Perfekte Rundungen und Kurven, eine Wespentaille und ein breiteres Hinterteil; der Scheinwerfer vorne zwischen den Griffen, ein ganzes Stück über den vergleichsweise kleinen Rädern – auch heute, 70 Jahre, nachdem die erste Vespa gebaut wurde, muss man nur den Namen hören, um die so typische Form des italienischen Rollers vor Augen zu haben. Auf Fahrzeugen in verschiedenen Farben – gelb, blau, weiß, rot – brausen die Mitglieder des Würzburger Vespa-Clubs nacheinander heran. Jeden Mittwoch treffen sie sich um 19 Uhr am Paradeplatz neben der Post, fahren auf ihren kultigen Motorrollern zu Gaststätten der Umgebung und tauschen sich bei Speis und Trank über Ausfahrten, Reparaturen und andere Vespa-spezifische Themen aus. Am Wochenende geht es auch mal weiter weg, zu größeren Vespa-Treffen in der Region. „Das ist alles ganz locker“, erzählt Ralph Jossberger, eines der Club-Mitglieder. „Manchmal sind wir nur zu zweit. Wenn wir viele sind, kommen zehn.“
Ein Roller für alle Generationen, alle Berufe
Die 22 Mitglieder, die der Club heute insgesamt hat, sind etwa 35 bis 50 Jahre alt und auch beruflich bunt gemischt. „Wir haben Studenten, einen Arzt, Handwerker…“, sagt Daniel Markert, ebenfalls Mitglied. „Das ist das Schöne daran: Es geht über alle Generationen und alle Berufe“, sagt Sabine Perego. „Hauptsache, man liebt Vespa.“ 1983 war sie eines der drei Gründungsmitglieder und ist seitdem dabei. „Innerhalb kürzester Zeit sind über 20 Leute zusammengekommen“, erzählt sie rückblickend. „Noch im gleichen Jahr sind wir zu unserem ersten großen Treffen nach Saarbrücken gefahren.“
Ihre Leidenschaft für den Kultroller hält – wie die von so vielen anderen Menschen weltweit – heute noch an, 70 Jahre, nachdem der erste im Italien der Nachkriegszeit vom Band gerollt ist.
Vespa ist ein Lebensgefühl
„Vespa ist ein Lebensgefühl“, sagen die Würzburger Rollerfahrer. „Sie ist einfach kultig. Es gibt sie schon so lange.“ Ein Lebensgefühl, nur weil es sie schon so lange gibt? „Sie ist bequem, unkompliziert, leicht zu handeln und bezahlbar“, ergänzen sie. Die Form sei sehr gefällig und spreche einfach die Sinne an. Außerdem: „Bei der Bauweise der Vespa habe ich einen Schmutzschild, der dreckige Motor ist abgedeckt – man kann auch gut angezogen beispielsweise zur Arbeit fahren, ohne sich dort erst umziehen oder aus der Motorradkluft schälen zu müssen“, konkretisiert Ralph. „Der Durchstieg macht es möglich, auch im Rock zu fahren“, ergänzt Sabine. „Bei den älteren Modellen kann man noch sehr viel selbst schrauben und reparieren. Das macht das Ganze auch günstiger.“
Zuerst aus Blech und Schubkarrenreifen
Bei den neueren Modellen – die übrigens nicht mehr aus Blech sind – geht das nicht mehr so einfach. „Die haben zu viel Technik und man muss sie schon in die Werkstatt bringen.“ Auch seien die Roller heute in der Anschaffung teurer als zu Anfangszeiten, aber verglichen mit Motorrädern immer noch günstig. Zum großen Teil hängen die Besonderheiten, die die Würzburger Vespa-Liebhaber nennen, eng mit der Entwicklungsgeschichte zusammen.
1946, Nachkriegszeit, Italien. Viele Menschen litten unter der Knappheit, die durch den Krieg entstanden war, viel war zerstört worden. Auch die Piaggio-Werke, in denen unter Mussolini vor allem Militärflugzeuge hergestellt worden waren, hatten die Amerikaner größtenteils zerbombt, um den Diktator zu schwächen. Nur einen kleinen Teil seiner Maschinen hatte der Unternehmer Enrico Piaggio nach Norditalien retten können. Militärflugzeuge durfte er wegen des Rüstungsembargos aber keine mehr bauen. Piaggio musste sich nach Alternativen umsehen, um die verbliebenen Maschinen weiter nutzen und den Betrieb wieder aufnehmen zu können. Seine Idee: Angesichts der Knappheit, der zerstörten Straßen und kaputten Eisenbahnnetze ein effektives Fahrzeug für breite Bevölkerungsschichten schaffen.
Es sollte bezahlbar und auch auf den kaputten Straßen noch einfach zu fahren sein – und mit den noch vorhandenen Maschinen zu produzieren.
Der Luftfahrtingenieur Renzo Spolti baute aus Metallresten, Schubkarrenreifen, einem Motorradlenker und einem Flugzeuganlassermotor einen ersten Prototyp, den MP 5. Piaggio gefiel das Modell nicht, das er wegen der Form „Paperino“, zu Deutsch „Donald Duck“ nannte. Er gab die Aufgabe an seinen besten Luftfahrtingenieur Corrdino D?Ascanio weiter. Der Prototyp D?Ascanios, der nicht sonderlich viel von Motorrädern hielt, überzeugte Piaggio: „Sembra una Vespa“, soll Piaggio ausgerufen haben, als er das Gefährt zum ersten Mal sah, „es sieht aus wie eine Wespe“. Der Roller mit dem Arbeitstitel „MP 6“ mit 98 Kubikzentimeter Hubraum, 60 Km/h und 3 PS war gebaut – und hatte einen neuen Namen: Vespa 98.
18 Millionen Fahrzeuge in 70 Jahren
Am 23. April 1946 meldeten die Italiener das Patent für den Roller an. Nur wenige Monate später verließen die ersten Serienfahrzeuge das Werk in Pontedera. Mit der Popularität ging es steil bergauf. Etwa seit 1950 wurden Vespas auch in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Spanien produziert, wenige Jahre später begann die Produktion auch in Indien und Indonesien. Bis heute wurde das Fahrzeug in rund 150 Modellen 18 Millionen Mal verkauft.
Es ist ein Kult, der nicht nur Clubs, aber auch unzählige Fanartikel hervorgebracht hat; angefangen von Spardosen über Taschenlampen aus Handgriffen bis hin zu Laufrädern für Kinder. Andreas Ruhl vom Club erzählt, er habe etwa 80 Krawatten mit Vespa-Motiv. Bei diesem Treffen trägt der Rollstuhlfahrer allerdings keine von ihnen. Sabines Leidenschaft für den Roller dagegen ist auch an diesem Tag offensichtlich. Ihr knapp knielanger, olivgrüner Parka ist voll von Aufnähern und Buttons, die dem Betrachter ihre Liebe für das Gefährt mitteilen. „Geboren zum Vespa Fahren, gezwungen zum Arbeiten“ verkündet etwa einer der Aufnäher, „Weltkulturerbe Blechroller“ steht auf einem anderen mit rot-weiß-blauen Kreisen.
Liebe auf dem Parka bekannt
Das runde, rot-weiß-blaue Symbol, ursprünglich durch die Royal Airforce verwendet, ist auch das Logo der Mods, eine Ende der 1950er Jahre unter britischen Jugendlichen der Arbeiterklasse und unteren Mittelschicht als Gegenstück zu Rockern entstandenen Subkultur. Viele Mods fuhren mit Vorliebe Roller – und trugen dabei olivgrüne Parkas, um ihre maßgeschneiderten Anzüge und Markenklamotten beim Fahren vor Dreck zu schützen. Sabines Parka ist eine originalgetreue Nachbildung.
Mehr als Schraubertipps
Die ersten Vespa Clubs gründeten sich bereits früher, Ende der 1940er. Der Würzburger Club ist vergleichsweise jung und klein, zwischenzeitlich hatte er schon mal um die 40 Mitglieder. „Dabei müsste es in Würzburg eigentlich genug Rollerfahrer geben.“ Grundsätzlich sollten Mitglieder natürlich Vespa fahren und nicht eine andere Marke. „Man fährt ja auch nicht mit dem Mercedes zum Käfer-Treff“, sagt Sabine Perego. „Wir schicken aber niemanden weg, bloß weil er einen anderen Roller fährt.“ Im Club willkommen sei grundsätzlich jeder. „Einige kommen aber nur vorbei, um sich Infos und Schraubertipps zu holen“, erzählen die Vespafahrer. Schade sei das. „Aber wenn es den Leuten nur um Schraubertipps geht – das brauchen wir nicht.“