Wie schon der Urgroßvater hatte auch sein Vater Erich Sebald senior das Buchbinderhandwerk gelernt, bevor er als Wandergeselle über Fulda, Düsseldorf, Delft und Stuttgart bis nach Valencia zog, wo er seine Frau, eine studierte Juristin, kennen lernte. Nach kurzer Tätigkeit bei Triltsch und beim Vogel-Verlag in Würzburg eröffnete er 1966 in der Zeller Straße seinen Meisterbetrieb.
Gediegene Handwerkskunst, Redlichkeit und Humor zeichneten den Senior aus, der sich zum Obermeister der Buchbinderinnung und Mitglied der Vereinigung Kunstschaffener Unterfrankens (VUK) emporarbeitete, an der Fachhochschule unterrichtete und neben anderen Lehrlingen seit 1983 auch den eigenen Sohn ausbildete.
Da dieser 1993 beim überraschenden Tod des erst 60-jährigen Handwerkers noch keine Meisterprüfung hatte, wurde er per "Witwenprivileg" der Innung fünf Jahre lang formell Angestellter seiner Mutter. Erich Sebald junior bildete keine Lehrlinge mehr aus, beschäftigte aber zahlreiche Praktikanten von Fachhochschule und Handwerkskammer.
Aussterbender Beruf
Als einer der letzten vier Vertreter eines aussterbenden Berufes sei er sich zuletzt schon ein bisschen als Exot vorgekommen, meint der 38-Jährige. Und dabei gab es in Würzburg vor dem Ersten Weltkrieg, als jeder Laden und jede Firma Geschäfts- und Kassabücher binden ließ, nicht weniger als 20 florierende Buchbindereien.
Ein Hauch von Museum hatte auch das Inventar der Werkstatt Sebald: Die gut geölte, altbewährte mechanische Schneidemaschine stammt aus einem alten Münnerstätter Betrieb und wurde um 1880 gebaut. Auch viele der marmorierten Einbandpapiere, die sich in den Schubladen und Fächern stapeln, sind 70 oder 80 Jahre alt. Denn fürs fachgerechte Binden der antiquarischen Kostbarkeiten seiner anspruchsvollen Kundschaft sollte schon möglichst originales Material verwendet werden.
In Zeiten knapper Kassen geht auch Sebalds Hauptkundschaft, den Universitätsinstituten, Kirchenämtern, Studentenverbindungen oder dem bischöflichen Ordinariat, die Matrikeln, Gästebücher und Zeitschriften binden ließen, das Geld aus. Die Privatkundschaft ist ebenfalls sparsamer geworden.
Allerhand denkwürdige Dinge hat der Buchbinder in seiner Laufbahn in den Händen gehalten: Dekrete aus der Zeit Maria Theresias, Flugblätter vom Ungarnaufstand 1956, barocke Rezepthandschriften sowie eine vom Führer persönlich unterzeichnete Ernennungsurkunde aus dem Dritten Reich. Und wer seinen "Hägar" oder seine geliebten Micky-Maus-Hefte partout schweinsledern gebunden ins Regal stellen wollte, wurde auch zuvorkommend bedient.
Bei der aufwendigen Handarbeit dauert ein Auftrag natürlich schon seine Zeit, zumal die Leimbindungen und stoffbespannten Buchde- ckelbezüge ordentlich durchtrocknen sollen. Manchmal freilich, so erinnert sich Binder schmunzelnd, musste es ganz schnell gehen: Zwei Tage vor dem Besuch des Bundespräsidenten in Würzburg kam das Bürgerspital auf den Gedanken, dringend ein Gästebuch bei Meister Sebald zu ordern. Der schuftete unter Hochdruck, wäre dann aber beinahe in letzter Minute an der Polizeiabsperrung gescheitert, als er sein Werk abliefern wollte!
Allerhand Merkwürdiges
Auch allerhand Merkwürdiges hat der Buchbindermeister im Laufe der Jahre erlebt, etwa einen Kunden, der bei ihm einen Bucheinband "in depressiven Farben" orderte oder einen exzentrischen Professor, auf dessen Hut sich zwei zahme Mäuse tummelten. Ein Kunde kam in den Laden und fragte ihn interessiert, ob er denn auch Bücher binden würde! Lachen musste Sebald auch, als eine muntere Stammtischrunde bei ihm ein Geburtstagsgeschenk für den Senior des Stammtischs bestellte: Das Prachtwerk mit dem goldgeprägten Titel "Sexualleben des 50-Jährigen" enthielt nur gähnend leere Seiten!

Mit Humor, aber auch einem Schuss Wehmut trägt Erich Sebald nun die Auflösung seines Betriebes. Aber nach drei Herzinfarkten blieb ihm keine Wahl. Ein Herzenswunsch ist es ihm, den vielen Stammkunden zu danken, die ihm und seinem Vater über Jahrzehnte die Treue gehalten haben.