Sonja und Rainer Brell aus Veitshöchheim sind beide blind. Selbstbestimmt und voller Lebensfreude meistern sie ihren Alltag und bereichern mit ihren sportlichen Aktivitäten nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Leben anderer.
"Ich bin 1968 geboren und seit über 20 Jahren stolzer Veitshöchheimer," so stellt sich Brell auf seiner Homepage "Veitshöchheim isst besser" vor. Der 54-Jährige ist in der Rhön in der Gastronomie aufgewachsen und lernte, wie seine drei Brüder, den Beruf des Kochs. Professionell ausüben konnte er den Beruf im elterlichen Hotel allerdings ab seinem 21. Lebensjahr nicht mehr, da er völlig erblindete.
Die Leidenschaft für gutes Essen und Trinken ist jedoch geblieben. Sein Wissen darüber teilt Rainer Brell, heute IT-Spezialist, auf seinem Blog. Nach seiner Rehabilitation im Berufsförderungswerk (BFW) Veitshöchheim, lernte er im BFW Heidelberg das Programmieren, arbeitete dann über 20 Jahre im IT-Bereich und war in den vergangenen sieben Jahren in der Gastronomie im Bereich Marketing, Webdesign, Buchungsmanagement, Kundenkommunikation und IT tätig. Seit dem 1. Oktober 2022 ist er arbeitssuchend und offen für neue berufliche Herausforderungen.
Sportliche Betätigung ist trotz seiner Erblindung sein zweites großes Hobby, das er mit seiner Frau Sonja teilt. Die 61-Jährige hat ihre Sehkraft ab ihrem 15. Lebensjahr durch eine Netzhauterkrankung immer mehr verloren, bis sie dann mit 30 ganz erblindet ist. Vor der Erblindung als Bilanzbuchhalterin tätig, brachte sie danach über 20 Jahre bis zur ihrem Ruhestand als Lehrerin im BFW Veitshöchheim den Rehabilitanden die Blindenschrift bei, so auch ihrem späteren Ehemann, den sie vor 26 Jahren heiratete.

In den vergangenen 20 Jahren hat das Ehepaar alljährlich voller Abenteuerlust sportliche Aktivitäten unternommen, die schon für sehende Menschen eine große Herausforderung darstellen. So unternahmen sie mit dem Rad Tandemtouren von Veitshöchheim nach Venedig und Budapest, 1500 Kilometer von Berlin nach Zürich, waren in Umbrien und fünfmal auf Mallorca, verbrachten Wanderurlaube auf Elba, Südtirol und Teneriffa, wanderten von Garmisch zum Gipfelkreuz der Zugspitze oder von Veitshöchheim zur Wasserkuppe, absolvierten einen Tandemfallschirmsprung und die Triatlon-Challenge in Roth mit 3,8 Kilometer Schwimmen (Rainer), 180 km Tandemfahren (Sonja) und 42 km Laufen (Rainer), waren zum Alpinskifahren in Arosa und in Sellaronda (Südtirol), absolvierten zweimal den Halbmarathon in Würzburg und wanderten 2019 den 160 Kilometer langen West Highland Way in Schottland.
Dabei bekommt das abenteuerlustige Paar Unterstützung von Freunden und Bekannten. Beim Wandern, Joggen und Walken ist Unterstützung notwendig, und auch für das Radfahren benötigen sie eine sehende Person, die das Tandem pilotiert. Beide schwimmen auch gerne. Rainer Brell: "Im Schwimmbad orientieren wir uns am Beckenrand und kennzeichnen uns mit einer Bademütze, die uns als nichtsehend ausweist." Das Schwimmen in offenen Gewässern ist dagegen für sie nur mit Assistenz und Orientierung per Zuruf möglich. Für Indoor-Aktivitäten nutzen sie Trampolin, Laufband und Ergometer.
Als blindes Ehepaar können wir sehr viel selbst bewerkstelligen.
Rainer Brell
Für lange Wandertouren haben die Brells aus der Not eine Tugend gemacht. Seit sechs Jahren bieten sie einmal pro Jahr und in enger Kooperation mit dem von Brells Bruder Thomas geführten "Genussgasthof Fuldaquelle" in Gersfeld Angebote für Menschen mit Handicap an, was sich bereits in ganz Deutschland herumgesprochen hat. So war das Ehepaar Brell zuletzt im August 2022 Initiator und Organisator der inklusiven sechstägigen Genusswanderung im Biosphärenreservat Rhön mit 50 Teilnehmern, von denen die Hälfte erblindet war. Unter dem Motto "Der Hochrhöner ohne Grenzen" führte die Wanderung über 150 Kilometer und 4000 Höhenmeter und wurde sogar vom Bezirk Unterfranken mit dem mit 2500 Euro dotierten "Unterfränkischen Inklusionspreis 2022" in der Kategorie "Kultur, Natur und Umwelt" ausgezeichnet.
Im Alltag kommen die beiden meist gut allein zurecht. "Als blindes Ehepaar können wir sehr viel selbst bewerkstelligen", sagt Rainer Brell. Vieles davon ist allerdings wesentlich zeitaufwändiger und bedarf einer strukturierten und konzentrierten Arbeitsweise. Generell müssen sie mehr planen und vorausschauend agieren, denn spontane Aktionen sind selten realisierbar. Das Kochen ist für Brell zum Beispiel relativ einfach, da er ja gelernter Koch ist: "Wir nutzen einen handelsüblichen Herd, der erfreulicherweise noch mit Drehknöpfen ausgestattet ist." Auch den öffentlichen Personennahverkehr können sie meist selbständig nutzen. Die Deutsche Bahn biete einen Mobilitätsservice auf größeren Bahnhöfen an, welcher beim Umstieg behilflich ist.
Was eine sehr große Barriere darstellt, ist das Ausfüllen von nicht digitalen Formularen.
Rainer Brell
Es gibt aber natürlich auch einige Dinge, für die sie Unterstützung durch hilfsbereite Nachbarn, Freunde und Bekannte brauchen, wie seine Frau ergänzt, etwa beim Einkauf in den Lebensmittelmärkten oder beim Kaufen von Kleidung, "denn ein gepflegtes Äußeres ist uns wichtig", sagt Sonja Brell. Assistenz benötigen sie auch, wenn sie Kabarett, Theater, Kino oder Konzerte besuchen oder Urlaubsreisen machen wollen. Den Bäcker und Metzger ihres Vertrauens können sie dagegen fußläufig erreichen. Obst und Gemüse liefert ihnen ausnahmsweise die Gärtnerei Klinger in Veitshöchheim.
Bargeld heben sie bei speziell mit Sprachführung ausgestatteten Geldautomaten ab. Überweisungen nehmen sie selbständig online vor. Giro- und Kreditkarten sowie ApplePay sind für sie verwendbar. Rainer Brell bedauert, dass die angestrebte Digitalisierung der Behörden noch nicht in alle Bereiche vorgedrungen ist: "Was gerade für uns eine sehr große Barriere darstellt, ist das Ausfüllen von nicht digitalen Formularen. Dafür brauchen wir leider nach wie vor sehende Hilfe. Selbst digitale Formulare müssen mit einer Legitimation versehen werden. Dies wäre oft mit dem digitalen Personalausweis möglich, der wiederum nicht barrierefrei zugänglich ist."
Für Kultur, Freizeit und Sport würden sich die Brells auf weitere nette Menschen freuen, die sie dabei unterstützen. Wer Interesse hat, kann sich per E-Mail an kontakt@brell.net wenden.