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WÜRZBURG: Aufregung um die Abschiebung eines behinderten Jungen

WÜRZBURG

Aufregung um die Abschiebung eines behinderten Jungen

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    Der 17-jährige Alkhazur Dashayev sitzt in seinem Rollstuhl umringt von seinen Freunden in der Küche der tschetschenischen Familie. Seine Abschiebung war am Mittwochmorgen in letzter Sekunde abgebrochen worden.
    Der 17-jährige Alkhazur Dashayev sitzt in seinem Rollstuhl umringt von seinen Freunden in der Küche der tschetschenischen Familie. Seine Abschiebung war am Mittwochmorgen in letzter Sekunde abgebrochen worden. Foto: Angelika Kleinhenz

    Aufregung in der Würzburger Innenstadt am Mittwoch, kurz vor 8 Uhr: ein großes Polizeiaufgebot mit mehreren Streifenwagen steht einer Gruppe von etwa 20 jungen Leuten gegenüber. Die Jugendlichen drängen sich um die Polizeiautos, einige liegen darunter. In Sprechchören skandieren sie auf Englisch: „Sag es laut, sag es hier, Flüchtlinge sind willkommen hier!“

    Freunde, Studenten und Anwohner protestieren

    Der Grund für den Aufruhr: die tschetschenische Familie Dashayev soll abgeschoben werden. Und mit ihr der schwer behinderte 17-jährige Sohn Alkhazur. Anwohner, die die Familie kennen, mischen sich unter die Demonstranten. Die Polizei will aufgrund von mitgebrachten Taschen und Halstüchern auch „Personen aus der Antifa-Szene“ erkennen. Der 23-jährige Physikstudent Lukas Ziegler und die gleichaltrige Theologiestudentin Sophia Theuer, die seit vier Jahren eine von der Katholischen Hochschulgemeinde vermittelte Patenschaft für den Flüchtlingsjungen übernommen haben, sagen: „Wir sind enge Freunde von Alkhazur. Wir protestieren, weil es nicht geht, dass man jemanden, der dringend medizinische Versorgung in Deutschland braucht, abschiebt.“

    Fünf Mal am Tag muss er einen Katheter gelegt bekommen 

    Alkhazur ist querschnittsgelähmt. Aufgrund einer Fehlbildung wurde er 2014 an seiner Halswirbelsäule operiert. Professor Peter Raab, Leitender Arzt der Kinderorthopädie und Wibelsäulenchirurgie am Würzburger König-Ludwig-Haus, vermittelte den Jungen zu einem Spezialisten in eine Hamburger Kinderklinik. Die Operation dauerte elf Stunden. Anstelle eines Halswirbels wurde eine Metallplatte eingesetzt. Fünf Mal am Tag muss er einen Katheter gelegt bekommen und Tabletten einnehmen, die verhindern, dass Urin in die Nieren gelangt. „Er ist schwer betroffen und hat einen hohen Förderbedarf“, sagt Raab, der den Jungen regelmäßig betreut. Der Mediziner hat für das Asylverfahren der Familie Briefe geschrieben, die dies belegen. Genützt hat es nichts.

    Polizeiaufgebot in der Würzburger Innenstadt: Die Familie eines schwer behinderten Jungen soll nach Tschetschenien abgeschoben werden. Freunde und Anwohner protestierten dagegen.
    Polizeiaufgebot in der Würzburger Innenstadt: Die Familie eines schwer behinderten Jungen soll nach Tschetschenien abgeschoben werden. Freunde und Anwohner protestierten dagegen. Foto: Lukas Ziegler

    Die Familie lebt seit fünfeinhalb Jahren in Deutschland; die meiste Zeit davon in Würzburg. Die Eltern haben vier Kinder. Das Kleinste ist drei Jahre alt. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Ebenso das Ersuchen des Vaters, eines ausgebildeten Schweißers, hier zu arbeiten. Am 21. September kam der Bescheid. Ihr Anwalt versprach, einen neuen Versuch zu starten. Nächste Woche sollte eine Anhörung in Zirndorf sein, berichtet Alkhazur in fließendem Deutsch. Dessen ungeachtet, stehen bereits am Mittwoch um 6 Uhr morgens Polizisten vor der Haustür seiner Familie. Sie sollen dem zuständigen Ausländeramt „Amtshilfe in einem Abschiebeverfahren“ leisten.

    Rollstuhlfahrer „aus logistischen Gründen“ nicht abgeschoben

    Noch während die Mutter ihren schwer behinderten Sohn anzieht, erklärt ihr ein Polizist, sie hätten fünf Minuten Zeit, um ihre Sachen zu packen. Der Flieger nach Moskau starte um 13.30 Uhr in München. Von dort aus gehe es weiter nach Tschetschenien. So erzählt es der 17-Jährige. Vor allem wegen ihm will die Familie bleiben. Und wegen ihm drängeln sich auch wenig später, nachdem die Polizei die Abschiebung – „aus logistischen Gründen“ abbricht – mehr als 20 Freunde und Nachbarn um den kleinen Küchentisch und um den Rollstuhl des 17-Jährigen.

    Internatsleiter über geplante Abschiebung schockiert

    Hans Schöbel, Direktor des Zentrums für Körperbehinderte am Würzburger Heuchelhof, wo Alkhazur seit drei Jahren zur Schule geht, ist über die geplante Abschiebung schockiert. Ebenso Gerd Müller, stellvertretender Leiter des Internats. Müller beschreibt den 17-Jährigen, der nach seiner Flucht noch verängstigt und traumatisiert war, als einen mittlerweile „sehr offenen, humorvollen jungen Mann, der hier seinen Lebensmittelpunkt gefunden habe“. Seit seiner Operation wohnte Alkhazur mit seiner Mutter zur Nachsorge mehrfach kurze Zeit im Internat – zum Beispiel um Katheter zu legen, Infekte oder Niereninsuffizienz zu vermeiden.

    Der Würzburger Rechtsanwalt Michael Koch ist erstaunt, als er von dem Fall erfährt. Denn gesundheitliche Einschränkungen seien ein Abschiebehindernis, „wenn sich durch die Abschiebung eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zur Lebensbedrohung ergeben“ – abhängig von dem Land, in das der Kranke gebracht werden soll. Wie es Alkhazur in Tschetschenien ergehen wird, wollen sich seine Freunde, nicht ausmalen. Sie befürchten, dass die Ausländerbehörde die Abschiebung in den kommenden zwei Wochen nachholen wird.

    Abschiebung: Zahlen und Fakten aus Bayern Aus ganz Bayern wurden in diesem Jahr 2536 Menschen zum Stichtag 30. September abgeschoben. 2017 waren es 3282, ein Jahr zuvor 3310. Die meisten von ihnen kamen aus: Nigeria, Georgien, Afghanistan, Rumänien, Aserbaidschan, Ukraine, Russland, Serbien, Gambia, Albanien. Aus Unterfranken wurden im vergangenen Jahr 132 Menschen abgeschoben. 2016 waren es 142. Sie kamen aus der Ukraine, Russland, Serbien, Albanien, Syrien, Somalia, Algerien, Armenien, Afghanistan und Georgien. 513 Menschen sind 2017 freiwillig ausgereist. In Bayern hielten sich zum 30. September dieses Jahres 26 716 Ausreisepflichtige auf. Von ihnen sind 17 478 geduldet. Sie werden nicht abgeschoben, weil beispielsweise Pässe fehlen, die Herkunftsländer die Rücknahme der Menschen verweigern, die Identität ungeklärt ist oder sie aufgrund gesundheitlicher Probleme derzeit nicht reisefähig sein. (akl)

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