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WÜRZBURG: 22 Jahre lang konnten Spätaussiedler in Würzburg ihr Abitur nachholen

WÜRZBURG

22 Jahre lang konnten Spätaussiedler in Würzburg ihr Abitur nachholen

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    Ende einer Ära: Gemeinsam feierten Lehrerin Ilka Weber, Abiturientin Jeannette Steinfeld, Schulleiter Walter Neubeck und Abiturient Sergej Reinhardt die letzte Abschlussfeier des Sonderlehrgangs für Spätaussiedler am Matthias-Grünewald-Gymnasium.
    Ende einer Ära: Gemeinsam feierten Lehrerin Ilka Weber, Abiturientin Jeannette Steinfeld, Schulleiter Walter Neubeck und Abiturient Sergej Reinhardt die letzte Abschlussfeier des Sonderlehrgangs für Spätaussiedler am Matthias-Grünewald-Gymnasium. Foto: Foto: Regine Beyss

    Auch wenn ihm die Straßenbahn ein wenig zu langsam fährt – Sergej Reinhardt fühlt sich wohl. Würzburg ist für ihn zu einer zweiten Heimat geworden. Zwei Jahre lang besuchte er das Matthias-Grünewald-Gymnasium, um die Hochschulreife zu erlangen. Jetzt kann er sein Zeugnis endlich in den Händen halten. Doch Reinhardt ist kein gewöhnlicher Abiturient. Der 26-Jährige gehört zum letzten Sonderlehrgang für Spätaussiedler (siehe Infokasten), der in Würzburg ausgebildet wurde.

    „Damit geht eine Ära zu Ende“, sagt Schulleiter Walter Neubeck. „Immerhin hatten wir hier 22 Jahre lang ein zusätzliches Abitur.“ Jeweils im Februar begann für die Schüler die zweijährige Ausbildung. Gemeinsam absolvierten sie die 12. Klasse, anschließend wurden sie aufgeteilt. Während die einen für die Fachhochschulreife büffelten, strebten die anderen die Allgemeine Hochschulreife an.

    Auf dem Stundenplan standen Mathematik, Englisch, Naturwissenschaften und Gemeinschaftskunde. Fächer wie Sport, Musik oder Kunst sieht der Sonderlehrgang hingegen nicht vor. Ilka Weber, die Leiterin der Würzburger Sonderlehrgänge, erklärt: „Sie sollen sich auf die grundlegenden Fächer konzentrieren können.“ So gehörten auch gleich zwölf Stunden pro Woche dem Fach Deutsch. „An einer normalen Schule hätten sie aufgrund der Sprache wohl nur schwer Anschluss gefunden“, glaubt Weber. Und auch das Alter hätte das gemeinsame Lernen erschwert. Die jüngste Abiturientin des letzten Lehrgangs ist 21 Jahre alt.

    Sergej Reinhardt hatte anfangs Sorge, mit Mitte 20 noch einmal die Schulbank zu drücken. Doch einmal in Würzburg angekommen, gab es keine Probleme mehr. Schließlich waren seine Mitschüler alle in einer ähnlichen Situation. „Wir waren ja alle gerade frisch in Deutschland“, erinnert er sich.

    Im Dezember 2008 verließ Reinhardt gemeinsam mit seinem Vater seine Heimat in Russland. In der Oberpfalz absolvierten sie einen Integrationskurs, der sechs Monate dauerte. Danach ging es für den jungen Mann nach Nürnberg, wo er den erforderlichen Deutschkurs erfolgreich meisterte. „Eigentlich wollte ich dann eine Ausbildung machen“, erzählt Reinhardt. „Aber ich bekam nur Absagen.“ Um seine Chancen zu verbessern, entschied er sich für den Sonderlehrgang in Würzburg. In Russland hatte er zuvor bereits als Geschichtslehrer gearbeitet. Doch sein Abschluss an einem pädagogischen Kolleg reichte in Deutschland nur für die mittlere Reife.

    Gute Klassengemeinschaft

    Inzwischen hat er alle Prüfungen hinter sich. Und auch wenn sie anstrengend waren, Reinhardt ist mehr als zufrieden. „Ich habe viel von meinem schulischen Wissen aufgefrischt“, sagt er. „Und vieles, was ich hier gelernt habe, ist in Russland schon Uni-Niveau.“ Mit seinem Notenschnitt von 2,1 würde er gerne BWL oder Wirtschaftsinformatik studieren. Ähnliche Pläne hat auch seine Freundin Jeannette Steinfeld. Seit über einem Jahr sind sie ein Paar. Kennengelernt haben sie sich am Würzburger Gymnasium. „Die Klassengemeinschaft war gut“, findet der 26-Jährige. „Es gab keine Probleme – und selbst an die Dialekte haben wir uns irgendwann gewöhnt.“

    Für die Lehrer war der Sonderlehrgang indes immer eine besondere Herausforderung. „Das war nicht immer einfach“, sagt Schulleiter Neubeck. „Schließlich hingen an den Schülern ganze Schicksale: junge Frauen mit Kindern oder bereits verheiratete Schüler.“ Auch die großen Entfernungen zur Heimat spielte oft eine Rolle. „Unsere Lehrer haben immer viel Herzblut in diese Kurse gesteckt“, so Neubeck.

    Insgesamt 13 Spätaussiedler aus Russland und Kasachstan gehörten zum letzten Würzburger Sonderlehrgang. Die Zahlen sind seit den 90er Jahren stark zurückgegangen. Damals nahm das Würzburger Gymnasium pro Jahr 90 bis 100 Schüler auf. Jetzt wird der Unterricht eingestellt. Das gleiche gilt für den Sonderlehrgang in Augsburg. Ab 2013 ist das Bayernkolleg in Schweinfurt dann die einzige Anlaufstelle im Freistaat.

    Sergej Reinhardt möchte derweil in Würzburg bleiben und sein Studium an der FH beginnen. „Hier kenne ich ja jetzt alles und die Stadt ist nicht so groß“, findet er. „Nur die Bahn ist eben ein bisschen langsam.“

    Der Sonderlehrgang

    Nach der Wende wurden im Auftrag der Kultusministerien Sonderlehrgänge eingerichtet, um Spätaussiedlern eine Möglichkeit zu geben, ihre ausländische Hochschulreife so zu ergänzen, dass sie an einer deutschen Hochschule studieren können. Zu den Spätaussiedlern gehören deutsche Staatsangehörige, die in den ehemals deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie geboren wurden und nach 1945 dort blieben. Auch die Nachkommen dieser Familien fallen unter diesen Begriff.

    In den 90er Jahren erlebte Deutschland einen großen Zulauf solcher Spätaussiedler. Auch jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion konnen den Sonderlehrgang in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist ein abgeschlossener Deutschkurs. Die Ausbildung dauert zwei Jahre, mit inbegriffen ist eine Probezeit von drei bis sechs Monaten. Die Schüler können in dem Sonderlehrgang entweder die Allgemeine oder Fachhochschulreife erlangen.

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