Der kirchliche Trägerverein „Familie und Kind“ hat den Leiter des „Goldenen Kinderdorfs“ im Würzburger Stadtteil Gartenstadt Keesburg fristlos entlassen. Der 61-Jährige hatte zuvor gegenüber der Caritas eingeräumt, dass er in einem Internet-Chatroom mit anzüglichen Bemerkungen Kontakt zu einer 13-jährigen gesucht hatte. Die Staatsanwaltschaft Würzburg ermittelt wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern, bestätigte Dietrich Geuder, der Leitende Oberstaatsanwalt, auf Anfrage.
Roland Giegerich, beim Diözesancaritasverband zuständig für die Jugendhilfe, hatte einen Tipp bekommen: Der Mann, der am Montagabend in der umstrittenen RTL 2-Serie „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ zu sehen war, sei der Würzburger Kinderdorf-Leiter. Der Sender zeigt ihn, wie er sich mit einer vermeintlich 13-Jährigen in einer Gaststätte traf, der er sich zuvor im Internet als „Xerxes“ genähert hatte.
„Im Kinderdorf gab es keine Übergriffe.“
Peter Kiesel Heimaufsicht
Giegerich sah den Ausschnitt auf „Youtube“: Demnach hat der 61-Jährige, dessen Gesicht vom Sender unkenntlich gemacht worden war, im Frühjahr zunächst mit einer Journalistin gechattet, die sich als 13-jährige „Leila“ ausgab. Der Mann bietet sich dem „Mädchen“ als „väterlicher Freund“ an; in dem von RTL 2 dokumentierten Chat ist auch von Küssen und Kuscheln die Rede. Später verabreden die beiden ein Treffen, zu dem es im Mai während des Kirchentags in München kommt. Dabei macht der 61-Jährige „Leila“ Komplimente; unter anderem sprechen sie über eine Übernachtung in der Wohnung des Mädchens („im Gästezimmer“). Der Mann berichtet auch, er sei Leiter einer Jugendhilfeeinrichtung.
Plötzlich platzt eine Frau in das Gespräch – eine RTL 2-Journalistin, die sich als Leilas Mutter ausgibt und dem 61-Jährigen Vorhaltungen macht. „Es ist nichts passiert und es wäre nichts passiert“, sagt der Mann und verneint pädophile Neigungen. Im Verlauf des Gesprächs räumt er aber ein, dass schon ein Chat mit einer Minderjährigen in seiner verantwortungsvollen Position „nicht geht“. Das Treffen endet, ohne dass sich die Frau zu erkennen gibt. „Leila“ und „Xerxes“ treffen sich offenbar später im Chat wieder.
Konfrontiert mit dem Video, habe der Kinderdorf-Leiter umgehend eingeräumt, dass er der Mann im Film ist, so Giegerich. Die sofortige Entlassung nebst Hausverbot habe er akzeptiert. Noch am Donnerstagabend informierte der Trägerverein die Presse. Man könne das Verhalten nicht dulden, auch wenn es offensichtlich zu keinem körperlichen Kontakt gekommen sei, hieß es. Umgehend informierte die Caritas auch die Heimaufsicht und die Staatsanwaltschaft.
Die ermittelt nun, inwieweit strafbare Handlungen vorliegen. Allein die Anmache von Minderjährigen im Internet („Cyber-Grooming“) ist nicht verboten. Der 61-Jährige sei nicht festgenommen worden, sagte Geuder. Ob über den RTL 2-Beitrag hinaus Verdachtsmomente gegen ihn vorliegen, wollte der Leitende Oberstaatsanwalt aus „ermittlungstaktischen Gründen“ nicht sagen.
Anhaltspunkte, dass sich der renommierte Pädagoge im Umgang mit den ihm anvertrauten 35 Jugendlichen vom Grundschulalter bis zur Volljährigkeit etwas zuschulden hat kommen lassen, haben derweil weder die Caritas noch die Heimaufsicht bei der Bezirksregierung gefunden. „Im Kinderdorf gab es keine Übergriffe, so der Stand am Freitagmittag“, sagte Peter Kiesel von der Regierung.
Gemeinsam mit Giegerich hatte er Gespräche mit den Mitarbeitern geführt. Letztere hätten mit „großer Betroffenheit“ auf die Vorwürfe gegen ihren Chef reagiert. Er, so Kiesel, habe ihn eher als „distanzierten Erzieher“ und nicht als „väterlichen Kumpel“ erlebt. Einig sei man sich, dass so ein Verhalten – unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz – für einen Beschäftigten in der Jugendhilfe „nicht tragbar“ ist. Die Eltern der Kinderdorf-Bewohner habe man informiert.
Bleibt die Frage, warum RTL 2 das Verhalten des Heimleiters nicht gleich nach dem Dreh im Mai dem Arbeitgeber oder der Justiz gemeldet hat. Eventuell wären ja Schutzbefohlene in Gefahr gewesen. „Wir haben überlegt, das recherchierte Material gleich weiterzugeben“, so Udo Nagel auf Nachfrage. Der frühere Hamburger Innensenator moderiert „Tatort Internet“ gemeinsam mit Stephanie zu Guttenberg, der Frau des Bundesverteidigungsministers. Weil „Cyber-Grooming“ aber keine Straftat ist, habe man die „Persönlichkeitsrechte des Heimleiters“ letztlich höher bewertet, sagte Nagel. Ziel der Sendung sei es nicht den Voyeurismus der Zuschauer zu bedienen, sondern auf die Gefahren hinzuweisen, die Kindern durch Pädophile im Internet drohen.
Der 61-Jährige war am Freitag nicht nur für die Redaktion nicht zu erreichen. Der Kinderdorf-Verein gab am Nachmittag bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf.