Keiner der beiden hätte seinen Job lange. In der Amtsstube würden bald die Akten aus dem Fenster fliegen, im Theater die Besucher ausbleiben. Zudem würden zwei Menschen todunglücklich werden, weil die Rollen, die sie da ausfüllen sollen, ihrer Persönlichkeit so gar nicht entsprechen.
Nichts aber ist einzigartiger und komplexer als die Persönlichkeit eines Menschen. Unter der Überschrift "Struktur - Persönlichkeit - Persönlichkeitsstörung" fand in Würzburg jetzt ein internationaler Psychotherapie-Kongress mit über 280 Teilnehmern statt. Veranstaltet wurde er vom Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität. Für Prof. Dr. Dr. Hermann Lang, bis vergangenen Monat Vorstand dieses Instituts und Lehrstuhlinhaber für Psychotherapie und Medizinische Psychologie, ist das Tagungsthema "ein weites Feld". Denn "Persönlichkeiten sind wir alle".
Und "in jeder Persönlichkeitsstörung steckt eine Stärke", merkt die Diplom-Psychologin Dr. Marion Schowalter dazu an, die die Tagung mitorganisiert hat. Das gilt für die besondere Gabe eines Schauspielers wie Klaus Kinski ebenso wie für den blassen, introvertierten, zwanghaften Buchhalter, auf den sein Chef sich jedoch immer verlassen kann.
Wo beginnt die Störung?
Wo aber endet die "normale" Persönlichkeit, wo beginnt die Störung? "Wenn die Person selbst deutlich leidet", sagt Lang "oder andere". Wenn der Leidensdruck am größten ist, sei die beste Zeit für eine Therapie.
Seit etwa 25 Jahren interessieren sich Ärzte und Wissenschaftler zunehmend für den Begriff der Persönlichkeitsstörung. Vom "Zeitalter des Narzissmus" ist die Rede, von der "Borderline-Generation". Zu dieser letzteren zählten besonders Frauen. Lang nennt als Beispiele für Borderline-Strukturen, die immer "schwierig für andere" seien, die Schauspielerinnen Marilyn Monroe und Romy Schneider. Gekennzeichnet sei eine solche Persönlichkeit dadurch, dass sie "nicht allein sein kann" und "auch nicht mit anderen sein kann". Hinzukämen heftige emotionale Reaktionen ("Impulsdurchbruch").
Aus der Literatur kennt man hysterische Persönlichkeitsstrukturen wie Flauberts "Madame Bovary", deren Illusionen enttäuscht werden: "Der biedere Landarzt Charles ist das Gegenteil von dem, was sie sich als Traummann ersehnt", so Lang. Auch die verwöhnte Scarlett O' Hara aus "Vom Winde verweht" gehöre dazu.
Besonders beschäftigt den Psychiater die Narzisstische Persönlichkeitsstörung, bei der stets eine außergewöhnliche "Konzentration des psychischen Interesses auf das eigene Selbst" vorliegt, so der Arzt, verbunden mit Exhibitionismus, Ehrgeiz "und der Neigung, die Mitmenschen als Applausgeber zu funktionalisieren". Manager, Showmaster und Schauspieler fielen häufig unter diese Kategorie. Auf Kränkungen und Situationen, die sie wieder auf den Boden der Tatsachen herunterholen, reagierten narzisstische Persönlichkeiten dann oft äußerst verletzlich und depressiv. Zum Beispiel, "wenn so jemand aus einer renommierten Position entlassen wird", sagt Lang, "oder die Frau ist fremdgegangen". Dann kann es zur "narzisstischen Krise" kommen, nach Aussage des Psychiaters die "häufigste Ursache von Selbstmord". Und von Amoktaten, wie vor zwei Jahren in Erfurt, wo die narzisstische Kränkung eines Schülers zu dem entsetzlichen Blutbad geführt hatte.
Auch der Komponist Richard Wagner sei eine narzisstische Persönlichkeit gewesen, die die Beziehung zu Ludwig II. "ausgebeutet" habe, um seine Schulden loszuwerden.
Wie eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entstehen kann, zeigte Lang bei der Tagung am Beispiel des exhibitionistischen, egozentrischen Kaisers Wilhelm II. auf, dessen linker Arm durch einen Geburtsschaden gelähmt war. Er beleuchtete dabei die schwierige Beziehung zur Mutter Kronprinzessin Viktoria, "die ihn wegen seiner Verkrüppelung am liebsten fern von sich wusste".
Von der Mutter abgelehnt
Tief enttäuscht über die Behinderung des Sohnes, habe sie ihn ihr Leben lang abgelehnt. Briefe, die der Elfjährige ihr "voller Stolz auf seine Leistung" schickt, werden von ihr nur kühl beantwortet, zudem kritisiert sie seine Handschrift ("the hand is bad..."): er solle sich mehr Mühe (pain!) geben, was im Englischen auch Schmerz bedeutet. Damit habe sie "den verwundbarsten Teil seines Körpers" getroffen, eine Aggression, so Lang, "deren Schwere man kaum überschätzen kann". Wilhelms Persönlichkeitsstrukturierung sei vor allem das "Resultat der ständigen Kränkungen, die er durch die frühe Ablehnung erfuhr". Aber auch die Mutter habe unter einer "narzisstischen Wunde" gelitten, der "Kränkung, ein mangelhaftes Kind zu haben."