Angela Merkel hat „Anne Will“ einen neuen Zuschauerrekord beschert: 6,02 Millionen sahen am Sonntagabend die ARD-Talkshow, in der die Bundeskanzlerin ihre Flüchtlingspolitik erklärte. Dabei bat sie einmal mehr um Geduld für eine europäische Lösung. Nationale Obergrenzen lehnte Merkel einmal mehr ab. Politiker in der Region zeigten sich vom Auftritt der Bundeskanzlerin beeindruckt.
Das größte Lob kommt aus der Opposition. Als „starken Auftritt einer starken Frau“ hat die Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina (Kürnach) die Sendung erlebt. „Gelassen und klar“ habe Merkel ihre Linie vertreten, „vielen Anfeindungen zum Trotz“. Celina: „Dafür bewundere ich die Kanzlerin.“ Sie labere nicht rum, sie verzichte auf Polemik und „parteitaktisches Geplänkel“. Diese „offenbar weiblichen Führungseigenschaften“ hätten mächtige Männer aller Couleur eher weniger. Man dürfe es ja bei den Grünen nicht laut sagen, schmunzelt Celina, „aber ich bin froh, das wir Angela Merkel als Kanzlerin haben“.
CSU-Bundestagsabgeordneter Alexander Hoffmann (Zellingen) sieht das Interview mit Merkel differenzierter. Ihn habe beeindruckt, wie „fokussiert und sortiert“ die Kanzlerin aufgetreten sei. Ihre Argumentation kenne er aus Fraktionssitzungen in Berlin. Auch CSU-Parteichef Horst Seehofer betonte, er habe nicht mit neuen Positionen in der Talkshow gerechnet, sagte er der Agentur dpa.
Hoffmann hätte sich eine Antwort auf die Frage gewünscht, „wie es weitergeht, wenn sie mit ihren Vorstellungen scheitert“. Der Abgeordnete ist skeptisch: „Die Signale sind niederschmetternd.“ Nicht mal auf die Verteilung von ein paar hundert Flüchtlingen habe sich die EU bislang einigen können. Da müsse Deutschland eben nationale Maßnahmen ergreifen und Flüchtlinge mit dem Verweis aufs Dublin-Abkommen an der Grenze abweisen.
Sabine Dittmar (Maßbach) hat Merkel ebenfalls „strukturiert, offen und ehrlich“ erlebt. Sie hätte sich gewünscht, so die SPD-Abgeordnete, dass die Kanzlerin „viel früher schon“ der Bevölkerung so ausführlich ihren Weg erläutert hätte. Merkels Kritik an SPD-Chef Sigmar Gabriel, der gefordert hatte, mehr Geld für einheimische Geringverdiener auszugeben, damit diese nicht sagen könnten, die Politik unterstütze nur noch Flüchtlinge, weist Dittmar zurück. Mit der Rente ab 63 oder dem Mindestlohn habe sich zwar für viele die Situation verbessert, aber es bleibe noch einiges zu tun, etwa für Senioren mit Mini-Renten.
Professor Frank Schwab hat die „Anne Will“-Sendung nicht im Detail analysiert. Der Würzburger Medienpsychologe verweist aber auf Studien, die belegten, dass bei Fernsehauftritten von Politikern weniger die Inhalte wirkten „als vielmehr das Wie“. Eine Kanzlerin, die auch kritischen Fragen gelassen und souverän begegne, werde als „authentisch“ und „glaubwürdig“ wahrgenommen. Davon ließen sich Wähler mit gefestigten Einstellungen zwar nicht beeindrucken, aber doch viele Unentschlossene. Gut möglich, dass Merkel da nun gepunktet habe.
"So geht Bundeskanzler(in)" - ein Kommentar zum Auftritt bei Anne Will