Hineinspaziert ins Nebenzimmer des Restaurant "Weinstein" im Weingut am Stein, eine Kellnerin mit Nachtsichtgerät vorneweg. Hinter ihr her, tastend im Stockdunklen und im Gänsemarsch, die Gäste, die Hände auf den Schultern der Vorderen, damit keiner in der Pechschwärze verloren geht.
Kein blasser Schimmer, wie der Raum aussieht, wie die Tische aussehen, was auf den Tischen ist, nicht mal, wo die Tischnachbarn sitzen. Wie Glühwürmchen irrlichtern winzige grüne Punkte herum; das ist das Servicepersonal mit den Nachtsichtgeräten. Die Orientierung ist weg. Nachher, im Kerzenschein, wird sich herausstellen, dass alle Vermutungen über Größe, Höhe, Richtungen und Entfernungen des Raumes falsch waren.
Weinstein-Chef Bernhard Reiser hat das "Genießen im Dunkeln" mit Dr. Hans Neugebauer, dem Direktor der Blindeninstitutsstiftung, ausbaldowert. Anlass ist die Gründung des Instituts vor 150 Jahren. "In die Welt der Blinden eintauchen" sollen die Gäste, sagt Reiser zur Begrüßung, verspricht "ein Spiel mit Temperatur und Textur" und will nicht verraten, was auf den Tisch kommt.
Den Schnickschnack vergessen
Die Augenmenschen könnten "jetzt den ganzen Schnickschnack vergessen. Verlassen wir ein bisschen die Oberfläche. Jetzt geht's in die Tiefe", sagt er.
Ein Vier-Gänge-Menü wird es geben. Wird man nicht kleckern, wenn man beim Essen nichts sieht? Gibt's Lätzchen? Was ist, wenn die Notdurft drückt? Fegt man nicht die Gläser vom Tisch? Und wieder eine leere Gabel zwischen den Zähnen. Wie kriegt man bloß das Futter auf die Zinken, wenn man es nicht sehen kann? Manche greifen mit den Händen zu.
Reiser ermuntert dazu, das Essen anzufassen, das hätten wir verlernt in unserer feinen Gesellschaft. Soße gibt es keine, zum Glück. Aber Suppe-Essen geht ohne Überschwemmung; ein Strohhalm hilft. Ob der Teller leer und das Glas voll ist, weiß nur die Kellnerin.
Gaumen und Zunge forschen
Dass die Sinne im Dunkeln schärfer werden, sagt man. Das scheint zu stimmen. Dass ein Rotwein auf dem Tisch steht, riecht man, ohne die Nase ins Glas zu hängen. Weil sonst nichts zu tun ist, forschen Gaumen und Zunge aufmerksamer nach dem Geschmack. Man hört intensiver. Und der Herr und die Dame gegenüber behaupten, im Dunkeln verliere man beim Kommunizieren die Distanz.
Die Frage, ob ein sehender Mensch während des Schmausens im Dunklen empfindet wie ein blinder Mensch, führt, sagt Dr. Wolfgang Drave, in ein philosophisches Dilemma. Der stellvertretende Leiter der Schule im Blindeninstitut glaubt, eigentlich könne sie nur ein Blinder beantworten. Weil der aber die Welt der Sehenden nicht kenne, fehle ihm der Vergleich - die Frage müsse also ohne Antwort bleiben.
Zweieinhalb Stunden lang dauert der Schmaus in der Finsternis, täglich außer sonntags bis zum 2. November, für 48 Euro, alles inklusive. Die Erlöse gehen in Projekte des Blindeninstituts, Mitarbeiter werden anwesend sein, um Fragen zu beantworten. Das Interesse ist laut Reiser enorm, das Dunkeldinner sei an den Wochenenden schon ausgebucht. Er erbittet Reservierungen.