Würzburg

"Antike erfinden": Das Martin von Wagner Museum Würzburg präsentiert einen bislang ungehobenen Altertumsschatz

Kein anderer Künstler hat sich so intensiv mit Homers „Ilias“ auseinandergesetzt wie Martin von Wagner. Das Würzburger Universitätsmuseum würdigt erstmals seine Erkenntnisse.
Carolin Goll und Damian Dombrowski haben die Ausstellung 'Antike erfinden' kuratiert und dabei auch Martin von Wagners Monumentalgemälde 'Der Rat der Griechen' vor Troja (im Hintergrund) neu entdeckt.
Foto: Thomas Obermeier | Carolin Goll und Damian Dombrowski haben die Ausstellung "Antike erfinden" kuratiert und dabei auch Martin von Wagners Monumentalgemälde "Der Rat der Griechen" vor Troja (im Hintergrund) neu entdeckt.

Die "Ilias" des Homer, entstanden im achten oder siebten Jahrhundert vor Christus, gilt als einer der Urtexte der Weltliteratur. Homer war wohl der erste Autor überhaupt, dem es gelang, vor mythischem Hintergrund echte menschliche Motivationen zu verhandeln. Das gigantische Versepos schildert 51 Tage der zehnjährigen Belagerung Trojas durch die Griechen um Agamemnon, Achill und Odysseus. Es enthält in Überfülle alles, was ein gutes Drama braucht – Liebe, Hass, übersteigertes Ehrgefühl, Machthunger und jede Menge Grausamkeit.

Anmut im Irrsinn: Weil die Liebesgöttin Aphrodite auf Seiten der Trojaner kämpft, geht Diomedes auf sie los. Gerettet wird sie von der Götterbotin Iris, während Apoll den verletzten Äneas beschützt. Martin von Wagner, um 1840/50.
Foto: Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg | Anmut im Irrsinn: Weil die Liebesgöttin Aphrodite auf Seiten der Trojaner kämpft, geht Diomedes auf sie los. Gerettet wird sie von der Götterbotin Iris, während Apoll den verletzten Äneas beschützt.

Genug also, um über die Jahrhunderte Künstler zu inspirieren, von Rubens über Tiepolo und Cy Twombly bis hin zu Wolfgang Petersen und seiner Hollywood-Verfilmung mit Brad Pitt als Achill. Genug auch, um vor Augen zu führen, wie zeitlos das Thema ist. Anders gesagt: Betrachtet man den russischen Überfall auf die Ukraine, könnte man auf den Gedanken kommen, die Menschheit sei seit der Bronzezeit nicht viel weitergekommen.

In seinen Darstellungen ließ sich Martin von Wagner erkennbar von antiken Skulpturen inspieren.
Foto: Thomas Obermeier | In seinen Darstellungen ließ sich Martin von Wagner erkennbar von antiken Skulpturen inspieren.

Niemand stieg in der Auseinandersetzung mit Homer so tief ein wie Martin von Wagner (1777-1858), der Würzburger Professor, Forscher, Künstler, Sammler und Kunstagent Ludwigs I., der freilich die meiste Zeit seines Lebens in Rom verbrachte. Die neue Ausstellung "Antike erfinden" im Universitätsmuseum in der Würzburger Residenz, das seinen Namen trägt, zeigt das aus vielen Blickwinkeln. "Wir hatten keine Ahnung, welchen Schatz wir heben würden", sagt Prof. Damian Dombrowski, Leiter der Neueren Abteilung des Museums. Die Ausstellung vermittle jede Menge neuer Erkenntnisse und zeige das Haus optimal als "forschendes Museum".

Allein zur "Ilias" hinterließ Martin von Wagner 900 Zeichnungen

Martin von Wagner schenkte der Universität 1857 seine bedeutende Kunstsammlung zum Dank dafür, dass er hier nie vertragsgemäß als Professor für Zeichenkunst antreten musste. Außerdem liegt sein gesamter schriftlicher Nachlass in Würzburg – 9000 Briefe und Manuskripte, 3300 Zeichnungen, darunter allein 900 zum Thema "Ilias". Es sind Kampfszenen, Begegnungen zwischen Menschen und Göttern aber auch schlichte Alltagsepisoden. Schließlich ist in der "Ilias" auch beschrieben, wie man damals Fleisch briet.

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Die Kunsthistorikerin Carolin Goll, die die Ausstellung zusammen mit Dombrowski kuratiert hat, erforscht das gigantische Konvolut für ihre Promotion. Für die Ausstellung hat sie die Zeichnungen zur "Ilias" bearbeitet, hat Datierungen ebenso überprüft wie frühere Transkriptionen von Wagners Notizen und Bildbeschreibungen und hat schließlich die stilistische Entwicklung nachvollzogen - von anfangs noch plastisch gearbeiteten Motiven mit Schraffierungen und Lavierungen bis hin zu den reduzierten Umrisszeichnungen später, ganz im Sinne der klassizistischen Auffassung, dass antike griechische Kunst immer klar und aufgeräumt zu sein habe.

Martin von Wagner als junger Mann. die Büste ist eine von mehreren, die in der Ausstellung zu sehen sind.
Foto: Thomas Obermeier | Martin von Wagner als junger Mann. die Büste ist eine von mehreren, die in der Ausstellung zu sehen sind.

Erste Zeichnungen stammen noch aus der Zeit vor 1800, als Wagner in Wien studierte, die letzten entstanden wenige Jahre vor seinem Tod. "Er hat 50 Jahre kontinuierlich an diesem Thema gearbeitet", sagt Carolin Goll. "Ob er eine Veröffentlichung etwa in Form von Kupferstichen plante, wissen wir nicht. Viele Freunde drängten ihn, aber es ist nie dazu gekommen." 

Von manchen Szenen gibt es Dutzende, immer wieder neu überarbeitete Versionen

Martin von Wagner galt und gilt als einer der besten Kenner der Antike im 19. Jahrhundert. Er las ungeheuer viel und bezog sein Bild- und Szenenrepertoire direkt aus den antiken Texten und Kunstwerken. In seinen Zeichnungen empfand er Haltungen, Bewegungen, Bekleidung oder Waffen nach, die er bei Statuen oder auf Vasen vorfand. Ausstellung und Katalog zeigen das mit vielen Beispielen und Querverweisen. Dazu haben die Kuratoren eine Reihe von Büsten und Bildnissen zusammengetragen, die Martin von Wagner in verschiedenen Lebensstadien zeigen - vom lächelnden Lockenkopf bis hin zum griesgrämigen Nestor, an dem in Rom niemand vorbei kam. 

Seine Motive überarbeitete und optimierte er immer wieder, von manchen Szenen gibt es Dutzende Versionen. Auf einem Bildschirm wird in der Ausstellung im Zeitraffer vorgeführt, wie Wagner eine Episode allmählich zu seiner Zufriedenheit entwickelte.

Seine Bilder zu Homer kleidete Martin von Wagner in die unterschiedlichsten Stile. In dieser Skizze von 1821 begrüßt Nestor den zurückkehrenden Odysseus.
Foto: Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg | Seine Bilder zu Homer kleidete Martin von Wagner in die unterschiedlichsten Stile. In dieser Skizze von 1821 begrüßt Nestor den zurückkehrenden Odysseus.

Im Gegensatz zum Barock und dessen hochdramatischem Umgang mit antiken Motiven und auch im Gegensatz zur Romantik, die ihre Motive im Mittelalter oder in fernen Sehnsuchtsländern suchte, erfand Martin von Wagner – immer im Dienste seines wachsenden historischen beziehungsweise archäologischen Wissens – beharrlich auf kleinstem Raum die Antike neu, was der Ausstellung den Namen gab.

Im Aufbau: Für die Ausstellung 'Antike erfinden' wurden alle Zeichnungen neu gerahmt.
Foto: Thomas Obermeier | Im Aufbau: Für die Ausstellung "Antike erfinden" wurden alle Zeichnungen neu gerahmt.

Wobei er in einem einzigen Fall das kleine Format radikal verließ: Das monumentale Ölgemälde "Der Rat der Griechen vor Troja" aus dem Bestand, entstanden 1807, kommt in der Ausstellung zu neuen Ehren. Die Kunsthistorikerin Maria Schabel hat es für ihre Masterarbeit erforscht und eine Fülle von inhaltlichen Feinheiten aufgespürt. "Ich habe lange mit diesem Bild gefremdelt, es kam mir wie ein Fremdkörper vor", sagt Dombrowski, "aber jetzt ist es mir richtig ans Herz gewachsen."

Antike neu entdecken im Martin von Wagner Museum

Die Ausstellung "Antike erfinden" im Martin von Wagner Museum, Gemäldegalerie im Südflügel der Würzburger Residenz, läuft von 24. März bis 25. Juni. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 13.30 bis 17 Uhr. Der Katalog, 312 Seiten, 241 farbige Abbildungen, kostet 39 Euro. In der Ausstellung selbst hilft ein kleines Heft, die Motive zu entschlüsseln.
Das Begleitprogramm umfasst Vorträge, vor allem aber die szenische Installation "Der Zorn des Achill" unter Verwendung von Zeichnungen Martin von Wagners mit Silvia-Maria Jung und Dimitri Stapfer in der Regie von Georg Rootering. Zu sehen im Toscanasaal am 24., 25. März (19 Uhr) und 26. März (11 Uhr). Karten im Museum, Tel. (0931) 3182283, oder im Falkenhaus, Tel. (0931) 372398.
Die Szenische Installation fußt auf dem ersten Gesang der "Ilias": Agamemnon und Achill belagern mit ihren griechischen Heeren seit neun Jahren gemeinsam Troja. Über den Besitz einer Beutesklavin verkrachen sie sich so unwiderruflich, dass Achill aus den Kämpfen aussteigt. Die Götter, ethisch keineswegs integrer als die Menschen, schalten sich ein, es folgt ein Hin und Her mit Intrige, Zorn, Gewalt und – natürlich – tragischem Ausgang.
maw
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