Felsch bäumte sich ein Schuldenberg von über einer Million DM auf. Die Gerichtsvollzieher standen Schlange, die Frau verließ ihn mit zwei Kindern, er stand auf der Straße. Private Insolvenz? „Gab es damals noch nicht“, sagt er.
„Wohnungsverluste müssen durch mehr Prävention vermieden werden. “
Diakoniechef Jochen Keßler-Rosa
Mehrfach versuchte er die Rückkehr, sie scheiterte, weil der Schuldenberg ja nicht geschmolzen war. Irgendwann sei ein Zurück nicht mehr möglich gewesen, „wenngleich ich mir die Illusion aufrechterhalte“. Aber, fügt er an, „ich bin jetzt 46 und 15 Jahre auf der Straße“. Felsch macht einen gepflegten Eindruck. „Das Leben ist knüppelhart, ich verstehe alle, die sich dem Alkohol ergeben“, sagt er, fügt aber an, dass er sich da noch im Griff habe. Das Äußere sei ihm wichtig, wenngleich er, um sich Kosmetik zu leisten, „oft auch betteln geht, weil „zwölf Euro dafür nicht reichen“.
Die Aktion am Markt nennt Felsch wichtig: „Wir sind der Aussatz der Gesellschaft, obwohl jeder weiß, dass es ihn morgen auch treffen kann.“ Wie den 50-Jährigen, der seinen Namen nicht nennen will. Er verlor kurz vor Weihnachten den Job und wegen Mietrückständen die Wohnung. Nach zwei Nächten im Freien landete er im von Kahl-Haus. Uwe Kraus leitet die Kirchliche Allgemeine Sozialarbeit, kurz KASA, der Diakonie und ist gerade dabei, dem Mann eine Bleibe zu verschaffen – die Voraussetzung, dass er Arbeitslosengeld bekommt.
Vom Wohnungsverlust seien viele Menschen in der Region bedroht, vor allem, weil sie sich die Energiekosten nicht leisten könnten. Viele lebten wegen ihrer Situation in schlecht isolierten älteren Wohnungen, die Stromkosten überstiegen häufig den Regelsatz, die hohen Nachzahlungen könnten viele nicht zahlen, wie kurz vor Weihnachten eine alleinerziehende Mutter. Kraus half, dass die Stromsperre aufgehoben wurde.
Mit Keßler-Rosa fordert er den konsequenten Ausbau der Prävention zur Vermeidung von Wohnungsverlusten. Dringend nötig sei auch eine heute nicht gegebene Kooperation von Kommunen, Energieversorgern und Wohlfahrtsverbänden, um bei Schulden die Unterkunft und Energieversorgung zu sichern. „Einfach den Strom sperren“, nennt Keßler-Rosa „keine Lösung“.